Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
gegenüber früheren Wechselinhabern sowie der Ausschluss von Einwendungen auf der Grundlage der Rechtsscheintheorie (vgl. den Beispielsfall in Rn. 499).
b) Einreden aus dem Grundgeschäft
496
Art. 17 WG schneidet aufgrund der abstrakten Natur des Wechselverpflichtungsvertrags alle Einreden aus der Nichtigkeit des Grundgeschäfts (Bereicherungseinrede) und seiner Umwandlung in ein Rückschaffungsverhältnis (durch Rücktritt gem. § 346 Abs. 1 BGB) gegenüber all denjenigen Wechselinhabern ab, denen gegenüber die Einreden aus dem Grundverhältnis nicht unmittelbar bestehen. Geschützt werden also der Zweiterwerber und weitere spätere Erwerber.
Beispiel:
Der Wechsel hat Kreditfunktion und wird ausgestellt, akzeptiert und übertragen zur Erfüllung von Forderungen, etwa auf Auszahlung eines Darlehens. In diesem Grundverhältnis erfolgt auch die Abrechnung der späteren Auszahlung an einen Dritten. Läge insoweit eine Forderungsabtretung (§ 398) vor, könnten dem Abtretungsempfänger als neuem Gläubiger Einwendungen des Schuldners nach §§ 404–407 entgegengesetzt werden. Dies könnten z.B. Zurückbehaltungsrechte, Bereicherungseinreden, Stundung, Aufrechnung sein. Art. 17 WG schneidet diese ab und schafft so die Abstraktheit des Wechsels. Das Gläubigerrecht ist grundsätzlich durch nichts anderes begrenzt als durch den Inhalt der Urkunde selbst. Der Inhaber muss darüber hinaus nur mit denjenigen Einreden rechnen, die gerade gegen ihn persönlich bestehen.
c) Mängel im Übertragungs- oder Verpflichtungsvertrag
497
Die wechselmäßige Verpflichtung ist nicht nur von Einwendungen aus den Grundverhältnissen früherer Inhaber unabhängig, sondern es werden auch alle Entstehungsmängel und Mängel der wechselmäßigen Übertragungsverträge dadurch geheilt, dass die Urkunde selbst einen Rechtsschein begründet, der zu Gunsten gutgläubiger späterer Nehmer rechtserzeugend wird (Rechtsscheintheorie). Geschützt ist nur der redliche rechtsgeschäftliche Zweiterwerber und auch dies nur, soweit der Rechtsschein demjenigen, der ihn gesetzt hat, rechtlich zurechenbar ist.
Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen ohne die erforderliche Zustimmung ist der durch ihre Beteiligung gesetzte Rechtsschein nicht zurechenbar. Der Schutz durch die §§ 104 ff. geht dem Schutzinteresse des Wechselverkehrs vor. Gleiches gilt bei Fälschung einer Unterschrift und Verfälschungen im Text des Wechsel (vgl. Art. 69 WG). Schließlich wird auch der vollmachtlos Vertretende nur verpflichtet, wenn er zumindest den Anschein einer Vollmacht gesetzt hat (vgl. § 177). Auch in diesen Fällen heilt zwar Art. 16 Abs. 2 WG den wechselrechtlichen Übertragungsvertrag, nicht aber entsteht eine wechselmäßige Verpflichtung.
Hinsichtlich anderer Mängel des Verpflichtungsvertrags tritt hingegen durch redlichen Zweiterwerb Heilung ein (vgl. Rn. 492 a.E.).
498
Ist der Wechsel abhanden gekommen, fehlt es auch am Verpflichtungsvertrag; Gleiches gilt, wenn ein solcher durch Täuschung oder Drohung oder in anderer Weise sittenwidrig zustande gekommen war. Die wechselmäßige Verpflichtung kann überdies zwar wirksam entstanden, aber inzwischen durch Erfüllung oder Aufrechnung erloschen sein. Der Dieb, Täuschende oder Drohende etc. wird zwar selbst nicht Gläubiger, kann aber seinem redlichen rechtsgeschäftlichen Nachfolger das Vollrecht verschaffen (und zwar die formelle Legitimation über Art. 16 Abs. 2 WG und die Gläubigerschaft aufgrund des Rechtsscheins).
Einwendungen, die sich aus dem Inhalt der Urkunde selbst ergeben, schließen auch die Verpflichtung gegenüber einem Gutgläubigen aus (z.B. die Klausel „ohne obligo“, vgl. Art. 15 Abs. 1 WG).
d) Wechselverpflichtung
499
Aus dem Wechsel verpflichtet sind nach Maßgabe des Vorstehenden der Akzeptant (Art. 28 WG), der den Wechsel angenommen hat, sodann der Aussteller (Art. 9 WG) und jeder Indossant (Art. 15 WG). Soweit der Akzeptant den Wechsel bei Verfall nicht bezahlt, stehen dem Inhaber gegen den Indossanten, den Aussteller und evtl. weitere Wechselverpflichtete Rückgriffsansprüche zu (vgl. Art. 43), die dann jedoch einen rechtzeitig eingelegten Protest voraussetzen. Die notwendigen Formalien des Protests ergeben sich aus Art. 79 ff. WG.
Beispiel (Ausgangsfall):
A (Aussteller) hat eine Wette mit der minderjährigen R (Remittent) verloren und stellt aus Geldnot einen eigenen Wechsel (sog. Solawechsel, vgl. Art. 3 Abs. 2, 75 ff. WG: „auf den Aussteller selbst gezogen“) über die Wettsumme aus, den er an R begibt. Diese indossiert den Wechsel an ihre Mitbewohnerin I (Indossant), der sie gleichfalls Geld für einen von I übernommenen Wocheneinkauf ihrer studentischen Wohngemeinschaft schuldet. Ansprüche der I gegen A und R?
1. Ansprüche der I gegen A: I könnte gegen A wechselrechtliche Ansprüche nach Art. 78 Abs. 1, 28 WG haben, sofern ein formgültiger Wechsel vorliegt, sie Eigentümerin der Urkunde ist (Recht am Papier) und keine Einwendungen gegen das Recht aus dem Papier durchgreifen. a) Die zwingend notwendigen Bestandteile des Solawechsels ergeben sich aus Art. 75 f. WG (des – auf einen anderen – gezogenen Wechsels aus Art. 1–10 WG); im Zweifel handelt es sich um einen Sichtwechsel (Art. 75 Nr. 3, 76 Abs. 2 WG), der bei Vorlage fällig ist (Art. 33 Abs. 1, 34 Abs. 1 S. 1 WG). Davon ist hier auszugehen. b) I gilt jedenfalls als Eigentümerin der Urkunde, wenn sie durch eine ununterbrochene Reihe von Indossamenten legitimiert ist (widerlegliche Vermutung nach Art. 16 Abs. 1 WG), außer, ihr kann die fehlende materielle Berechtigung am Wechsel nachgewiesen werden. Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 WG sind hier erfüllt. I konnte aber materiell nicht Eigentümerin der Urkunde werden. Sie leitet ihr Eigentum von R ab, die trotz Minderjährigkeit zwar selbst Eigentümerin von A werden konnte (vgl. § 107: lediglich rechtlich vorteilhafter Eigentumserwerb der R, vgl. dazu Rn. 46). Für die Weiterübereignung durch R an I greift § 107 dann allerdings nicht und der Eigentumserwerb der I (der sog. Übereignungs- oder Begebungsvertrag nach § 929 S. 1) ist nach § 108 schwebend unwirksam. Ohne Berechtigung der I am Wechsel hat sie aber keine wechselrechtlichen Ansprüche (vgl. dazu Rn. 493).
2. Ansprüche der I gegen R: I könnte möglicherweise Zahlung von R beanspruchen. a) I hätte wechselrechtliche Ansprüche nach Art. 77 Abs. 1, 15 Abs. 1 (Garantiefunktion des Indossaments, vgl. Rn. 499), wenn der wechselrechtliche Hauptschuldner, beim Solawechsel also mangels eines Akzeptanten der A nach Art. 77, 43 WG, bei Fälligkeit nicht gezahlt hätte und das durch förmliche Protesturkunde nach Art. 44 Abs. 1, 79 ff. WG bewiesen würde. Allerdings besteht die Garantiefunktion nur gegenüber einem berechtigten Inhaber, was die I nicht ist, wie bereits festgestellt (die Vermutung des Art. 16 Abs. 1 ist widerlegt worden). – b) I hat aber eine schuldrechtliche Forderung gegen die R aus §§ 670, 662 aus dem Einkauf. Zwar wird die Minderjährige durch § 108 geschützt, allerdings ist davon auszugehen, dass sie den eigenen Hausstand in der Wohngemeinschaft berechtigt begründet hatte und ihre Eltern in alle damit zusammenhängenden Rechtsgeschäft im Voraus generell eingewilligt haben (dazu Rn. 49; alternativ: § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1).
Abwandlung des Ausgangsfalls: Was, wenn I die R gutgläubig für volljährig gehalten hatte?
1. Ansprüche der I gegen A: I könnte gegen A dann doch, nämlich gutgläubig, wechselrechtliche Ansprüche nach Art. 78 Abs. 1, 28 WG kraft Rechtsscheins erworben haben. Ein formgültiger Wechsel liegt vor, die I müsste