Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
aus dem Papier durchgreifen. a) Gegenüber dem Ausgangsfall (Ziff. 1b im Ausgangsfall) könnte I Berechtigte an der Wechselurkunde geworden sein, weil die Widerlegung der Vermutung aus Art. 16 Abs. 1 WG jetzt durch Abs. 2 ausgeschlossen ist (gutgläubiger Erwerb des Rechts am Papier). Zwar schließt Art. 16 Abs. 2 WG nach seinem Wortlaut nur Einwendungen aus dem Abhandenkommen der Urkunde aus, allerdings wird die Vorschrift nach einhelliger Meinung auf alle Übertragungshindernisse erstreckt (Schutz der Transportfunktion des Indossaments, vgl. Rn. 497). Damit gilt I für die Geltendmachung der Art. 78 Abs. 1, 28 WG als Eigentümerin des Wechsels (obwohl R das Eigentum an sie sachenrechtlich nicht verloren hat). b) Daran schließt sich jedoch die Frage an, ob ihr auch das Recht aus dem Papier zusteht. Dem Wechsel liegt eine an sich unwirksame Wettschuld zugrunde (vgl. § 762 Abs. 2: „Wettschulden sind Ehrenschulden“ und können nicht eingeklagt werden; was allerdings auf sie gezahlt wurde, kann auch nicht zurückgefordert werden). Allerdings schließt Art. 17 WG alle Einwendungen aus dem Grundverhältnis aus. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut, der sich nur auf persönliche Einwendungen bezieht, aber wiederum aus Gesichtspunkten des Verkehrsschutzes (gutgläubiger Erwerb des Rechts aus dem Papier; vgl. dazu Rn. 496). Damit kann I gegen A aus dem Wechsel vorgehen.
2. Ansprüche der I gegen R: a) Im Verhältnis I gegen R ändern Art. 16 Abs. 2 und 17 an den fehlenden wechselrechtlichen Ansprüchen nichts (vgl. Ziff. 2a des Ausgangsfalls). Die Rechtsscheintatbestände können zwar sowohl den (sachenrechtlichen) Übertragungs-/Begebungsvertrag als – jedenfalls beim gutgläubigen Zweiterwerb – auch den wechselrechtlichen Verpflichtungsvertrag durch das Indossament (vgl. Art. 15 Abs. 1 WG und dazu Rn. 498) heilen. Die Garantiefunktion des Indossaments wirkt jedoch trotz Art. 17 WG niemals gegen Minderjährige – hier zeigt sich die Bedeutung der Trennung von Übertragungsvertrag und Verpflichtungsvertrag (vgl. Rn. 495, 497).
b) Da I nun aber wechselrechtliche Ansprüche gegen A hat, wird man hinsichtlich der schuldrechtlichen Forderung gegen R (Ziff. 2b des Ausgangsfalls) davon ausgehen müssen, dass durch den erfüllungshalber (vgl. § 364 Abs. 2) von R an I begebenen Wechsel implizit eine Abrede dahin getroffen wurde, dass die I vorrangig gegen A vorzugehen habe. Die Forderung gegen R aus §§ 670, 662 ist damit einstweilen einredebehaftet bis feststeht, dass A nicht leisten wird.
5. Wertpapiere – Übersicht
500
Wertpapiere sind Urkunden, ohne deren Innehabung ein darin verbrieftes Recht nicht geltend gemacht werden kann.
Sie können u.a. danach unterschieden werden, wie der Berechtigte aus dem Wertpapier bestimmt wird. Während die Anweisung (vgl. § 783) den Berechtigten namentlich benennt und nur ihn zur Geltendmachung des Anspruchs befugt, mit der Folge, dass ein Rechtsnachfolger hierzu nur nach Abtretung des Anspruchs mit allen Einwendungen (vgl. § 404 und soweit nicht § 405 greift) die Gläubigerstellung erwirbt (sog. Namens- oder Rektapapier),[211] ist der Wechsel ein sog. Orderpapier. Solche werden auf einen ebenfalls namentlich bezeichneten Berechtigten „oder an dessen Order“ ausgestellt und sodann durch Übergabe der Urkunde unter Indossierung durch den Nachmann übertragen, was zum weitgehenden Ausschluss von Einwendungen führt. Eine dritte Begebungsform von Wertpapieren sind schließlich die Inhaberpapiere. Bei diesen verspricht der Aussteller die Leistung dem jeweiligen Inhaber des Papiers. Ihre sachenrechtliche Übertragung zieht ohne Weiteres den Übergang des darin verbrieften Rechts nach sich. In Inhaberpapieren wird das verbriefte Recht zur beweglichen Sache, was die Übertragbarkeit erleichtert, umgekehrt jedoch die Gefahr des Verlusts (z.B. durch Diebstahl, gutgläubigen Erwerb, vgl. § 935 Abs. 2) erhöht.
a) Einteilung von Wertpapieren
501
Art des verbrieften Rechts | Wirtschaftliche Zwecke | Art, wie der Berechtigte aus dem Wertpapier bestimmt wird |
---|---|---|
– Mitgliedschaftsrechte (z.B. bei Aktien) – Sachenrechte (Belastungen an Grundstücken, z.B. Hypotheken-, Grundschuldbrief) – Forderungsrechte (z.B. Geldforderung bei Sparbuch, Anleihe) – Optionsrechte (z.B. Optionsschein als derivatives Finanzinstrument) | – Zahlungsmittel (Scheck) – Kreditmittel (Wechsel) – Förderung des Güterumlaufs (Traditionspapiere des HGB: Lager-, Ladeschein, Konnossement) – Kapitalaufbringung und Kapitalanlage (z.B. Aktien; festverzinsliche Anleihen) | – Inhaberpapiere – Orderpapiere – Rektapapiere |
b) Arten von Wertpapieren
502
Die Unterscheidung der Wertpapiere in Rekta-(Namens)Papiere, Orderpapiere und Inhaberpapiere betrifft nicht die Art des in ihnen verbrieften Rechts. Dieses kann ein Mitgliedschaftsrecht sein (z.B. Namensaktien, Inhaberaktien), ein dingliches Recht, vornehmlich ein solches an einem Grundstück (z.B. Grundschuldbrief, vgl. §§ 1153 Abs. 1, 1154 Abs. 1, 1192 Abs. 1, oder als Inhabergrundschuld nach § 1195) oder, wie bei Anweisung, Wechsel und Inhaberschuldverschreibung, ein Forderungsrecht sein.[212] Die §§ 793 ff. regeln daher die besonderen schuldrechtlichen Verhältnisse aus solchen Inhaberpapieren, die Forderungsrechte verbriefen.
Beispiele sind:
Bundesschatzbriefe, Pfandbriefe, Investmentanteilsscheine, soweit sie auf den Inhaber und nicht auf den Namen lauten, Unternehmensanleihen, Aktienanleihen.
Das Inhaberpapier verpflichtet zur Leistung an den befugten Inhaber, berechtigt jedoch auch zur Leistung an jeden Inhaber, insb. auch an einen nicht zur Verfügung berechtigten Inhaber (§ 793 Abs. 1 S. 2). Außerdem ermöglichen Order- und Inhaberpapiere den gutgläubigen Forderungserwerb (§§ 932, 935 Abs. 2).
c) Übersicht zu den Arten von Wertpapieren
503
Inhaberpapiere | Orderpapiere | Rektapapiere | |
---|---|---|---|
Legitimation durch… | Vorlage des Papiers durch jeden Inhaber ohne Nachweis seiner materiellen Berechtigung | Vorlage des Papiers durch den Indossatar ohne Nachweis seiner materiellen Berechtigung | Vorlage des Papiers durch den im Papier Bezeichneten ohne Nachweis seiner materiellen Berechtigung |
Übertragung | Übertragung des Wertpapiers als solches nach §§ 929, 932, 935 Abs. 2 „Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier“ | Durch Indossament, § 365 Abs. 1 HGB mit Art. 13 Abs. 1 WG (so auch § 68 Abs. 1 S. 2 AktG): Je nach Wertpapier und Umfang des Indossaments ggf. Transport-, Garantie-, Legitimationsfunktion |
Übertragung entsprechend der Art des verbrieften |