Handbuch Wirtschaftsprüfungsexamen. Christoph Hillebrand
d) Inhaberschuldverschreibung und Inhaberpapiere allgemein
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Der Emittent einer Schuldverschreibung beschafft sich dadurch zumeist Geld, ohne einen Kredit aufnehmen zu müssen. Der Gläubiger erhält eine verzinsliche Geldanlage. Beispiele für Schuldverschreibungen sind öffentliche Anleihen staatliche Stellen (z.B. Bundesschatzbriefe), aber auch Bankschuldverschreibungen oder Pfandbriefe von Banken und Sparkassen. Industrieunternehmen bieten Industrieobligationen (Unternehmensanleihen) an. Zu Gunsten des Inhabers der Schuldverschreibung wird vermutet, dass er der Berechtigte ist (§ 793 Abs. 1 S. 1). Bestreitet der Schuldner die Berechtigung des Inhabers, so trifft die Beweislast den Schuldner (Inhaberlegitimation). Die Legitimation des Inhabers führt auch dazu, dass er zu Gunsten des Schuldners als der Berechtigte gilt (Liberationswirkung). Der Schuldner kann also an den Inhaber mit befreiender Wirkung auch dann leisten, wenn der Inhaber gar nicht Eigentümer oder Verfügungsberechtigter geworden ist (§§ 793 Abs. 1 S. 2, 797 S. 2). Beim Wechsel folgt dies aus Art. 40 Abs. 3 S. 1 WG.
505
Mängel in der Entstehung der Wertpapierschuld sowie persönliche Einreden des Schuldners gegen frühere Inhaber werden durch § 796 ausgeschlossen (Einwendungsausschluss). Der redliche rechtsgeschäftliche Zweiterwerber wird geschützt. Dies gilt auch für Mängel in der Begebung der Inhaberschuldverschreibung (vgl. § 794 Abs. 1), anerkanntermaßen aber auch insoweit nur zu Gunsten des redlichen rechtsgeschäftlichen Erwerbers. Dem Dieb, wie auch einem unredlichen Erwerber gegenüber ist der Aussteller trotz § 794 nicht verpflichtet, sondern nur – in seinem eigenen Interesse, nämlich nicht nochmals bezahlen zu müssen – zur befreienden Leistung berechtigt (Legitimationswirkung).
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Die Einschränkungen der Rechtsscheintheorie hinsichtlich der Zurechenbarkeit von Mängeln in der ersten Begebung durch den Aussteller gelten auch hier; der Einwand der Fälschung oder Geschäftsunfähigkeit bzw. der fehlenden Zustimmung bei beschränkter Geschäftsfähigkeit kann deshalb jedem späteren Erwerber, nicht nur dem insoweit bösgläubigen entgegengehalten werden. Hingegen können die Anfechtung wegen Willensmängeln, fehlende Vertretungsmacht oder die Nichtigkeit wegen Täuschung und Drohung dem gutgläubigen Inhaber wegen des mit der Ausstellung der Urkunde gesetzten Rechtsscheins nicht entgegen gehalten werden.
e) Inhalt und Form der Inhaberschuldverschreibung; digitale Wertpapiere (Token)
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Gegenstand der Schuldverschreibung kann jede Art von Leistung sein. Sie können auf feste Geldsummen lauten und haben dann geldähnlichen Charakter. Soweit solche Anleihen börsenfähig sein sollen, bedarf es der Zulassung nach §§ 32 bzw. 37 BörsenG. Im Übrigen stellen auch Gewinnanteilscheine und Lotterielose Inhaberschuldverschreibungen dar. Als zivilrechtliches Wertpapier muss es sich zwingend um eine schriftlich ausgestellte Urkunde handeln (Ausnahme sind nur Bundesanleihen, die in einem digitalen Bundesschuldbuch geführt werden können, § 5 Bundesschuldenwesengesetz – BSchuWG). Die notwendige Form der Urkunde kann in dieser selbst vorgeschrieben werden. Insb. genügen faksimilierte Unterschriften.
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Einen Paradigmenwechsel kündigt der am 11.8.2020 von den Bundesministerien der Finanzen und der Justiz und für Verbraucherschutz veröffentlichte Referentenentwurf „Gesetz zur Einführung von elektronischen Wertpapieren“ an. Elektronische Fremdkapital-Wertpapiere, also im ersten Schritt nur Inhaberschuldverschreibungen, sollen – ähnlich wie Bundesschuldverschreibungen – durch Eintragung in einem digitalen Register entstehen können. Beabsichtigt ist damit eine Verkörperung von Rechten in sog. Security Token[213] statt in Urkunden. Token sind individualisierte und durch eine Art Quersummenbildung unabänderliche Einträge auf einer sog. Blockchain und damit Einträgen in einem Register vergleichbar „registriert“.
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Noch weitergehend geht das Eckpunktepapier perspektivisch davon aus, dass elektronische Wertpapiere kraft gesetzlicher Fiktion als Sachen anerkannt werden könnten, so dass zivilrechtliche Vorschriften zur Eigentumsübertragung Anwendung finden könnten. In jedem Falle solle es aber eigenständige Regelungen zum Erwerb, Übertragung und Gutglaubensschutz von elektronischen Wertpapieren geben. In Zukunft seien dann die Kernfunktionen des Wertpapiers (Legitimationsfunktion, Erfüllungswirkung, Übertragungsfunktion) statt durch die Verbriefung in einer Urkunde durch die Eintragung im einem Register sichergestellt. Die digitale Registerführung sei allerdings nur dann möglich, wenn die Eintragung auf der Blockchain auch tatsächlich die Feststellung des Inhabers (Authentizität) und die Unverfälschtheit des Wertpapiers (Integrität) ermögliche. Dies setze hohe Anforderungen an die Verlässlichkeit und Richtigkeit der Registerführung voraus, die daher staatlich oder unter staatlicher Obhut erfolgen solle.
f) Vinkulierung
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Die Inhaberschuldverschreibung kann durch Rektavermerk des Ausstellers in ein Namenspapier umgewandelt werden (vgl. § 806). Damit wird das Wertpapier für die Zukunft zum Namenspapier, dessen weitere Übertragung sich nach §§ 398, 404 f. richtet. Eine Legitimationswirkung für den Inhaber entfällt dann (vgl. § 808 Abs. 1 S. 2). Bestehen bleibt die Möglichkeit der befreienden Zahlung an den Inhaber (vgl. § 808 Abs. 1 S. 1).
6. Kleinurkunden
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Neben den (echten) Wertpapieren, i.e. Rekta(Namens-)papiere, Orderpapiere und Inhaberpapiere, bedient sich der Wirtschaftsverkehr zahlreicher Kleinurkunden, die lediglich gewisse Ähnlichkeiten mit den Wertpapieren aufweisen.
a) Kontroll- oder Ausweiszeichen
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Hierzu gehören insb. Garderobenmarken, Reparaturscheine. Weder verkörpern sie in sachenrechtlicher Weise das zugrundeliegende Recht, das also nicht durch Übertragung dieses Papiers weitergegeben werden kann, noch ist ihre Innehabung oder ihr Vorzeigen für die Rechtsausübung erforderlich. Zwar dienen sie als Beweismittel für die Legitimation ihres Inhabers, ohne jedoch dass der Aussteller ohne Weiteres durch Leistung an den Inhaber befreit wird. Solche Ausweiszeichen schaffen lediglich eine widerlegliche Vermutung für die Berechtigung des Vorzeigenden. Leistet der Aussteller an einen nicht berechtigten Inhaber (gibt z.B. die Wäscherei ein Kleidungsstück an den Finder eines verlorenen Abholscheins) und zwar ohne Anwendung der je nach Umständen erforderlichen Sorgfalt, haftet er dem wahren Rechteinhaber aus dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis (zumeist dann wohl nach §§ 283, 275 Abs. 1).
b) Inhabermarken, -zeichen
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Hierzu gehören (noch nicht entwertete) Fahrkarten, Briefmarken oder Biermarken. Sie sind nach