Kulturtheorie. Wolfgang Müller-Funk

Kulturtheorie - Wolfgang Müller-Funk


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– kontrastive – Zusammenhang zwischen der vormodernenModerne, modern, -moderne okzidentalen und der modernen, sich globalisierenden Geldkultur wird nicht hinterfragt; von daher lässt sich auch kaum die Frage stellen, warum bestimmte Gruppen nicht nur in der arabischen Welt die westlich-amerikanische Kultur ablehnen, weil sie als ‚modern‘ oder weil sie als kulturell different, d.h. als unvereinbar mit den Werten der eigenen Kultur empfunden wird. Im ersten Fall interpretiert man diesen Konflikt als ein Drama der Moderne, im zweiten als einen (medial inszeniertenInszenierung, inszeniert) Konflikt von Mega-Kulturen. SimmelsSimmel, Georg Analyse der modernen Kultur abstrahiert also – im Gegensatz etwa zu SpenglerSpengler, Oswald – von deren raumzeitlichem, d.h. kulturellem und historischem KontextKontext und folgt damit bis zu einem gewissen Grad dem SelbstbildSelbstbild einer Moderne, die sich als universal und globalGlobalisierung, global versteht und missversteht.

      Im ersten Teil der Philosophie des GeldesGeld entfaltet SimmelSimmel, Georg eine Theorie des Wertes. Er beschreibt dies als einen Perspektivenwechsel, der sich zunächst innerhalb der Philosophie vollzieht. Die traditionelle Frage der Philosophie richtet sich auf die Beschaffenheit der DingeDinge und der Möglichkeit ihrer ErkenntnisErkenntnis. Diese Frage tritt bei SimmelSimmel, Georg in den Hintergrund, zugunsten einer ganz neuen Frage, nämlich der Frage unseres Verhältnisses zu den Dingen. An die Stelle eines substanziellen Denkens, das eben nach dem Seinsgrund der Dinge fragt, tritt also ein funktionales und relationales Denken, das die vielfältigen Beziehungen untersucht, die wir zu ihnen unterhalten. Das, was der Mensch bislang für wesentlich hielt, tritt in den Hintergrund. Die Frage der Wertigkeit der Dinge bildet demgegenüber den philosophischen Nucleus der Philosophie des Geldes. SimmelSimmel, Georg legt dabei nahe, dass dieser Übergang vom Sein zum Wert, von der Substanz zu RelationRelation und FunktionFunktion idealtypisch den historischen Weg in die moderneModerne, modern, -moderne GesellschaftGesellschaft, gesellschaftlich beschreibt.

      Nun erfolgt der nächste Schritt in SimmelsSimmel, Georg Gedankengang. SimmelSimmel, Georg stellt sich nämlich die Frage, was es heißt, den Dingen einen Wert zuzuschreiben. Seine Antwort lautet verblüffend einfach: Werten bedeutet immer, eine RelationRelation herzustellen, sich in Beziehung zu etwas oder jemandem zu setzen. Der betreffende Gegenstand, weit entfernt davon, nur ein Gegenstand interesselosen Wohlgefallens zu sein, ist mir etwas wert, d.h. ich möchte ihn gerne haben, besitzen. So beschreibt der Wert eine Beziehung zwischen Mensch und Gegenstand.

      Entscheidend ist dabei mein jeweiliges BegehrenBegehren. Das BegehrenBegehren des SubjektsSubjekt nach dem Gegenstand manifestiert sich demnach im Wert. Die heutige WerbungWerbung, die genau um dieses Zusammenspiel von BegehrenBegehren und Wert weiß, drückt dies direkt in ihren Slogans aus, so etwa wenn das deutsche Modell Claudia Schiffer – die Bezeichnung Modell beschreibt übrigens höchst exakt den formenden Aspekt – im Anschluss an eine Werbung für teure Kosmetika in entwaffnend naiver Weise sagt: Weil ich es mir wert bin. Hier wird übrigens schon ein Moment magischer Verdopplung sichtbar: Es geht um den Begehrens-Wert eines kosmetischen Produkts, der sich auf das Subjekt überträgt, das – so lautet wenigstens die Logik im Verhältnis von Mensch und AlltagsAlltag, Alltagskultur, Alltags--ArtefaktArtefakte – damit nicht nur das betreffende Kosmetikum, sondern zugleich dessen vermeintliche Exklusivität begehrt und mit dem Kauf seinen Eigenwert erhöht.

      SimmelSimmel, Georg ist der klassische Vertreter einer subjektivenSubjektivität, subjektiv Werttheorie, die den Wert im BegehrenBegehren des einzelnen Menschen verortet. Ein Gegenstand, den niemand begehrt, verliert seinen Wert und verschwindet als nutzloser Plunder vom Markt, wobei er als nostalgischer Tand wiederum ‚attraktiv‘ werden kann. Aber er hat damit seinen Charakter völlig geändert. Ein anderes anschauliches Beispiel liefert das Phänomen der Kunstauktion. Wenn ein Bieter unbedingt einen Goya, einen Schiele, einen van Gogh oder einen Cezanne sein eigen nennen möchte, dann steigert sich analog zu diesem BegehrenBegehren der Wert des betreffenden Gemäldes und wird ihn – bei entsprechendem Geldpolster – dahin bringen, ein Vielfaches des ursprünglichen Mindestgebots zu bezahlen. Dass heute die schillernden Produkte der Bildenden KunstKunst, Kunstwerk an Repräsentativkraft etwa das BuchBuch (als Medium) oder eine digitale Schallplatte (CD) weit übertreffen, hat mit der Einmaligkeit des auratischen DingeDinges – des bildenden Kunstwerks – zu tun.

      Es ist aufschlussreich, SimmelsSimmel, Georg Theorie des GeldesGeld mit jener von MarxMarx, Karl zu vergleichen. Ganz offenkundig stellt seine Theorie ganz bewusst ein Gegenmodell zu dessen objektiverobjektiv, Objektiv- Geldtheorie dar. MarxMarx, Karl‘ Theorie ist bekanntlich dualistisch: Jede Ware hat einen Gebrauchs- und einen Tauschwert. Ohne Gebrauchswert kein Tauschwert. Aber der Wert einer Ware bemisst sich für MarxMarx, Karl, den revolutionären Schüler des liberalen schottischen Ökonomen Adam Smith, nicht nach dem subjektivenSubjektivität, subjektiv BegehrenBegehren. Das Maß für den Wert eines Gegenstands auf dem Markt liefert die (gesellschaftlichGesellschaft, gesellschaftlich durchschnittliche) Arbeitszeit, die zu seiner Herstellung benötigt wurde, weshalb man diese Theorie des Werts auch Arbeitswerttheorie nennt. Während MarxMarx, Karl den Wert vom Standpunkt der Produktion aus sieht und in der Distribution ein variables Epiphänomen betrachtet, konzentriert sich SimmelsSimmel, Georg Philosophie des Geldes genau auf den Bereich, wo das Verhältnis des Menschen zu den Dingen sichtbar in Erscheinung tritt: auf die Distribution. BegehrenBegehren, sagt man, macht blind. Aber der Mensch, dieses nach den Dingen greifende und begehrende Lebewesen, ist keineswegs verrückt, auch wenn er etwa als Modenarr bezeichnet wird; vielmehr ist sein irrationales BegehrenBegehren mit einem durchaus kühlen und logischen Kalkül gepaart.

      Die SubjektivitätSachregisterSubjektivität, subjektiv des Menschen in der Geldkultur geht mit einer wachen und wachsenden Zweckrationalität einher. Das GeldGeld, das den direkten Warentausch überwindet, ist selbst schon ein Abstraktum, dessen einziger Wert darin besteht, wie MarxMarx, Karl zu Recht betont, dass es ein universelles Tauschmittel ist. Oder anders, nämlich kulturwissenschaftlicher formuliert: Es ist das MediumMedium unseres Begehrens.

      Die erste ‚Abstraktion‘ besteht also darin, dass ich für etwas arbeite, das ich selbst nicht begehre, das aber andere begehren, so dass ich mir das kaufen kann, was ich eigentlich wirklich begehre. Es sind aber andere Abstraktionen im zeitlichen Maßstab denkbar. Ich möchte unbedingt einen Gegenstand – ein Luxusauto, eine schöne Wohnung, den neuesten Computer –, aber ich habe nicht das entsprechende GeldGeld, um mein BegehrenBegehren zu stillen: Miete, Kredit und Leasing machen das Unmögliche möglich.

      In diesem dynamischen Prozess zunehmender Abstraktion wird die Barzahlung zum steinzeitlichen Akt deklariert (wie in einer WerbungWerbung für die Visa-Card); das GeldGeld verflüchtigt sich imaginär in die Visakarte. Die Karte, die das Geld unsichtbar macht, wird mit dem Akt des Sehens verknüpft, das im Wort „Visum“ steckt. Die Visa-Karte ist ein kultureller Sichtvermerk für die mit dem Geld vollzogene kulturelle Abstraktion. Dabei wird der durch das Geld repräsentierte Prozess des Wertens und Tauschens zum Selbstzweck. Im Tausch manifestiert und inszeniertInszenierung, inszeniert sich das BegehrenBegehren dessen, der es sich leisten und der es realisieren kann.

      Im zweiten Teil untersucht SimmelSimmel, Georg nun den modernenModerne, modern, -moderne Stil des LebensLeben, Lebens-, -leben. Das schließt die These mit ein, dass das GeldGeld, weit davon entfernt, ein neutrales MediumMedium zu sein, selbst ein kulturell prägender Faktor ist, der nicht nur das WirtschaftslebenLeben, Lebens-, -leben und die PolitikPolitik bestimmt, sondern auch unsere LebensformenLeben, Lebens-, -leben nachhaltig beeinflusst, ja konstituiert. Geld, so könnte man sagen, ist ein Medium, zumindest im Sinne eines weit gefassten Begriffs von Medium:4 Es ist Medium eines kommunizierten Begehrens. Jedes Geldstück in meiner Hosen- oder Rocktasche sagt potenziell zu jedem möglichen Gegenstand des Begehrens: Ich will Dich. SimmelSimmel, Georg untersucht also das Geld vornehmlich unter kulturellen Gesichtspunkten. Geld ist in seinen Augen das wichtigste Medium der modernen Kultur, wichtiger als alle Kommunikations- und InformationsmedienMedien, Medien-, -medien, medien-, in die vielfach die StrukturStruktur, strukturiert, strukturell des universellen kommunizierten Begehrens eingeschrieben ist. Dass dieses individuelleindividuell BegehrenBegehren konformistisch ist, besagt nichts gegen den soziokulturellen Tatbestand, dass jeder Akt des Begehrens individuell vollzogen werden muss.

      SimmelsSimmel, Georg Werk richtet sich expressis verbis gegen den ökonomischen DeterminismusDeterminismus des orthodoxen MarxismusMarxismus,


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