Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto

Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte - Louise Otto


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in der es nicht nöthig oder wohl ein Wunder war, daß ein Mädchen richtig schreiben konnte, sondern auch von fortschrittfreundlicher Seite dagegen Einwendungen erhoben und es heißt, daß die Mädchen überbildet würden, daß man Gelehrte aus ihnen machen wollte und daß sie doch von dem gewonnenen Unterricht nur sehr wenig profitirten. Ohne einzeln an jenen Instituten mäkeln zu wollen und ohne, weil es viele sehr oberflächliche, nur auf Gewinn berechnete unter ihnen giebt, gegen alle eifern zu wollen, sagen wir, daß es doch eben so oft nur an der Anschauung liegt, mit welcher die Mädchen von ihren Müttern in die Pension geschickt werden und mit welcher sie selbst dahin kommen, wie an den Instituten, wenn die Mädchen verbildet werden. Die meisten Institute richten sich nach den Bedürfnissen und Ansprüchen der Zeit – sie bieten das, was am Meisten verlangt wird, was geeignet ist ihnen die meisten Schülerinnen zuzuführen. Privatunternehmungen können kaum nach einem andern Grundsatz bestehen.

      Was wird aber verlangt? – In vielen Fällen eigentlich geradezu gar nichts! Man schickt die Mädchen eben nur in eine Pension weil es so Mode ist, weil es andere, namentlich vornehmere Bekannte auch thun, weil sie zu Hause im Wege sind, weil man ihnen so über die Zeit des sogenannten »Backfischthums,« wo sie nicht wissen ob sie sich zu den Kindern oder den Erwachsenen halten sollen, hinweghelfen will. Nach solchen Anschauungen sollen sie also in einer Pension nur gut aufgehoben sein – und das, was sie etwa dort lernen, wird als Nebensache betrachtet. In andern Fällen wünscht man wieder nur, daß sie mit dem Nimbus feinerer Bildung die Pension verlassen, wohl auch, daß sie viel lernen, um dann mit Kenntnissen und Künsten in der Gesellschaft prunken und dilettiren zu können. Und so kommen wir wieder auf das zurück, was wir gleich im ersten Abschnitt als Hauptfehler bezeichneten: es fehlt bei der weiblichen Bildung jeder Ernst und jeder Plan, es sei denn der einzige: sie um jeden Preis so zu gestalten, daß sie dem Mädchen zu einem Manne verhilft.

      Sonach ist das Wichtigste freilich, daß Mütter und Töchter gleicher Weise zu der Ueberzeugung gebracht werden, daß ein Mädchen das vorzugsweise lerne, was ihrem Fortkommen in der Welt am Besten nützen kann, das zu Lernende nicht nur als leichten Aufputz, von dem es gleich sei wie lange er aushalte und welchen Grad er erreiche, betrachte, sondern mit demselben Ernst wie der Jüngling: als nothwendige Aufgabe ihres Lebens. Sich selbst zu der Anschauung zu erheben, daß kein Mädchen ihre Jugend mehr nutzlos verschwenden dürfe, daß auch sie einen Selbstzweck habe, daß auch sie sich so vorbereiten müsse, um nicht nur in einem Fall, der vielleicht gar nicht eintritt, sondern auf alle Fälle ein nützliches und Niemandem zur Last fallendes Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden – in dieser Anschauung und ihrer Verbreitung liegt der hauptsächlichste Anfangspunkt der weiblichen Selbsthilfe. Ihr Geltung zu verschaffen sollte das Hauptbestreben jedes weiblichen Wesens sein, das nicht mehr sich selbst und ihr ganzes Geschlecht dem Spiel des Zufalls preisgegeben sehen will.

      Nach dieser Anschauung zu handeln ist die Selbsthilfe, mit der jedes Mädchen, jede Frau an sich selbst zu beginnen hat. Eine jede, die ohne dafür eine nützliche Gegenleistung zu thun, sich von Andern ernähren läßt, möge dies als dieselbe Schande empfinden, welche der Mann empfindet und sie möge ihr zu Theil werden wie ihm, der arbeitskräftig ist und doch in Müssiggang und Erwerbslosigkeit seine Tage verbringt. Ist dieser Grundsatz nur allgemein, so werden sich dann weitere Consequenzen aus ihm entwickeln. Aber er kann sich um so langsamer Bahn brechen, je mehr Vorurtheile sich ihm entgegen stemmen. Mit Wort und That und eignem Beispiel muß jede Frau diese bekämpfen, wo immer sie von ihr gefunden werden.

      Die Verfasserin ist um so mehr berechtigt dies zu fordern, als sie ihr ganzes Leben lang nach diesem Grundsatz gehandelt und ihre heiligste Lebensaufgabe in ihm gefunden hat.

      Und wenn wir von der Selbsthilfe der Frauen reden, so ist es wohl am Orte hier einen Blick auf die Gestaltung derselben wie der ganzen Frauenfrage seit den letzten Jahrzehnten zu werfen.

      Als zu Anfang der dreißiger Jahre eine französische Frau Aurora Dudevant, unter dem Namen Georges Sand, ihre in glühender Sprache geschriebenen Romane gleich Brandraketen in die Welt sandte, die halb verblüfft, halb staunend und halb mäkelnd die neue Erscheinung betrachtete – und als dann später in Deutschland einige Schriftstellerinnen sie nachzuahmen suchten, ohne nur entfernt dem Flug eines Genius folgen zu können, dessen Schwingen sie nicht besaßen – da kam mit der Redensart auch die ganze Frage von der Emancipation des Weibes in Mißkredit und jeder über die enggezogenen Grenzen des Familienlebens hinausstrebenden Frau blieb beinahe nichts übrig, als sich zuerst feierlich zu verwahren zu jenen Emancipirten zu gehören. Damals waren die Bestrebungen der Frauen rein persönlich, sie galten nur der individuellen Freiheit. Die Abhängigkeit der Frauen von den Männern, namentlich in der Ehe, der Widerspruch der hergebrachten Sitten mit der wahren Sittlichkeit, die Ungleichheit der Rechte, in welcher die Frauen nicht allein der bürgerlichen Gesetzgebung gegenüber, sondern auch vor dem Richterstuhl der herrschenden Begriffe von Moral und Pflicht erscheinen – und all' die aus dem Widerspruch der Regungen des Herzens und der Natur mit den üblichen Gebräuchen und bestehenden Anordnungen entspringenden tragischen Conflicte – dies waren damals die Motive, welche die Frauen mit ihrer Persönlichkeit oder mit ihrer Feder oder mit beiden zugleich auf den öffentlichen Kampfplatz hinaustrieben, auf dem allein derartige Fragen zu lösen sind. Es war ein Kampf der mehr durch das Interesse der eignen Persönlichkeit als durch eines an der Allgemeinheit angeregt war und der darum auch mehr mit den Waffen der Eitelkeit als der Begeisterung geführt war und mehr darauf hinauslief diese Persönlichkeit selbst in den Vordergrund zu drängen, statt sie im Dienst der Allgemeinheit freudig zu vergessen oder aufzuopfern. Es war ein Dienst der Subjectivität, wie er damals keineswegs allein bei den sich damit in den Vordergrund drängenden Frauen, sondern auch bei den Männern im Leben und in der Literatur der Grundzug der ganzen Bewegung war, deren Frische eben darum in Keckheit, ja theilweise in Frechheit ausartete, so daß sie damit der Sache schadete, sie in Mißkredit brachte und nur dadurch schließlich nützte, daß sie zum warnenden Beispiel ward, vor welchen Elementen man sich künftig zu hüten habe, um die Fahne des Fortschritts nicht in unreinen Händen und durch diese selbst in den Staub gezogen zu sehen.

      Es war im Jahre 1844, als in den von Robert Blum redigirten »Sächsischen Vaterlandsblättern« die Frage aufgeworfen ward: »Haben die Frauen ein Recht zur Theilnahme an den Interessen des Staates?« Damals schrieb ich meinen ersten Zeitungsartikel und beantwortete die Frage so: »Die Theilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht allein ein Recht, sie ist eine Pflicht der Frauen.« Ich unterschrieb den Artikel: »Ein sächsisches Mädchen,« und sandte ihn zitternd ab. Als es geschehen war – ich hatte sonst noch nichts als meinen Erstlingsroman veröffentlicht und schrieb nebenher in den von Ernst Keil redigirten »Wandelstern« unter dem Namen Otto Stern, auch nur den männlichen Pseudonymen wählend, weil eine Schriftstellerin damals kaum wagen durfte Politik und Kritik zu treiben, wie ich daselbst that – als es geschehen war, wußte ich in der That nicht, ob ich ein Verbrechen oder eine Heldenthat begangen, ich wußte nur: daß ich nicht anders gekonnt hatte. Der Artikel erschien mit einer öffentlichen Aufforderung begleitet: mehr in diesem Sinne zu schreiben – ich that es dort wie in Blum's Taschenbuch »Vorwärts« und nannte mich nun. – Was ist nun heutzutage dabei, wenn ein weiblicher Name, sei seine Trägerin nun jung oder alt, in einer politischen Zeitschrift unter den Mitarbeitern steht? Damals ward es aber allerdings aufgefaßt von der einen Seite wie ein Verbrechen und von der andern wie eine Heldenthat! Fast nie hab' ich so viele Briefe von Fremden voll Zustimmung erhalten wie damals, fast nie aber auch so viele Vorwürfe, Warnungen, Mahnungen von Freund und Feind. Ich war ein junges verwaistes Mädchen und hatte wohl in den Kreisen meiner Kleinstadt wie der nahen Residenz immer für etwas »überspannt« gegolten und das rettete meinen »Ruf« – als »Unglück« aber ward es doch betrachtet, daß ich mich um öffentliche Angelegenheiten bekümmerte – Tendenzromane schrieb und politische Gedichte als »Lieder eines deutschen Mädchens« herausgab. – Und als die politische Bewegung von 1848 eine neue Aera heraufzuführen schien, da war natürlich auch die Bewegung der für die Zeit empfänglichen Frauen eine politische. Zur Zeit der Befreiungskriege von der Fremdherrschaft vor funfzig Jahren hatte unter den Frauen schon eine ähnliche Begeisterung geherrscht, ein ähnliches Heraustreten Einzelner für die Sache der Allgemeinheit: damals war es geschehen auf Grund des Patriotismus – 1848 geschah es auf Grund der Politik, der Demokratie. War auch der größte Theil der Frauen auf der Seite jener Fanatiker der Ruhe, welche den Sieg der Freiheitsbestrebungen


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