Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto

Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte - Louise Otto


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verherrlichten deutschen Frauen je eine solche unwürdige Stellung hätten gefallen lassen. Und wenn aber wieder ein paar Jahrhunderte um sein werden, wird es wieder andere deutsche Frauen geben, welche gutmüthig lächeln werden über unsere heutigen Reformbestrebungen und sich nicht werden denken können, daß dergleichen jemals nöthig gewesen, noch weniger begreifend wie viel Kämpfe, wie viel Verketzerungen und Mißdeutungen sie uns gekostet haben! Das ist der große Trost, den die Lehren der Geschichte geben! Aber wir brauchen gar nicht so weit zurückzugehen.

      Die Geschlechtsvormundschaft besteht noch in einigen deutschen Staaten – in andern ist sie abgeschafft. Auch als dies geschah – Sachsen war bekanntlich einer der ersten deutschen Staaten, der sie aufhob, schon in den dreißiger Jahren – ward erst lange darüber debattirt, ob dies nützlich sei oder nicht – ob man die Frauen als mündig vor dem Gericht erklären könne – und es war dies in der That beinahe der wichtigste Schritt nach vorwärts, den die Geschichte der Frauen aufzuzeigen hat, nur daß er eben von den Frauen selbst in seiner ganzen Größe kaum genug gewürdigt ward.

      Die Sache war nämlich die: Der Vater ist der natürliche Vormund seiner Tochter und wenn dieselbe heirathete, so ging diese Vormundschaft auf ihren Mann über. War nun die Frau Wittwe geworden, so mußte sie sich einen Curator wählen, ohne dessen Bewilligung und Unterschrift sie keine Contracte eingehen noch sonst eine gerichtliche Verfügung treffen konnte – ihre Unterschrift allein hatte keine Gültigkeit. Innerlich unselbstständige und beschränkte Frauen fanden diese Einrichtung sehr bequem, sie hatten ja einen Beistand und waren von vielem Nachdenken und jeder Verantwortung befreit; reichen Wittwen z.B., die um Darlehen oder dergleichen angegangen wurden, war es sehr bequem dasselbe mit der kurzen Phrase ablehnen zu können: »mein Curator will es nicht!« Die Demüthigung, die für sie selbst in dieser Antwort lag, empfanden sie nicht – sie war durch das Herkommen geheiligt. Auch kluge Frauen profitirten bei dieser Einrichtung, jene Ausrede blieb ihnen, und damit der Curator nur das wollte, was sie selbst wollten, wählten sie sich dazu entweder einen bewährten Freund oder noch lieber den dümmsten Mann, den sie finden konnten, der sich ohne Widerreden ihren Angaben unterordnete und den sie wohl auch dafür bezahlten. Um das Princip bekümmerten sie sich nicht – es war eine Einrichtung etwa wie in der Presse zur Zeit der Censur. Wir, die wir noch unter Censur geschrieben und gegen sie gekämpft haben, wissen es recht gut, daß es viel bequemer unter ihr sich schrieb – man hatte keine Verantwortung, es gab nicht so leicht Preßprozesse, denn der Censor strich ja was einen solchen hätte veranlassen können – man brauchte sich nicht selbst die eignen Flügel zu beschneiden wie jetzt, wo man sein eigner Censor sein muß – und dennoch wird kein Schriftsteller von Ehre die Censur zurückwünschen, denn sie war ein unmoralischer, entwürdigender Zustand – und eben so wird keine Frau von Ehre die Zeiten der Geschlechtsvormundschaft zurückwünschen.

      Aber leider lassen die Consequenzen dieser Befreiung, dieser in Wahrheit gesetzlich festgestellten Emancipation noch sehr auf sich warten und zwar hauptsächlich mit durch die Schuld der Frauen und ihrer Scheu vor diesen Consequenzen. Man gestattet ihnen Bürgerinnen zu werden, Liegenschaften aller Art zu erwerben und selbstständig zu verwalten, Geschäfte der mannichfachsten Branchen zu etabliren, an jedem Actienunternehmen sich zu betheiligen: – wenn aber irgendwo eine Versammlung und Berathung statt findet in einer dieser Angelegenheiten: so lassen sie sich durch Männer vertreten oder wo es nicht nöthig ist, thun sie vielleicht nicht einmal dies. Und weil sie selbst von dem ihnen zustehenden Recht keinen Gebrauch machen, wird es ihnen stillschweigend, gleichsam von selbst entzogen und dies nachher damit entschuldigt: die Frauen kommen ja doch nicht! – so werden sie nur darum um ihr Recht betrogen, weil sie sich darum betrügen lassen, es nicht zu schätzen, nicht zu wahren verstanden – und man könnte sagen: damit geschieht ihnen ganz recht, wenn nicht es doch einzelne Unschuldige gäbe unter der Majorität der Schuldigen! Doch wir gerathen hiermit in das Gebiet des folgenden Abschnittes, der allerdings an diesen nothwendig sich anschließt; denn die Selbstständigkeit führt zur Selbsthilfe und ohne diese der Einzelnen kann wieder jene für Alle nicht errungen werden!

      V. Selbsthilfe

       Inhaltsverzeichnis

       Nur was man durch eigene Kraft erringt hat einen Werth. Kindererziehung. Selbstzweck der Mädchen. Pflicht sich selbst zu erhalten. Weibliche Bestrebungen für das Frauen-Recht im Dienst der Subjectivität, der Politik, des Sozialismus. Die Gründung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins. Das Recht der freien Selbstbestimmung.

      Wer sich nicht selbst helfen will, dem ist auch nicht zu helfen, ja er verdient nicht einmal, daß ihm geholfen werde! –

      Nur was man durch eigene Kraft erringt, hat einen Werth. –

      Die Geschichte aller Zeiten und die unsrige ganz besonders lehrt es, daß Diejenigen auch vergessen wurden, welche an sich selbst zu denken vergaßen! welche nicht entschieden eintraten für ihre Rechte, welche unthätig stehen blieben, indeß die Andern um sie her rüstig arbeitend im Dienst des Fortschrittes weiter und weiter schritten.

      Unzählige Male ist es schon gesagt worden, daß die Lage der Arbeiter nur verbessert werden kann durch den Willen der Arbeiter selbst, durch ihre eigene Kraft, daß alle unterdrückten Völker nur frei werden können, wenn sie in ihrer Bildung und Entwicklung so weit vorgeschritten sind, daß sie wirklich frei werden wollen – und ganz Dasselbe muß man auch in Bezug auf die Frauen wiederholen.

      Jene sittliche Charakterstärke, mit welcher Lessing sagen konnte: »Kein Mensch muß müssen!« ist nicht nur von den Männern, sie ist auch von den Frauen zu fordern, wenn es in Wahrheit besser werden soll, und wenn er sogar betete: »Ich will! gieb mir, o Gott, zu wollen, daß ich will!« so darf jede Frau durchdrungen von solcher Frömmigkeit zum Himmel aufblickend das Wort wiederholen. – »Hilf dir selbst und der Himmel wird dir helfen!« ist ein gutes altes Sprichwort, das sich noch immer bewährt hat und das wir sehr gut zum Motto unsres ganzen Strebens wie auch dieses Werkchens wählen könnten.

      Nur die eigne Kraft vermag den Menschen zu adeln, zu erheben, die eigne Kraft, deren Entfaltung und Stärkung Gottes Wille ist, welcher jedes Wesen dazu schuf, daß es alle Fähigkeiten entfalte, die in ihm schlummern, daß es nach freier Entwicklung und sittlicher Vollendung strebe. Wer sich, ohne seine eigne Kraft anzustrengen, in Trägheit und Stumpfheit verharrend, auf Anderer und sei es selbst auf Gottes Hilfe verlassen will, der ist verlassen, denn er macht sich derselben unwürdig, er versündigt sich an seinen Mitmenschen, die sich seiner annehmen, ohne daß er es verdient und versündigt sich noch mehr an Gott selbst, der ihm in seiner Schöpferweisheit Kräfte gab, die er gebrauchen und entwickeln, aber nicht niederhalten und zerstören sollte. Auch für uns giebt es keinen schöneren Trost in jedem Leid, kein beseligenderes Gefühl in jedem Glück, keinen größeren Sporn für unser Streben: – als ein unerschütterliches Gottvertrauen, ja, auch wir sind trotz alles Stolzes auf unsre eigne Kraft demüthig genug um fromm zu bekennen, daß es mit ihr allein auch noch nichts gethan ist, sondern daß eine höhere Macht beides geben muß: das Wollen und das Vollbringen – aber wir würden uns scheuen aufzublicken zu dieser höhern Macht, wenn wir das Bewußtsein in uns trügen nicht zuvor und zugleich Alles gethan zu haben was in unsern Kräften war, um ein uns vorschwebendes Ziel zu erreichen.

      Und dieses einfachste Recht der Menschenwürde kann Niemand den Frauen vorenthalten und wo es versucht werden sollte, da müssen sie mit dem ganzen Bewußtsein ihrer sittlichen Würde sich so lange widersetzen, bis denn endlich doch der Sieg der Humanität zu einem allgemeinen wird.

      Sobald jedes Mädchen von dem Bewußtsein durchdrungen ist, daß es selbst mit einstehen muß für sein Geschick, sobald wird es auch aufmerksamer über sich selbst wachen in jeder Beziehung und nicht mehr Andere für sich denken, handeln und entscheiden lassen – und nur das allein ist eines sittlichen Wesens würdig. –

      Wenn in irgend einem verworrenen Zustand eine Entwirrung eintreten soll, so weiß man gewöhnlich nicht, von welcher Seite die Sache zuerst anzufangen sei, oder vielmehr es kommen dabei sehr widersprechende Ansichten zu Tage. So ist es namentlich mit der durch die Schuld der Jahrhunderte sehr verwickelt gewordenen Frage von der Stellung der Frauen, von ihren Pflichten


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