Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto
Inhaltsverzeichnis
Selbst stehen, sich selbst bewachen, selbst ernähren. Rettung des wahrhaft Weiblichen. Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft.
Selbstständig kann schon dem Sprachgebrauch nach nur sein, wer selbst zu stehen vermag, d.h. wer sich selbst auf seinen eigenen Füßen und ohne fremde Beihülfe erhalten kann.
Den Frauen zu dieser Art der geforderten Selbstständigkeit zu verhelfen ist der wichtigste Schritt – für alles Uebrige brauchen wir dann kaum noch weitere Forderungen zu stellen, kaum zu kämpfen – es wird von selbst folgerichtig kommen.
Freilich werden sich durch den Grundsatz, der jede Frau für selbstständig erklärt, welche die Fähigkeit besitzt sich selbst zu ernähren, – ein Grundsatz, der sich ganz von selbst durch die erweiterten Gelegenheiten, von einer solchen Fähigkeit immer besseren Gebrauch zu machen, in das bürgerliche Leben einführen wird, – auch die bürgerlichen Gesetze modeln müssen. Denn – diese gebieten nicht über die Verhältnisse, sondern sie unterliegen ihnen: d.h. wenn der Fortschritt mächtig genug geworden, neue Gesetze und Gerechtsame für diese und jene Einrichtung zu erheischen, werden dieselben auch in's Leben gerufen, nicht durch brutale Willkür, sondern durch den gereiften Volkswillen, der das überlebte Alte nicht mehr duldet und das bessere Neue zur Geltung bringt, wenn auch langsam und kämpfend, nur Schritt vor Schritt, das neue Gebiet erobernd. So gut wie der Zunftzwang allmälig überall fiel, als er sich überlebt hatte und die Gewerbefreiheit an seine Stelle trat, so gut wie überall die Zollschranken fallen, so gut werden auch alle die Schranken allmälig beseitigt werden, welche jetzt noch die Frauen in ihrer Selbstständigkeit, in ihren Rechten beschränken, sobald man nur einmal eingesehen hat, daß die Frauen verdienen selbstständig zu sein, weil sie es sein wollen und durch eigene Kraft sich schon dasjenige Maaß davon selbst errungen haben, das man ihnen nicht gewaltsam vorenthielt. Und so wird sich vorerst auch die Stellung der Frauen im täglichen Verkehr etwas anders gestalten müssen, als sie jetzt im Allgemeinen noch ist.
Wir haben uns dabei mehr mit den gebildeteren Ständen zu beschäftigen. Denn nur in ihnen gilt es noch häufig als Norm, daß ein junges Mädchen stets unter den Augen der Mutter leben müsse, daß es nicht ohne ihre oder irgendwelche Begleitung eines älteren Wesens sich auf der Straße zeigen dürfe; auch von der verheiratheten Frau wird es häufig unpassend gefunden, wenn sie ohne Beisein ihres Mannes mit andern Männern redet oder für sich allein spazieren geht, selbst die Wittwe, selbst das alternde Mädchen erregen Befremden, wenn sie es wagen, allein spazieren, in irgend ein Conzert, wo man ohne Sperrsitz Platz nehmen muß, oder in irgend ein öffentliches Gartenlocal zu gehen, und das Alleinreisen der Damen ist erst seit neuester Zeit – Dank dem Beispiel der in dieser Beziehung vorurtheilslosen Engländerinnen und den gar zu vermehrten Reisegelegenheiten! – nichts ganz Unerhörtes mehr, wird aber von vielen Seiten noch immer bedenklich gefunden. Man läßt es allenfalls gelten, wenn eine Dame allein von Süd- nach Norddeutschland oder umgekehrt reist, um daselbst Bekannte zu besuchen oder mit irgend einem bestimmten Zweck – daß sie aber allein reist um zu reisen, eine Rhein-, Schweiz-, oder welch andre Gebirgsreise immer zu machen, das findet man eben nicht sehr passend. Soll die Verwunderung darüber nur ausdrücken, daß es langweiliger sei eine Vergnügungsreise allein zu machen als an der Seite eines befreundeten Wesens, so müßte man auch über den Mann sich wundern, der eine solche Reise allein unternimmt – aber das geschieht durchaus nicht. Und dabei sollte man doch bedenken, wie gerade unter Männern die Kameraderie so viel leichter ist wie unter Damen, wie viel schneller zwei Männer sich ohne gêne zusammenfinden und sich aneinander schließen als Damen, denen schon das angeborne Zartgefühl nicht gestattet z.B. ein Zimmer mit einer Dame zu theilen, die nicht ihre intimste Freundin ist u.s.w. Wozu noch kommt, daß es wenigstens zur Zeit noch viel weniger selbstständige Damen giebt als Männer, welche die Mittel zu einer Vergnügungsreise erübrigen können – Mittel, nicht groß genug um etwa eine Begleiterin frei zu halten – und daß darum auch viel seltener zwei befreundete Damen zugleich Reisepläne und noch dazu dieselben haben, wie zwei befreundete Männer. Und doch giebt es kein reineres, kein zugleich dauernderes Vergnügen als das, welches eine Reise zu gewähren vermag. Denn die schönen Eindrücke, die wir durch die Wunder der Natur und die Werke der Kunst empfangen, bleiben uns für's Leben und die Erinnerung daran wird durch nichts getrübt, wie es so oft die Erinnerungen an andere glückliche Stunden und Zeiten werden, wenn die Personen, mit denen wir sie verlebten, uns geraubt sind, sei es durch den Tod, sei es durch Wandlungen noch bittrerer Art. Und darum sind auch jetzt gerade mit vollem Recht ältere alleinstehende Damen so viel auf Reisen, weil sie dabei ein Glück empfinden, das auf keiner Täuschung beruht und vielleicht die einzige Entschädigung für ein berufsloses Leben ist. Aber selbst solche Damen, die Jugend und Schönheit und alle Ansprüche derselben hinter sich haben, daß man sie allenfalls ruhig ohne Begleiterin reisen sieht, dürfen es kaum wagen mit einem Begleiter zu reisen – obwohl es doch so natürlich wäre sich für fremde Gegenden und gegen fremde Menschen, mit denen das Reiseleben in Berührung bringt, einen Beschützer zu wünschen – es werden sich immer noch Splitterrichter finden, die das als unpassend bezeichnen, was doch gerade das ganz Passende wäre, da wir ja die Männer ohne Widerrede als das »starke Geschlecht« bezeichnen, als die naturgemäßen Beschützer des weiblichen! Es bürgt keineswegs für die Sittlichkeit einer Nation oder Gesellschaft, wenn man in den natürlichsten und einfachsten Dingen etwas Anstößiges findet! wenn man jedes Zusammenkommen von Personen zweierlei Geschlechts beargwohnt, jede Freundschaft zwischen ihnen – selbst dann, wenn beide schon Jugend und Liebe hinter sich haben – als ein unpassendes Verhältniß bespöttelt, wohl gar als ein unsittliches darstellt und verurtheilt. Solche Verurtheilungen und Beargwohnungen, die namentlich in Deutschland zur Tagesordnung gehören, zeigen nur, was es mit den schönen Redensarten von den Männern als den natürlichen »Beschützern« des weiblichen Geschlechts, der reinen Jungfräulichkeit, die ihre sicherste Waffe in sich selbst hat, der innern Würde der Frauen denn eigentlich für eine Bewandtniß hat! All' dem entgegen sagen solche Beargwohnungen, die meist zu den niedrigsten Verleumdungen wachsen: die Männer sind nicht die Beschützer der Frauen, sie sind ihre Verfolger und gerade gegen sie ist Schutz vonnöthen – die Jungfräulichkeit hat keine andere Waffe als die der Flucht, des Versteckens hinter Schloß und Riegel – die Würde der Frauen ist keine innere, die überall sich gleich bleibt, sie ist nur eine äußere, an die Niemand mehr glaubt, sobald der für ihre Aufrechterhaltung nöthige Apparat: häuslicher Heerd, Familie und Geschlechtsgenossinnen, einmal nicht mehr an ihrer Seite ist!
Die gerühmte Sittsamkeit der deutschen Mädchen und Hausfrauen erscheint sonach als nichts Anderes als das Resultat eines stets auferlegten Zwanges, des Fernhaltens jeder Gelegenheit dawider zu verstoßen – sie ist im besten Falle die Unschuld eines ungeprüften, stets beaufsichtigten Kindes, das die Mutter nicht eher von ihrer Hand los ließ, bis sie ihr Aufsichtsrecht einem Gatten übertragen konnte – im schlimmeren das erzwungene Product einer fast unerträglich befundenen Sklaverei, das sofort vernichtet ist, wenn das gewaltsam aufgezwungene Joch einmal gebrochen wird – in keinem Falle aber ist sie die Tugend eines selbstständigen Wesens, das jeder Leitung und Aufsicht entbehren kann, weil es seiner selbst gewiß ist.
Dasselbe Beispiel, das wir bei den Jünglingen erleben, die z.B. im geschlossenen Pferch einer klösterlichen Schule sechs Jahre lang durch Zwang moralisch und fleißig erhalten worden sind, dann, wenn die Fessel gebrochen, auf der Universität das flotteste und faulste Leben führen, indem andere, die diesen Zwang nicht kannten, ruhig in den einmal eingeschlagenen besseren Gewohnheiten verharren, das sehen wir auch bei den Mädchen. Diejenigen, die schon immer ein richtiges Maaß von Freiheit genossen, wissen sich auch in ein freies Leben, das ihnen vielleicht durch den Tod der Mutter oder irgend einen Kunstberuf oder einen vorurtheilslosen Gemahl wird, mit jenem weiblichen Takt zu finden, der doch nicht allein angeboren ist, sondern das Resultat wirklich guter Erziehung und eines selbstständigen Charakters, der sich nur bei ihm gelassener Freiheit entwickeln kann, indeß diejenigen, die fortwährend in ängstlicher Obhut und strengster Beaufsichtigung gehalten wurden, nun diese wegfällt, die plötzliche Freiheit leicht mißbrauchen und in vollständiger Haltungslosigkeit durchs Leben taumeln, weil man ihnen bisher nur durch Verhältnisse und Personen einen äußern Halt, nie aber einen innern gegeben.
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