Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto

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machen. Die Empfindungen einer Schwester, die den Bruder in den Tag hineinleben sieht und da, wo er auch noch in derselben Lage ist wie sie, d.h. in der der Erwerbsunfähigkeit, doch täglich für Cigarren, Bier und andere entbehrliche Dinge mehr ausgiebt, als sie wöchentlich, vielleicht monatlich zu ihrem Taschengeld erhält – und dabei das Bewußtsein, daß ihm alle Mittel geboten werden sich Kenntnisse, einen Wirkungskreis, eine selbstständige Stellung dereinst zu erobern, indeß sie einen Tag wie den andern nutzlos dahin lebt in steter Beschränkung ohne Zweck und Ziel – diese Empfindungen kann man sich denken!

      Es giebt nur ein Ziel für das Mädchen! hat man ihr gesagt und es ist eben verzeihlich, wenn sie danach greift.

      Und nun sind wir wieder am Anfang dieses Abschnittes. Das Mädchen ist im Begriff in die Ehe zu treten und wir wollen annehmen, es sei nicht nur der Wunsch das Elternhaus zu verlassen, nicht egoistische Berechnung – es sei Liebe, was sie zum Altar führe und Liebe sei es auch, was den Mann bestimme ihr seine Hand zu reichen – sind sie sich auch ihrer Aufgabe klar bewußt und haben sie beide Kraft und Ausdauer genug, wirklich ihren hohen Beruf zu erfüllen, sind sie vorbereitet auf denselben?

      Als Johann Heinrich Voß, der Verfasser der Idylle »Luise« seine Ernestine heirathete, hatte das Paar eine aus Stube und Kammer bestehende Wohnung nur mit den allernothdürftigsten Möbels versehen – Voß dichtete an demselben Tische, an dem Ernestine nähte oder die Vorbereitungen zur Mahlzeit traf. Als es ihnen, nachdem sie schon einige Zeit verheirathet waren, möglich ward sich den ersten Schrank anzuschaffen, so ward seine Ankunft wie ein glückliches Familienereigniß gefeiert. In solchen beschränkten Verhältnissen lebte einer der ersten Gelehrten und Dichter seiner Zeit – wo sind jetzt die Schriftsteller, die, um schaffen und arbeiten zu können, nicht ihr eignes abgeschloßnes Zimmer brauchten und wo sind die Ernestinen, die eine solche Häuslichkeit erträglich finden? Nicht die Liebe, nur der genügsame Sinn von damals ist abhanden gekommen, nur die Gewohnheiten sind andere geworden. Der Fortschritt hat es so mit sich gebracht und es ist gut so. Die Liebe von heutzutage würde trauern, ihren Gegenstand in einer ärmlichen, wohl gar unwürdigen Umgebung zu sehen – und wenn uns jene Liebe in ihrer Behaglichkeit in den kleinsten Verhältnissen, in ihrem heitern Ertragen aller Entbehrungen etwas unendlich Rührendes hat, so vermögen wir doch mehr mit der Liebe zu sympathisiren, die ihre ganze Kraft einsetzt, um dem geliebten Gegenstand von den Annehmlichkeiten des Lebens wenigstens das zu verschaffen, was das häusliche Behagen erhöhen kann. Und so mögen denn Beide, Frau und Mann, zugleich Arbeit und Streben miteinander theilen.

      Wenn man in früheren Zeiten feststellte: der Mann muß erwerben, die Frau erhalten, so hatte dies seine vollkommene Berechtigung. Eine Hausfrau von ehemals hatte allerdings viel zu thun und in jedem Hausstand waren weibliche helfende Hände willkommen. Alle die unzähligen Bedürfnisse für die Hauswirthschaft, für deren Herstellung jetzt die Industrie, die Fabrikation sorgt, mußten sonst im Hause selbst beschafft werden. Man buk, schlachtete, wusch im Hause, man pökelte und räucherte das Fleisch und bewahrte alle Arten Früchte und Gemüse für den Winter auf, jegliches nach seiner besonderen Weise. Man sott die Seife selbst und es gehörte zu all' diesen und andren häuslichen Verrichtungen so viel Umsicht, Aufsicht und Mühe, daß es wirklich für jeden Mann von Werth sein mußte eine Hausfrau zu bekommen, welche alle diese Dinge auf's Beste und Billigste zu ordnen verstand. Es gab da in der That durch sie in einer Wirthschaft viel zu erhalten und auch viel zu erlernen, ehe sie sich in dieselbe begab – aber jetzt, wo derartige Wirthschaften nirgend mehr existiren und wo es ein lächerlicher Luxus wäre sie noch führen zu wollen, – jetzt sind die Töchter im Hause ohne Beschäftigung und hat die Hausfrau, die keine Kinder und nicht zufällig durch das Geschäft ihres Mannes oder Pensionaire und dergleichen einen größeren Wirkungskreis hat, so unendlich wenig zu thun, daß es ihre Pflicht ist, die frei gewordene Zeit, die einst ihre Mutter und Großmutter zum Erhalten in der Wirthschaft brauchte, nun auch zu einer nutzenbringenden Thätigkeit zu verwenden. Gegenwärtig aber ist eine Frau in der That ein Luxusartikel geworden, das Dienstmädchen hat ausreichend Zeit, die kleine Wirthschaft allein zu besorgen und die Frau wird höchstens das Bewußtsein haben, ihrem Gatten sein Lieblingsgericht nach seiner Weise – die endlich aber auch der Dienerin beizubringen ist – zuzubereiten und seine Wäsche auszubessern; schon die Genugthuung ihm dieselbe zu nähen, die ihr früher noch ward, hat sie nicht mehr, denn die Arbeit der Nähmaschine verdrängt die Handarbeit – auch diese wird zum Luxus, wenn die darauf verwendete Zeit sich besser verwerthen läßt. – Was für eine Vorbereitung gehört denn also dazu einen so einfachen Haushalt zu führen, daß ihr die schönste Jugendkraft gewidmet werden müßte? Ein Mädchen, bei dem Verstand und Gemüth allseitig gebildet sind, das den Willen hat aus Liebe zu dem Gatten und aus Ehrgefühl und Pflichttreue eine gute Hausfrau zu sein, wird sich in diese ganze Kunst mit Leichtigkeit finden; schwerer mag es immerhin werden auch die Pflichten der Mutter in ihrer ganzen Größe zu erfüllen, ohne vorher darauf vorbereitet zu sein. Indeß geschieht diese Vorbereitung auch meist gar nicht, höchstens durch die Praxis und Empirie des Zufalls da, wo ein erwachsenes Mädchen noch kleine Geschwister bekommt oder wo es einer älteren Schwester in der Pflege der Kinder beisteht. Es herrscht eben auch hierbei die ganze Planlosigkeit der weiblichen Erziehung: Alles wird den Zufälligkeiten der Verhältnisse überlassen, ein leitendes Princip ist nirgend zu entdecken. Im Allgemeinen verläßt man sich auf den Grundsatz: wem der Himmel ein Kind giebt, dem giebt er auch die Fähigkeit es zu erziehen – und die Erfahrung lehrt doch oft genug gerade das Umgekehrte! Das erste Kind einer Mutter ist, wie Virchow sagt, gewöhnlich ihr »Probekind,« sie lernt erst an ihm, wie man ein Kind zu pflegen und mit ihm umzugehen hat, sie tastet bei seiner körperlichen und geistigen Pflege ganz im Unklaren umher – und am Ende läßt auch sie den Zufall entscheiden, sich vielleicht damit tröstend, daß die hilflosen Kleinen in Gottes besonderer Obhut stehen!

      Fern sei es trotzalledem, daß wir uns etwa selbst so widersprechen und nun mit Göthe sagen wollten, man solle die Mädchen zu Müttern erziehen, nachdem wir gleich Anfangs erklärt haben, daß die Hälfte der Mädchen das niemals werde, worauf man allein sie anweisen wolle und daß es Barbarei sei etwas, was möglicher Weise niemals erreicht werde, als einziges Lebensziel hinzustellen. Wir wollten nur zeigen, daß man in der Gegenwart die Mädchen eigentlich auf gar nichts vorbereitet, nicht einmal auf das, was man ihre »Bestimmung« nennt und womit man sich entschuldigt, daß sie auf nichts Anderes vorbereitet werden.

      Wir aber halten es für Pflicht jeder Familie, die Mädchen so gut wie die Söhne vor allen Dingen zuerst zu brauchbaren, guten und edlen Menschen zu erziehen und dazu nicht den Einen die Mittel zu versagen, die man den Andern gewährt.

      Jedes liebende Paar hat die moralische Verpflichtung, nicht eher eine Familie zu gründen, bis es gewiß ist über die Mittel verfügen zu können, sich selbst und andere Glieder dieser Familie zu erhalten. Dazu bedarf es keiner Reichthümer, keines Kapitals, das oft nur zu bald in alle Winde verflattert – dazu bedarf es nur des Willens für und miteinander zu arbeiten, irgend einer für die Bethätigung dieser Arbeitskraft gewonnenen Basis und des Entschlusses, seine Bedürfnisse nach seiner Arbeitskraft zu richten, und es wird gelingen nicht nur selbst sich in einer menschenwürdigen Existenz zu behaupten, sondern auch die Kinder zu einer solchen zu erziehen. Dies Ziel wird natürlich um so eher erreicht werden, wenn nicht allein der Mann erwirbt, sondern wenn die Frau ihm mit erwerben hilft, wenn die Arbeit fort und fort das Grundprincip des Hauses bleibt und keine müßigen Hände in ihm geduldet werden.

      Und so, wenn wir es zur Pflicht einer jeden Familie machen, nicht nur ihren Söhnen, sondern auch ihren Töchtern durch Erziehung und Vorbildung zu irgend einem sie nährenden Beruf eben sowohl den idealen Aufschwung eines selbstbewußten Strebens als die Beruhigung zu geben, sich selbst durch eigne Kraft Unterhalt und Stellung im Leben erringen zu können, ohne beides fortgesetzt Andern danken zu müssen, werden sich auch die Zustände bald so gestalten, daß die Frauen ausreichend Gelegenheit finden, das zu bethätigen, wozu sie erzogen sind.

      Die Familien sind es ja, welche den Grundpfeiler der socialen Ordnung und des Staates bilden – was in ihrem Schoos beschlossen worden, zur Geltung gekommen ist, das gelangt auch allmälig in den herrschenden Zuständen zur Geltung, und wir werden in dem Folgenden sehen, wie die schon erwähnten Unzulänglichkeiten des weiblichen Erwerbs allmälig zu überwinden sind, wie die Frauen zur Selbsthilfe schreiten und wie ihrer Arbeitskraft immer neues Terrain


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