Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto
was uns auch die Erfahrung alle Tage lehren kann, daß dieselben zugleich die besten Gattinnen und Mütter waren, lehren uns, daß sie reich waren an Opfern, an Liebe und Begeisterung sowohl für einzelne ihnen nahestehende Menschen, wie für die Menschheit und ihre großen Zwecke selbst, während es gerade die auf einen kleinen Kreis angewiesenen, in Unmündigkeit gehaltenen Frauen sind, welche von dem engherzigsten Egoismus beherrscht, der nie weiter sieht als über die Grenzen des Hauses, zum Hemmschuh oft auch für das edelste Streben der besten Männer, ja daß sie geradezu oft zum Fluch, zum Verderben derselben werden. Eine Frau, welche keine andere Welt kennt und kennen darf als die ihres Hauses, wird auch stets beflissen sein den Mann da zurückzuhalten, wo er im Begriffe ist diese kleinen Interessen denen seines Vaterlandes, seines Berufes unterzuordnen. Sie wird ihn zurückhalten mit jenem Schein von Recht und Gewissen, den gerade ihre Beschränktheit um sie gebreitet – sie wird ihm sagen, daß er zuerst an seine Familie denken müsse, ehe er weiter strebe, daß er pflichtvergessen handele, wenn er etwas thue was seiner Familie d.h. seiner Stellung in Amt und Würden oder seinen Finanzen schaden könne. Und sie wird vollständig im Rechte sein so zu urtheilen und zu handeln, so lange ihr selbst kein Verständniß aufgegangen ist für höhere Interessen, so lange sich ihre Familienliebe nicht zur Vaterlands- und Menschheitsliebe erweitern konnte.
Nicht darum wollen wir das Weib aus dem beschränkten Raume des Hauses und einem in seiner Stille geführten Traumleben hinaustreiben in die größeren Kreise des wirklichen Lebens, damit es seine schöneren Eigenschaften im Lärm eines realistischen Treibens verliere: – sondern wir wollen dies gerade darum, damit es in diesem jene zur Geltung bringe, sich ihrer bewußt werde und nicht allein am häuslichen Heerd, sondern auch am Opferaltar im Tempel des Vaterlandes die priesterliche Hüterin der heiligen und heiligenden Flamme der Begeisterung sei, ohne welche die ganze Menschheit verloren ist! Denn die Fähigkeit der Begeisterung ist jenes Ewig-Weibliche, das wir als die schönste Mitgabe des weiblichen Geschlechts betrachten, das Ewig-Weibliche, das nicht allein die Männer, sondern die ganze Menschheit höher hinanzieht zum Ziel der Vollendung. Denn nur durch die edlere Gestaltung des Familienlebens, welches die Grundlage des Staatslebens ist kann dieses selbst sich in würdiger Weise entfalten. Nur durch das gemeinsame Wirken von Mann und Weib, nur durch die Gleichberechtigung beider Geschlechter in allen Dingen, wo nicht die Natur, die Mann und Weib verschieden schuf, eine Grenze setzte, kann das Menschheitsideal endlich erreicht werden, dem bewußt oder unbewußt die Völker entgegenstreben.
Denn noch einmal sei es wiederholt: wir stellen nicht etwa die Forderung an das Weib, daß es von der angebornen Eigenthümlichkeit seines Wesens etwas ablege, sondern daß es nur Raum und Freiheit gewinne dieselbe ganz zu entfalten, daß es nicht um jeden Zollbreit Raum zur eignen Entwicklung, um jeden Leben und Odem bringenden Odemzug in freier Luft erst mit dem stärkeren Geschlecht zu kämpfen habe. Dies Recht, das jedem Geschöpfe von dem Schöpfer zugetheilt worden, nimmt auch das Weib für sich in Anspruch und muß es thun, will es nicht anders den Zweck des Schöpfers verfehlen.
Bleibe es immerhin dem männlichen Geschlecht unbenommen, durch körperliche Kraft und Stärke wie durch die Schärfe seines Verstandes und die strengere Logik seines Denkens die Welt zu regieren – aber es lasse das weibliche Geschlecht gerade um seines Gemüthslebens, seiner Empfänglichkeit für alles Große und Schöne, seiner erregbareren Phantasie und seiner emporstrebenden idealen Richtung willen zur Mitregentschaft zu. – Mann und Weib sind aus der Hand der Gottheit oder der Schöpfung – wie man den Ausdruck wählen will – als zwei ebenbürtige Geschöpfe hervorgegangen; aber die Verschiedenheit der Eigenthümlichkeit macht sich auch im Seelenleben geltend. Die Ausgleichung dieser Verschiedenheit ist gegeben in der Vereinigung beider. Der Mann an sich und das Weib an sich sind gleich bedeutende Einzelheiten, erst wenn Beide vereinigt, bilden sie ein Ganzes. So wollte es die Weisheit der Schöpfung, die keines dem Andern unterordnet. Bei den Bestrebungen, dem weiblichen Geschlechte zum Rechte der jedem Wesen zukommenden Selbstständigkeit zu verhelfen, kommt es gerade darauf an: das wahrhaft Weibliche zu retten – nicht es zu vertilgen oder zu unterdrücken, sondern es frei zu machen von einem einseitigen Verstandesdespotismus, wie er nach und nach von den Männern ausgebildet worden, und worunter nun das weibliche Geschlecht nicht allein, sondern der ganze bessere Theil der Menschheit leidet. Was dem Weibe von der Gottheit als Erbe übergeben worden, in seiner ganzen Macht und Heiligkeit zur Geltung zu bringen, gegen die Uebermacht einer entweder kalten oder brutalen Kraft – das sollte kein vergebliches Streben sein bei der allgemeinen Entwicklung. – Dies Ewig-Weibliche, das jetzt nur in der Liebe der einzelnen Individuen, in der wahren Liebe des Mannes zum Weibe, von jenem in diesem erkannt, den liebenden und geliebten Mann »hinanzieht« zu höherer Veredlung, dies Ewig-Weibliche muß in den Frauen zum Bewußtsein und in der Menschheit zur Geltung gebracht werden, damit es nicht nur die Einzelnen, sondern die ganze Menschheit hinanziehe zu höheren Standpuncten, zum Ziel der Vollendung. Ein Ziel, das nur eben dann erreicht werden kann, wenn man die Frauen nicht mehr gebannt hält im kleinen beschränkten Raum, in dem sie verkümmern und ihre edelsten Kräfte niemals selbst kennen und üben lernen, noch weniger sie zur Geltung zu bringen vermögen.
Also keineswegs damit die Frauen die Männer nachahmen und sich mit ihnen in einen widersinnigen Wettkampf einlassen sollen, sondern damit sie in würdiger Vereinigung in der Ehe miteinander und außer ihr neben einander sich betheiligen an der Arbeit des Jahrhunderts, fordern wir eine veränderte und selbstständige Stellung des weiblichen Geschlechts.
Und um nun vom Allgemeinen wieder auf das Besondere überzugehen, so müssen wir doch hier darauf verzichten das Thema von der Selbstständigkeit der Frauen erschöpfend zu behandeln, da wir dann hauptsächlich ihre Stellung im Staate betrachten und eine Kritik sämmtlicher Gesetze, mindestens der aller deutschen Staaten schreiben müßten. Haben wir nun auch auf diesen Punkt immer ein ziemlich aufmerksames Auge gehabt, so müssen wir doch gestehen, daß wir nicht alle die betreffenden Paragraphen so vieler deutschen einzelstaatlichen Gesetzgebungen mit ihren öfteren Veränderungen und verschiedenen Handhabungen so genau kennen, welche sich auf die Stellung der Frauen beziehen, daß wir sicher wären, nicht diesen oder jenen kleinen Verstoß zu begehen und daß eine genaue Darlegung weit den uns hier zustehenden Raum überschreiten würde. Wenn wir Dies und Jenes aus Preußen oder Oestreich anführen und als »deutsch« hinstellen wollten, könnten uns Lippe-Detmold oder Liechtenstein vielleicht aus ihrer eignen Gesetzsammlung eines Andern belehren – und so verzichten wir hier ganz auf dieses Kapitel. Haben wir doch die Ueberzeugung, daß es auch auf diesem Gebiet gehen wird wie auf jedem: sobald die Einzelnen ihre Erkenntniß einer Sache gewissermaßen zu einem Gemeingut gemacht, so daß die Begriffe über die Rechte und Pflichten der Frauen, die jetzt noch in einer heillosen Verwirrung sind, sich geklärt haben, sobald wird auch mit den Gesetzen, die jetzt zum Theil noch aus barbarischen Zeiten stammen und auf überwundene Anschauungen sich stützen, eine Aenderung vorgenommen werden müssen. Sie wird kommen wie eine jede gekommen: sobald sie sich als nothwendig herausstellt.
Um an ein Beispiel zu erinnern: In Nürnberg herrschte im Mittelalter zur Zeit der Kunstblüthe der berühmten Stadt bekanntlich die größte Gesittung und Bildung im Verhältniß zu den andern deutschen Städten. Und selbst in diesem Nürnberg war es Sitte, daß wenn der hohe Rath bei irgend einer Feier im Bankettsaal des Rathhauses ein Festmahl hielt, »den Frauen erlaubt war die Männer dahin zu begleiten und während dieselben bei Tafel saßen hinter deren Stühlen zu stehen, wo denn der Mann, der sich auf diese Weise von seiner Frau bedienen ließ, ihr zuweilen seinen Teller mit den Resten reichte, die sie, hinter ihm stehend, verzehrte.« Ein Fortschritt war es in späterer Zeit, daß den Frauen erlaubt war in der Nebenstube des Festsaals auch an besonderer Tafel zu sitzen, wohin man ihnen die Speisen brachte, die von den Tischen der Männer übrig geblieben. Das nannte man »deutsche Zucht und Sitte« und klagte auch über den Verfall derselben, als die Sitte aufkam, daß sich die Frauen mit unter die Männer setzen »dürften,« wo man ihnen noch jetzt wenigstens bei Tafel den ersten Platz einräumt. Im Hause pflegten die Frauen »in der guten alten Zeit« mit dem Gesinde und den Kindern in der Küche zu essen und den Eheherrn und seinen Gehülfen im Geschäft oder seinen Gästen bei Tische aufzuwarten, ohne sich selbst mit daran zu setzen und gewiß hat diejenige auch als »unweiblich« und »verbildet« gegolten und als eine schlechte Hausfrau, die es zuerst gewagt hat sich des Mittags aus der Küche zu entfernen und an der Seite ihres Mannes Platz zu nehmen! Und diese Reform hat sich so allmälig vollzogen, daß –