Taken by Berlin. Nicolas Scheerbarth

Taken by Berlin - Nicolas Scheerbarth


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Erleichterung ...

      ***

      "Wo sind wir?"

      "Falkensee" – Toms einsilbige Antwort.

      "Sicher?"

      "Mann, sei kein Arschloch, Silajev. Wenn ich irgendwas weiß, dann, welche Strecke ich fahre!"

      "So ... meinte ich das nicht. Ich meinte unsere Sicherheit. Ist es hier gefährlich?"

      Helles Feuer beleuchtete den Himmel vor ihnen. Wie von Flammen. Er deutete nach vorn, durch die mückengepflasterte Windschutzscheibe des Kleintransporters.

      "Also, für so einen Superpolitiker aus Straßburg stotterst du ganz schön rum. Was sollte uns denn hier gefährlich werden?"

      "Nun, ich denke, wer solche Feuer macht ..."

      "Feuer?"

      "Na da vorn. Da brennt doch was."

      Für ihn fahren sie in ein unbekanntes Land. Fantasien. Ein Ort am Ende des Regenbogens. Mit dem Widerschein eines Flammenmeers am Himmel ...

      "Silajev, du bist echt 'ne Marke. Das ist Flutlicht!"

      ***

      Als er zum zweiten Mal zu sich kam, war er im Himmel. Ein kühler, gemauerter Raum, die Wände roh verputzt, über seinen Füßen ein Kruzifix ... trocken, sauber, fast ausgeruht lag er bequem auf einem schmalen Bett. Sein Engel hockte seitwärts auf einem uralten, abgeschabten Sessel. Der Engel sah aus wie eine junge Frau. Die Beine in schwarzen Hosen und Stiefeln hatte sie über die Armlehnen gehängt. Ihr nackter, magerer Oberkörper wurde von einem Paar kräftiger Brüste geziert. Das Gesicht war jung, aber früh verwittert, darüber wild stoppelige, schwarze Haare. Sie las.

      Noch bevor er sich regte, fiel ihm die Ahnung wieder ein: Nazis lasen nicht. Nazis ließen Frauen nicht ihre Gefangenen unter fröhlichem Frotzeln aus einer Tarnvorrichtung heben. Und Naziweibchen sahen auch anders aus ... puppenhaft oder brutal, doch nie wie herbe Engel, hart und freundlich zugleich. Er schaute hinüber. Der Engel blickte auf ... mit warmen, dunklen Augen in dem jungalten, herzförmigen Gesicht.

      "Biste wach?"

      Er nickte leicht. Sagen konnte er nichts. Man sprach einfach nicht mit Engeln. Das Kruzifix, die Klosterzelle ... was war hier los? Allmählich begann sein in den Büros und Konferenzräumen von Straßburg geschulter Geist wieder zu arbeiten. Er sah, wo er war, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen. Nazis hatten ihn entführt ... eine große und gut organisierte Truppe. Das war mehr, als irgendjemand sonst in dieser Region hätte aufbringen können ... soweit es seine Leute wussten, also die Regierung des verkommenen Hinterhofs, der sich immer noch stolz Europäische Union nannte. Das waren nicht nur ein paar verkleidete Typen gewesen. Sie hatten echte Waldleute dabei gehabt ... die sich niemandem unterordneten, aber ab und zu mit den Nazis zusammenarbeiteten.

      Doch hier war dieser Raum, eine Klosterzelle. Was hatte die Kirche ... kläglicher Rest einer Organisation, die immer noch an den Jüngsten Tag glaubte, obwohl der längst tausendfach eingetreten war ... von einer Aktion wie seiner Entführung ... gar mit den Nazis als Handlangern? Das passte nicht ... so viel glaubte man in Straßburg zu wissen. Und dazu diese Frauen! Weder bei der Kirche noch bei den Nazis gab es solche Frauen. Man hörte Gerüchte über Kampfnonnen in den neuen Sekten, die kurz nach der Großen Katastrophe entstanden waren. In Südamerika. Die Vorstellung war absurd, dass eine solche Truppe nach Europa eingesickert sei und nun mit den Nazis hier gemeinsame Sache machte. Nein, da stimmte etwas nicht! Andererseits ... was war absurder als sein Schicksal, die Entführung eines Europäischen Rates?

      "Haste Hunger?" Und, als er nicht reagierte ... "Oder Durst?"

      "Ja" – heiser.

      "Na prima."

      Sie stand auf, nahm von dem Tisch neben sich eine Blechflasche und einen Becher. Dann beugte sie sich über ihn, richtete ihn auf und stützte ihn, damit er trinken konnte. Im ersten Moment hatte er ihre vollen, runden Kugeln bewundern wollen, die so dicht vor ihm umherschwangen. Doch dann merkte er, dass er fast zu schwach zum Trinken war. Er trank ohne einen weiteren Gedanken an den Anblick. Eine Frau mit nacktem Oberkörper war schließlich nichts besonderes. Er trank und sank wieder zurück auf sein Lager.

      "Noch müde?"

      "Nein, es geht" – mühsam.

      "Es ist kein Problem. Wenn du dich nicht fit fühlst, lass ich dich in Ruhe."

      "Und sonst?"

      "Sonst sag ich Bescheid. Dass du munter bist."

      "Bescheid? Wem sagen Sie ... Bescheid?"

      Im ersten Moment hatte er sie duzen wollen, doch dann siegte die Konvention. Ihr Duzen klang jedenfalls nicht herablassend, nicht wie die beiläufige Provokation einer Entführerin, die sich daran weidete, ihr Opfer ungestraft zu demütigen. Die knorrige Tür da drüben war vermutlich verschlossen. Dennoch hatte er nicht das Gefühl, bei Feinden zu sein. Bei Fremden vielleicht ... sehr Fremden sogar ... aber nicht bei Feinden.

      "Meinen Leuten. Susie."

      "Wer ist das? Wer sind Sie?"

      "Ah, du wirst munter!" – plötzlich sehr trocken. "Aber lass schwingen. Es bringt nix. Dir passiert nichts, aber die Ansage ... darauf musst du noch warten. Echte Ansage darf ich keine machen."

      "Weshalb?"

      "Nur so. Susie will es selbst tun."

      "Wer ist Susie?"

      "Sum, Joystick, sum herum ... keine Ausfrage! Erspar's uns einfach. Bist du jetzt hungrig?"

      "Nein. Danke. Geben Sie mir noch einen Becher ... bitte. Und dann sagen Sie Bescheid. Wem auch immer."

      Sie gab ihm zu trinken und sagte Bescheid. Dann verblüfften sie ihn zum ersten Mal.

      ***

      Verblüfft schaut er Tom neben sich an.

      "Oder hast du gedacht, wir beleuchten unsere Stadt mit Fackeln?" – Tom.

      "Nein, aber ... Flutlicht ... das hatte ich nicht erwartet."

      "Du willst mich verladen."

      "Nein, bestimmt nicht! Ich wusste ... niemand weiß, dass es in Berlin so viel Strom gibt."

      "Silajev, halt' eine Frau nicht zur Närrin! Gut, wir lassen euch hier nicht allzu viel rumschnüffeln, aber ihr habt eure Spione. Ganz zu schweigen von den chinesischen Satelliten."

      "Die ... ha!" Inzwischen duzt Joschi seine androgyne Fahrerin doch: "Glaubt ihr etwa, die Chinesen lassen uns ihre Satellitenbilder sehen? Das wäre zu schön ... die Triaden zeigen uns ihre Fotos von Europa! Nein, nein, damit ist schon lange Schluss. Die Brasilianer mussten letztes Jahr für ein paar Monate alte Fotos drei Container voll seltener Mineralien nach Shanghai schicken."

      "Siehst du, das ist einer der Gründe, weshalb du hier sitzt. Aber ihr habt doch auch eure Spione überall in der Zone. Wir haben denen schon so oft die Hosen runtergezogen, dass wir allmählich glauben, wenn wir sie alle wegschicken, sind wir unterbevölkert."

      "Diese Spione ... Nachrichtenleute ... ich weiß ja immer noch nicht, wer ihr wirklich seid, aber ihr wirkt wie jemand, der seinen Gegner kennt. Genau kennt. Nachrichtenleute sind aus der Mode. Es gibt sie noch, das ist richtig. Irgendwer ist immer da, der sie braucht, um besser schlafen zu können. Aber im allgemeinen wirken sie so beeindruckend wie die Heilsarmee. Niemand liest diese kleinen, wichtigtuerischen Berichte."

      "Und da wisst ihr nicht einmal, dass es in Berlin elektrischen Strom gibt?"

      "Offenbar. Zumindest nicht, dass es für Flutlicht reicht. Aber woher kommt diese Menge Strom?"

      "Ah, selbst ein kleiner Möchtegern-Spion, was?"

      "Nein, ich bin einfach nur neugierig. Sag's mir oder lass es bleiben."

      "Hast du schon mal das Wort 'Fusion' gehört?"

      Er erstarrt. Vor ihnen heben sich Rampen, Brücken, Verwicklungen


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