Strategie als Beruf. Maximilian Terhalle

Strategie als Beruf - Maximilian Terhalle


Скачать книгу
daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten werden kategorisch durch das Spannungsfeld zwischen den Großmächten Amerika, China und Russland bemessen. Das antagonistische Umfeld wird somit durch die jeweils vorherrschenden Großmächte und die interaktive Dynamik zwischen diesen bestimmt. Dabei ist für Deutschland entscheidend, welche Analyse der internationalen Sicherheitspolitik die traditionelle Schutzmacht Europas zum Erhalt ihrer Vormachtstellung, also gegenüber etwaigen Herausforderern, vornimmt. Nur aus dem so angelegten Verständnis von Amerikas militärischer Glaubwürdigkeit und seiner Kapazitätsgrenzen lässt sich erkennen, wie es tatsächlich um den militärischen Schutz deutscher und europäischer Souveränität bestellt ist. Und nur aus Amerikas Perzeption der internationalen Sicherheitspolitik lässt sich dann erkennen, welche Rolle Amerika durch die NATO zum Schutz Deutschlands und Europas einnehmen kann und will. Mit anderen Worten: Erst auf dieser Basis lässt sich so genauer bestimmen, welche Interessen vital sind, was dies für die deutschen Vorschläge für die Ausgestaltung des militärischen Schutzes Europas bedeuten muss und was somit „mehr Verantwortung“ (Gauck) bei ihrer Implementierung eigentlich impliziert. Dies impliziert, was die Europäer selbst aktiv tun müssen, um nicht Zuschauer eines mitunter rücksichtslosen Wettkampfs zu werden. An dieser Stelle müssen heute die großen strategischen Fragen europäischer Positionierung beginnen.

      In strategischen Ansätzen sind Spitzenpolitiker die wesentlichen Akteure bei der Ausgestaltung sicherheitspolitischer Entwicklungen in internationalen Ordnungen. Die anthropologische Sicht der Strategic Studies komplementiert deshalb das antagonistische Fundament des Faches. Kurzgefasst hat Hans Morgenthau dies als den „animus dominandi“ bezeichnet, ob reflektiert im Streit um mehr Macht oder um den befürchteten Verlust von Macht (1946, 192–6; Weber 1919, 8). Der antagonistisch ausgefochtene Wille zur Macht ist damit eine Grundkonstante strategischen politischen Handelns, insbesondere außerhalb von Sicherheitsgemeinschaften wie der EU und der NATO. Die menschliche Natur kann dabei durchaus kooperationsfähig sein, zumal dann, wenn historische Erfahrungsrahmen, gleichviel wie blutig in der Vergangenheit erkämpft, eine Zahl von Völkern politisch, kulturell und wirtschaftlich besonders eng und deshalb friedlich verbinden. Kooperation über diese Verbindungen hinaus ist möglich und realpolitisch notwendig, aber aus der genannten systemischen Logik stets anfällig und aus der anthropologischen Logik immer durch Machtstreben limitiert. Das ist es im Kern, was Strategen meinen, wenn sie von Vakuen sprechen, die in der internationalen Politik nie längerfristig bestehen bleibt.

      Die Interessenlage potenzieller strategischer Antagonisten wird weiter kompliziert durch die historisch ungleichzeitige, variierende Zu- und Abnahme der materiellen Stärke zentraler Mächte sowie Veränderungen ihrer ideologischen Ausrichtung. Gerade weil benachteiligte Großmächte, in unterschiedlichem Maße, ihre Position, ihr Sicherheitsbedürfnis zu verbessern suchen und andere dies umgekehrt aus Furcht vor Machtverlust verschiedentlich konterkarieren und/oder ihre bessere Sicherheitslage unabhängig davon weiter ausbauen wollen, sehen die Strategic Studies die menschliche Natur als permanent anfällig für die Versuchungen der Macht an.

      Und drittens: Das Konzept des Sicherheitsdilemmas steht auf den Fundamenten dieser anthropologischen und systemischen Grundannahmen (Booth/Wheeler 2018; Jervis 2017, 1978; Butterfield 1951; Herz 1950). Strategen gilt dieses Dilemma internationaler Politik als unauflöslich, dem Fach Strategic Studies liegt es als zentrales Konzept zugrunde.

      Indem das Sicherheitsdilemma die inhärente Unsicherheit, die über die Perzeption der strategischen Intentionen anderer Staaten psychologisch permanent (und unauflöslich) besteht, in seinen Mittelpunkt stellt, hebt es das zentrale Dilemma der Sicherheitspolitik heraus: Neue, taktische und strategische Waffensysteme werden von Staaten als defensiv ausgerichtet bezeichnet, hingegen von nicht-verbündeten, anderen Staaten als offensiv perzipiert. Somit wird die Unterscheidung defensiv-offensiv eine psychologische Perzeptionsfrage (Jervis 2017, 1978; Yarhi-Milo 2014). Und selbst dort, wo militärische Spezialisten die Unterscheidung technologisch ausweisen können, können sie die mögliche Intention nie ausschließen, dass defensive Waffensysteme ohne grosses Aufhebens in Kombination mit offensiven Systemen eingesetzt werden können. Defensive Schutzschilde, konventioneller wie nuklearer Art, sind deshalb für solche Kritik immer anfällig – und enthüllen gleichzeitig die zynische Doppelbödigkeit des nicht-verbündeten Kritikers.

      Ausgehend von diesen Grundannahmen der Strategic Studies zur Beschaffenheit der Weltpolitik, legt der Text nun in verkürzter Form drei Verständnisse von Strategie dar, die von diesen Annahmen ausgehen und zusammengenommen den Zugang zur Analyse von Strategie und zum Machen von Strategie ermöglichen.

      Drei Verständnisse von Strategie für Entscheider

      Henry Kissingers Verständnis von Strategie als Weltordnungspolitik beruht auf der Annahme, dass Strategie von einer klaren Konzeption der Zukunft abhängig ist. Carl von Clausewitz’ Denkmodell besteht aus explizit non-linearen Strategiedynamiken. Und Lawrence Freedman legt dar, dass Strategien als Entscheidungsprozesse durch kognitionspychologische Logikmodelle operieren. – Zusammen mit den drei vorgenannten Grundannahmen ermöglichen diese Ansätze wesentliche Vorteile bei der Entscheidungsfindung, gerade weil sie Regierungschefs/-mitgliedern und ihren engsten Beratern in einer ansonsten undurchdringlich komplexen Weltpolitik analytisch festen Überblick gewähren. Der so gewonnene, antizipierende Blick erlaubt es dem Entscheider, mit seiner Strategie Entwicklungen aktiv, nicht reaktiv, zu beeinflussen. Mit anderen Worten: Die drei Ansätze geben Entscheider den roten Faden an die Hand, der ihnen – ohne diese konzeptionellen Hilfsmittel – mit grosser Wahrscheinlichkeit aus der Hand genommen wird.

      Henry Kissinger: Weltordnungspolitik als Strategie, Strategie als Konzeption der Zukunft


Скачать книгу