DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI. Sokei-an Shigetsu Sasaki
Als der Roshi eines Morgens „Roshi!“ rief, antwortete sein Schüler „Ja?“ Der Roshi sagte: „Aber du bist doch mein Schüler“ und schlug ihn mit seinem Stock. Der Schüler nahm den Stock und stieß den Roshi in seinen Stuhl. Das wirkt sehr wild, aber die Wahrheit des Universums muss anschaulich und lebhaft behandelt werden.
„Brüder, so wie ich es verstehe, unterscheidet ihr euch in keiner Weise von Shakya. Gibt es etwas, das euch fehlt, um heute eure mannigfaltigen Aufgaben zu erfüllen? Das Licht eurer göttlichen sechs Sinne hat nie aufgehört zu strahlen. Sobald ihr dies versteht, braucht ihr nicht weiter zu suchen.
Gute Brüder, die drei Welten sind wie ein Haus in Flammen. Sie sind keine Orte, an denen man lange wohnt! Der Dämon des Todes, die Hand der Veränderlichkeit, unterscheiden nicht einen einzigen Augenblick zwischen Reich und Arm, zwischen Alt und Jung. Wenn ihr also nicht wollt, dass ihr euch von Buddha unterscheidet, dann sucht nicht nach Buddha in der äußeren Welt.“
SOKEI-AN SAGT:
In dieser Passage betont Lin-chi den Buddha in uns selbst, den „persönlichen“ Buddha. Wenn ihr die Buddha-Natur in euch selbst verwirklicht habt, seid ihr Buddha. Deshalb ist es nicht notwendig, Buddha außerhalb zu suchen.
Heute gibt es Übende des Buddhismus, die versuchen, Buddhas eigenen ursprünglichen Buddhismus wiederzubeleben, die Lehre, wie sie von Buddhas eigenen goldenen Lippen kam. Diese modernen Übenden stellen sich vor, dass sie Buddhas eigenen ursprünglichen Buddhismus vielleicht irgendwo in dem sogenannten Tripitaka, in den „Drei Körben der buddhistischen Belehrungen“, dies sind die Sutras, das Abhidharma, und das Vinaya, finden können. Natürlich können Buddhas Worte vergleichend in den Aufzeichnungen der verschiedenen Sprachen studiert werden. Aber im Zen gibt es eine Abkürzung zu dem, was Buddha wirklich lehrte: Anstatt die Sutren danach durchzuschauen, kann man danach in der eigenen Seele suchen. Letztendlich fand Buddha seine Religion in seiner eigenen Seele und wir sind die gleichen menschlichen Wesen. Wenn wir also tief in unseren Herzen graben, finden wir diese gleiche Religion. Es gibt keinen Unterschied. Das ist der Grund, warum sich Lin-chi nicht auf den Buddha als Lokanatha („Herr der Welt“) oder Tathagata („der so gekommene“) bezieht, sondern als „Shakya“, einen Mann des gleichen Ranges wie er. So wenn ihr über die eigene Seele meditiert und den eigenen Blick für die Wirklichkeit öffnet, ist euer lebenswichtiger Punkt nicht verschieden von dem Buddhas und es wird nicht notwendig sein ihn Buddhismus zu nennen.
Gibt es etwas, das euch fehlt, um heute eure mannigfaltigen Funktionen (Aufgaben) zu erfüllen?“ Gemäß der Lehre Buddhas sind all die unendlichen Funktionen des menschlichen Körpers wichtig und so bezieht sich Lin-chi auf die fünf Sinne und den Geist (das Bewusstsein). Sie sind die elementaren Kräfte des Universums, die sechs göttlichen Sinne. Mit unseren Sinnen beobachten wir verschiedene Universen. Wir begreifen Farbe und Form mit den Augen, mit den Ohren Klang, mit der Nase Geruch, den Geschmack mit der Zunge, Berührung mit der Haut und mit dem Verstand Dharma.
Könnt ihr euch etwas vorstellen, das nicht wahrnehmbar mit einem dieser Sinne ist? Wenn wir andere Augen hätten, würden wir vielleicht etwas sehen, was keine Farbe oder Form hat, aber es ist unmöglich, uns dies vorzustellen. Die Wurzel dieser Sinne ist dieses Bewusstsein. Für dieses Bewusstsein ist das ganze Universum Ein-Dharma. Die Philosophen nennen es Numena – Realität. Dies ist natürlich eine metaphysische (übersinnliche) Konzeption. Dies [hält eine Dose hoch] ist ein Phänomen (eine Erscheinung), aber, wenn wir es verstecken und sagen „Dose“, ist dies kein Phänomen, sondern eine Konzeption (eine Ansicht). Die fünf Sinne schaffen die physische Basis, aber funktionieren nicht als Wahrnehmung; dies ist eine andere Funktion. Also sind es insgesamt sechs. In unseren Tagen versuchen Wissenschaftler mehr zu finden, aber bisher waren sie nicht erfolgreich.
„Sobald ihr dies versteht, braucht ihr nicht weiter zu suchen.“ Ein Tisch hat Beine, eine Schlange hat keine. Wenn eine Schlange Beine hätte, wären die Beine eine Beeinträchtigung für sie. Wir haben alles, was wir brauchen, um unsere täglichen Aufgaben zu erfüllen. Mehr wäre nur hinderlich.
Gute Brüder, die drei Welten sind wie ein Haus in Flammen. Sie sind keine Orte, an denen man lange wohnt! Nun, wo soll ich hingehen?
In der Welt der Begierde rennen wir von morgens bis abends immer irgendetwas hinterher. Unsere Sicht ist nicht richtig. Wir müssen unsere Ansicht von unserem Wunsch trennen und müssen alles mit einem kühlen Kopf betrachten, wie ein Künstler ein Feld betrachtet und das grüne Gras und den blauen Himmel beobachtet, nicht wie ein Landwirt, der auf das gleiche Feld mit Wünschen schaut. In der Welt der Form unterscheiden wir zwischen dem Schönen und dem Hässlichen. Wir sehen mit dem Verstand. In der Welt der Formlosigkeit ist alles reine Existenz, es gibt kein Rein oder Unrein. Alles ist reale Manifestation; nichts ist gut oder schlecht.
Um wirklich in diesem Leben zu leben, muss man die Existenz der Formlosigkeit kennen. Hier ist eine Beobachtung die Wahrheit. Es ist mindestens einmal in eurem Leben erforderlich sich vom Phänomenalen zu trennen und zum Verständnis des Noumenon zu kommen. Die Welt der Form muss ebenso geübt werden. Wenn ihr jedoch in eurer Meditation an Form oder Formlosigkeit haftet, seid ihr immer noch in der Welt des Begehrens. Lasst euch nicht durch die Theorie täuschen.
Der Buddha sagte, dass es vier invertierte Ansichten oder falsche Beobachtungen des Universums gibt: Denken, dass es ewig ist; denken, dass das Leben Freude ist; der Glauben an ein Ego; denken diese Existenz des Begehrens ist rein. Das ist der Grund, warum der Buddha darauf hinwies, dass alle unsere Vorstellungen über die Welt entgegengesetzt (zur Wahrheit) sind – auf dem Kopfstehen. Zur Heilung dieser Inversionen praktizieren wir Meditation. Die Stufen der Meditation stehen in euch geschrieben, aufsteigend zur Öffnung des universellen Auges – aufsteigend bis zur rechten Sicht.
Der Buddha sprach zu uns auch über die drei Krankheiten oder Gifte: Unwissenheit, Leidenschaft und Zorn. Zur Heilung dieser Krankheiten brauchen wir nicht Heilmittel außerhalb von uns zu suchen. Für die Unwissenheit ist das Heilmittel uns so zu entwickeln, dass wir unser inneres Auge öffnen, um mit ihm die Realität des Universums zu sehen. Mit siebzehn oder achtzehn können wir nur ein zweifelndes Auge öffnen. Warum leben wir? Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was ist unser Verhältnis zu Vater und Mutter? Waren wir hier schon zuvor? Gibt es nach dem Tod nur nichts? So suchen wir in Büchern oder gehen zu Lehrern. Wir werden wie Tiere auf der Suche nach Wasser. Für alle ist es das gleiche Problem. Wenn man nie versucht hat, diese großen Fragen zu verstehen, würde ich sagen, derjenige schläft. Diese Fragen kommen zu jedem, sogar bevor wir unsere Augen für Sex öffnen. Sex, in der Art einer Blume, kommt ein wenig später; aber erst erscheint ein Blatt, die vielen Fragen über alles. Dies ist die Weisheit, die Unwissenheit heilt. Über Leidenschaft haben wir die Macht, sie zu kontrollieren. Es ist nicht notwendig, ein Gelübde abzulegen: Alle Gebote sind in uns geschrieben. Und wir haben Stille um Wut heilen können.
„Der Dämon des Todes, die Hand der Veränderlichkeit, unterscheiden nicht einen einzigen Augenblick zwischen Reich und Arm, zwischen Alt und Jung.“ „Ein Moment“ entspricht neun ksana, die kleinste Einheit der Zeit, und in einem ksana inkarnieren fühlende Wesen neunhundert Mal. Wir glauben, dass wir jetzt leben und wir glauben, dass wir nicht tot sind, aber in einem ksana wiederholen wir Leben und Tod neunhundert Mal und ksana unterscheidet sich nicht von unseren fünfzig Jahren und neunhundert Leben sind nicht verschieden von einem ksana.
Wenn ihr also nicht wollt, dass ihr euch von Buddha unterscheidet, dann sucht nicht nach Buddha [DJW: oder Jesus] in der äußeren Welt.“ Der Buddha sagte, wir müssen alle Theorien und Konzepte aufgeben und das Universum aus unserem eigenen Herzen beobachten. Es ist nicht notwendig außerhalb von uns selbst zu suchen; alles ist Innen. Dies ist die Emanzipation von allen Begriffen und allen Vorstellungen. Wenn man die reale Existenz des Universums versteht, kann man im sanzen Zimmer [DJW = dokusan Zimmer], das Himalaja Gebirge aus einer Schachtel mit Räucherstäbchen holen, durch ein Schlüsselloch gehen, und so weiter.