Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth
bringe. Kurz darauf, am 28.10.27, schrieb Resiwitz an Wendel, dass dessen „liebenswürdiges Schreiben an den Gesandten“, die „Carrière“ der Péninsule in deutscher Sprache gesichert habe und erwähnt einen Betrag von 100.000 Dinar. In Reiswitz’ undatiertem Briefentwurf an Balugdžić wurde ein Betrag von 6.000 Mark genannt, was in etwa den 100.000 Dinar entsprach. Hier gab Reiswitz auch einen Hinweis auf die Zielleserschaft in Deutschland: Studenten und „gebildete Laien“. Diese könnten das Buch aber nur zu einem moderaten Kaufpreis erwerben, den man nur durch den Druckkostenzuschuss, „bei Hintansetzung sämtlicher persönlicher Ansprüche meinerseits“, von 24 auf 15 Mark drücken könne. Schließlich meldete Reiswitz am 08.12.27, dass Balugdžić sein Gesuch um finanzielle Unterstützung befürwortend in das jugoslawische Außenministerium nach Belgrad weitergeleitet habe. Doch am 09.01.28 war Reiswitz enttäuscht: „Denken Sie, es ist noch immer keine Antwort aus Belgrad da, ob die Serben mir das Geld zur Péninsule-Herausgabe vorschießen!“ Zwei Monate später, am 06.03.28, war für Reiswitz das „Schicksal „seiner“ Péninsule noch immer ungewiß. Er habe zwar den Gesandten „schon oft“ getroffen, dieser habe auch neben dem offiziellen Gesuch noch zwei Privatbriefe an das Außenministerium in Belgrad geschickt, doch trage die „Dauer-Krise“ in Südslawien wohl zur Verzögerung bei.
Zu der erhofften finanziellen Hilfe ist es wohl nie gekommen, da Reiswitz’ Péninsule-Übertragung nie erschien – es haben sich lediglich im Nachlass Übersetzungsfragmente erhalten.190 In der weiteren im Nachlass erhaltenden Korrespondenz mit Wendel tauchte das Thema auch nicht wieder auf. Während des Zweiten Weltkriegs fragte Reiswitz seine Frau, ob sie daran gedacht habe „den Durchschlag von der Cvijić-Uebersetzung“ aus dem bombengefährdeten Berlin in Sicherheit zu bringen.191 Eine Übersetzung ins Deutsche hätte sicherlich ihren Markt gefunden, da Cvijićs Anthropogeographie der Balkanhalbinsel „für die deutsche Balkanforschung eine außerordentliche Wirkungsgeschichte nachzusagen ist“.192
Es steht außer Frage, dass es in den zwei Jahren nach Abschluss seiner Balkanreise – und womöglich auch schon vorher – die Werke von Cvijić und Wendel waren, die den größten Einfluss auf Reiswitz’ Vorstellung des Balkans und der Südslawen hatten. Beiden war sicherlich ihr vehementes Eintreten für die südslawische Einigungsbewegung gemein193 – Cvijićs Ansehen und Wirken war es 1919 zuzuschreiben, dass Jugoslawien in den Grenzen entstand, wie sie bis 1941 bestehen sollten194 und Wendel unterstützte später sogar, trotz seiner sozialdemokratischen Ausrichtung, die autoritären Bestrebungen König Alexanders, eine jugoslawische Identität weiterzuentwickeln.195 Für beide war Serbien das Piemont der südslawischen Einigung. Sehr unterschiedlich aber beurteilten beide den serbischen Nationalcharakter. Für Wendel stand das Demokratische im Vordergrund, für Cvijić und seinen Gefolgsmann Gesemann das Patriarchalisch-Heroische. Reiswitz sollte zukünftig aus beiden Quellen schöpfen.
1.3. Ein ganz persönlicher „Balkanismus“
Doch Reiswitz’ Jugoslawienbegeisterung wurde nicht nur von Wendel, Cvijić und Gesemann entfacht. In seinem ersten Brief an Wendel vom 04.02.27 gestand er offen: „Für mich ist Südslawien etwa das, was für das Deutschland zu Beginn des 19. Jahrh. einmal Italien war, kurz: ich liebe es!“ Diese romantische Zuneigung zieht sich wie ein roter Faden durch seine Korrespondenz. Sieben Jahre später, in einem Schreiben an einen namentlich nicht genannten Legationsrat im Auswärtigen Amt, welcher „kurze Daten“ über Reiswitz angefordert hatte, schrieb dieser, dass er 1924 Südslawien bereiste, „dessen Eindruck auf mich besonders stark war. Ein Vetter von mir, Graf Bethousy [sic], war damals deutscher Konsul in Sarajevo. Durch ihn und die ‚Planinari‘ lernte ich Bosnien und die Hercegovina kennen. Ein längerer Aufenthalt in Dubrovnik schloss sich daran. Damals entstand in mir der Wunsch, mich der Geschichte des Donauraumes und der Balkan-Halbinsel zuzuwenden. Es ist etwas undefinierbares, eine ‚Passion‘ zu haben. Was vor hundert Jahren für Deutsche oft Italien geworden ist, wurde für mich der Balkan und besonders Südslawien. Ich weiß nicht, ob eine nicht-deutsche Mentalität das versteht, dass man an einer fremden Landschaft, deren Bewohnern und deren Geschichte, den eigenen Beruf erst entdecken kann.“
Es ist hervorzuheben, dass Reiswitz seine Balkanbegeisterung durchaus als etwas typisch Deutsches sah. Zehn Jahre nach dieser Äußerung dem Auswärtigen Amt gegenüber wurde seine Gemütshaltung erneut in amtlichem Kontext bemerkt, ohne aber, wie von Reiswitz selbst so gesehen, ausschließlich positiv konnotiert gewesen zu sein. Am 06.05.44, in der letzten Phase der Tätigkeit Reiswitz’ als Kunstschützer in Serbien, verfasste der Reichsgeschäftsführer des SS-Ahnenerbes einen Aktenvermerk über ein Gespräch mit Herbert Scurla, Oberregierungsrat im Reichserziehungsministerium, welches beide am 26.04.44 geführt hatten, und bei welchem es auch um Reiswitz ging. Laut Sievers „bezeichnete Scurla Reiswitz als Romantiker, der 100 Jahre zu spät geboren sei, aber vielleicht könne er sich gerade deshalb so gut im Serbischen Raum bewegen.“196 Damit befände sich Reiswitz durchaus in eine deutsche Tradition eingebettet: „Romanticism bequeathed a fascination with folklore and language, very much at the center of German academic tradition dealing with the Balkans.“197
Reiswitz’ Romantik in Bezug auf Jugoslawien beruhte allerdings nicht allein auf seinen Gefühlen für Land und Leute im Allgemeinen, obwohl im Jahre 1924 die touristischen Reize insbesondere Dalmatiens genügten, um viele ausländische Besucher zu beeindrucken. So heißt es in einer in der Londoner „Times“ veröffentlichten Reisebeschreibung: „The charms of the Dalmatian Riviera are rapidly becoming known to tourists. Rich vegetation, oranges, fascinating old Roman monuments, excellent roads, and, above all, a rate of exchange which opens the up-to-date hotels for a few guineas weekly, combine to draw English, American, Czech and Scandinavian seeking a place in the sun.“198
Dieser „Platz an der Sonne“ barg für Reiswitz allerdings noch einen „Charme“ anderer Art. Nach seiner Ankunft in Dubrovnik am 05.10.1924 lernte er Vida Davidović kennen. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Liebesaffäre, die mindestens bis in den April 1926 reichte, aber noch 1941 Nachwehen hatte.
Frl. Fresenius war sich ihrer Rivalin wohl nicht bewusst. Hatte Reiswitz ihr am 16.09. noch geschrieben, dass er „sehr viel“ an sie und die „schon etwas türkischen Nächte in Charlottenburg“ denke, „mit ihrer schon bis fast an die Spitze getriebenen feinen u. feinsten Sexualität und Erotik“ und den Wunsch geäußert, „daß du hier wärst, … mit all deinen Möglichkeiten u. Fertigkeiten, als Frau, Künstlerin und Maitresse in des Wortes bester Bedeutung.“, so ließ er seine bisherige „Maitresse“ über seinen neuen Schwarm vollkommen im Dunkeln. Am 22.10., das heißt zwölf Tage nach der Abreise Vidas aus Dubrovnik, schrieb Reiswitz an Frl. Fresenius: „Die zweite Woche hier in Ragusa war ein großes Erwachen. Jeden Tag machte ich große Spaziergänge; jeden Abend schrieb ich bis spät in die Nacht hinein.“ Was in der ersten Woche geschah verschwieg er. Er fügte dann aber enigmatisch hinzu: „Ich habe gewusst, daß diese Reise eine große Umwälzung, die sich seit Monaten, ja Jahren zuspitzt, zum Ausdruck bringen würde.“ Offen bleibt, was er genau mit dieser „Umwälzung“ meinte. Frl. Fresenius gegenüber bezog er den Wandel lediglich auf das Berufliche: „Im Brennpunkt dieser Umwälzung steht die Diplomatie.“
Doch die „Umwälzung“ berührte sicherlich auch in noch größerem Umfang sein persönliches Leben. Im Nachlass befinden sich 25 handgeschriebene Briefe von Vida an Reiswitz, den Zeitraum vom 15.10.24 bis zum 14.04.26 umfassend. Einigen der Briefe sind Fotos beigelegt, die wahrscheinlich Vida am Strand zusammen mit wechselnden anderen Feriengästen zeigen. Zugleich haben sich neben Tagebuchaufzeichnungen, auf drei Umschläge verteilt, mehrere in deutscher Schrift handgeschriebene Textfragmente von Reiswitz erhalten, welche wahrscheinlich als Briefvorlagen dienten, da sich Vida in einigen ihrer Briefe auf Passagen aus den Fragmenten bezog. Den Briefen ist zu entnehmen, dass ihre Familie ursprünglich aus der Herzegowina stammte, sie aber seit vier Monaten in Veliki Bečkerek, heute Zrenjanin, wohnte und auf einem Amt arbeitete. Das Ehepaar, welches das Hotel Odak betrieb, in dem auch zunächst Reiswitz in Dubrovnik wohnte, war ihr seit vier Jahren bekannt. Ihr Alter ist nicht klar ersichtlich, sie erwähnte aber, dass sie Waise sei und ältere Schwestern habe, die ihr nur wenige