Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962). Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962) - Andreas Roth


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sich im Nachlass in Umschlag 2 befinden. Es handelt sich zunächst um eine kurze Notiz, an Vida gerichtet: „Ich lege Dir diese Zeilen zu Füßen. Sie sagen das Letzte und Feinste, was ich Dir sagen konnte; mehr als viele Briefe. Wie wirst Du antworten? Wie Gott will! Ich weiß nicht [sic] !“ Neben der Notiz befinden sich fünf, mit Bleistift doppelseitig beschriebene Blätter im Umschlag, zwei davon nach seinen Angaben eine Abschrift aus Reiswitz’ Tagebuch vom 10.10.24, die drei übrigen ein Briefentwurf, vom 10.10. bzw. 11.10. datierend.

      Aus diesen Seiten geht hervor, dass Reiswitz Vida unmittelbar nach seiner Ankunft in Dubrovnik am 05.10.24 getroffen haben muss, da er einer Stelle von den „drei Abenden“ sprach, die sie gemeinsam an einer bestimmten Stelle der „Chaussée“ standen. Vidas Abreise aus Dubrovnik erfolgte früh am Morgen. Reiswitz hatte seine Hotelzimmertüre am Abend zuvor nur angelehnt, doch bis vier Uhr morgens war sie nicht in sein Zimmer gekommen. Um 4 Uhr in der Frühe verschloss er dann die Türe. Er stellt sich dann Vidas Zugfahrt vor, Richtung Jablanica: „Es ist jetzt genau 9h. Weißt Du noch, dass wir uns auf diese Zeit in Gedanken verabredet haben?“ Er erinnerte sich dann daran, wie nach und nach Vidas „Eis-Panzer“ schmolz, „bis dass die Eisschicht Risse bekam u. endlich am letzten Tage zersprang.“ Der „letzte Tag“ war offensichtlich Donnerstag, 09.10.24. Beide, Reiswitz wie Vida, wiesen in den nächsten Monaten immer wieder auf „Donnerstag“ als den Dreh- und Angeltag ihrer Liaison hin. Reiswitz fuhr fort: „Das war der Augenblick, als Du mich hinter der Kirche von Giacomo [Crkva Svetog Jakova] mit dem befreiten ‚Ja‘ umschlangst. – Und so wurde dieser Tag, u. dieser Nachmittag, u. dieser Abend auf Lacrome möglich.“

      Die gemeinsam verbrachte Zeit auf Lokrum hatte nicht nur für Reiswitz eine zentrale Bedeutung. In ihrem ersten Brief an Reiswitz, fünf Tage nach ihrer Abfahrt aus Dubrovnik, schrieb sie: „Grüße mir Lakroma – den schönen Sonnenuntergang – nein, ich will nicht davon sprechen, ich möchte häulen [sic], wenn ich an die Möglichkeit denke, daß alles vielleicht nur ein Traum war, der nimmer wiederkommt.“

      Die Liebesbeziehung zu dem deutschen Adeligen muss in der Tat Vida wie ein Traum erschienen sein, umso mehr, wenn man bedenkt, wie wenig Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen die beiden hatten. In einer Notiz in Umschlag 3 sprach Reiswitz von vier Tagen, die sie zusammen hatten. Sie wohnten wohl die ganze Zeit über in getrennten Zimmern im Hotel Odak, obwohl Reiswitz in einer Notiz aus Umschlag 3 vermerkte: „Ich ließ mir den Wirt kommen, gab ihm meine Karte u. frug, ob ich jeder Zeit bei vorheriger Anmeldung zwei Einzelzimmer mit gemeinsamen Balkon auf das Meer hinaus haben könnte. Er bejahte sofort!!!“199 Bezeichnend ist auch, dass Reiswitz im Briefentwurf vom 11.10. Vida darauf hinwies: „Sprich ‚Du‘ zu mir, wenigstens im Brief.“ Nicht nur die Frage der Anrede, sondern auch der Klassenunterschied an sich, war ein Hindernis: „Du stösst Dich noch sehr an dem ‚Baron‘. … Glaube mir, Liebes, Du brauchst Dich, weiss Gott, nicht daran zu stossen; Du hast soviel Rasse, wie 10 westeuropäische Aristokratinnen zusammen.“

      Vida sagte über sich selbst in einem Brief an Reiswitz vom 18.01.25, dass sie „mit Herz und Seele Kommunist“ sei. Dennoch, von Reiswitz dazu aufgefordert, zog es Vida vor, sich nicht zu politischen Fragen zu äußern. In ihrem Brief vom 18.01.1925 gab sie allerdings an, nicht, wie von Reiswitz vermutet, mit dem Politiker Ljubomir Davidović (1863–1940) verwandt zu sein, welcher als führender Vertreter der liberalen und pro-jugoslawisch ausgerichteten Demokratischen Partei zu einer Zusammenarbeit mit der kroatischen Bauernpartei unter Stjepan Radić (1871–1928) bereit war. Aus ihren Ausführungen wird deutlich, dass sie sowohl Davidović als auch Radić ablehnend gegenüberstand. So überrascht es nicht, dass sie sich im Brief vom 24.02.25 als „tolle Serbin“ bezeichnete. Nur an einer Stelle ging Vida von sich aus auf politisches Geschehen ein – allerdings in Deutschland. Am 04.03.25 legte sie ihrem Brief separat eine kleine Notiz bei: „Sage mal Lieber, ist der Tod [Friedrich] Eberts für Deutschland tatsächlich ein so großer Verlust, wie das unsere Zeitungen betonen?“

      Reiswitz Antwort darauf ist nicht überliefert, doch war er zur Zeit der Novemberrevolution in Berlin durchaus kein Gegner Eberts gewesen. Aber in seinem Briefentwurf an Vida vom 02.08.25200 präsentierte er sich kurioserweise als Anhänger von Nikola Pašić (1845–1926), des wohl international bekanntesten serbischen Politikers jener Zeit. Pašić war mehrere Male sowohl vor dem Ersten Weltkrieg serbischer als auch danach jugoslawischer Regierungschef gewesen und führte die nationalistische „Radikale Partei“. Zunächst schrieb Reiswitz, dass er „in letzter Zeit sehr viel mit den Serben zusammen war, die hier [in Berlin] studieren. Alex. Horovic, mein serbischer Lehrer u. Freund, ein Student der Chemie aus Belgrad, (Buchdruckerei) der jetzt hier in Berlin seinen chemischen Doktor macht, ist der Vertreter für alle hiesigen serbischen Studierenden vor den deutschen Behörden. So lerne ich durch ihn viele junge Serben kennen. Er ist Pašić-Anhänger, aber gerade darum wohl vertragen wir beide uns so gut, da ich ja auch Radikal bin!“

      In diesem Auszug manifestiert sich nicht nur weiter Reiswitz’ nunmehr aufgenommenes Studium des Serbischen, sondern auch der Beginn einer gewissen Netzwerkbildung.201 Die Freundschaft zu und der Austausch mit Horovic, der bereits schon das Bindeglied zwischen Cvijić und Reiswitz dargestellt hatte, sollte sich bis in die späten dreißiger Jahre hinein fortsetzen. Dass er sich selbst als „Radikal“ bezeichnete, ist Indiz dafür, dass seine Jugoslawienzuneigung einen stark pro-serbischen Zug hatte.

      Während Vida also wenig Interesse an Politik an den Tag legte, war sie andererseits durchaus daran interessiert, ihr Deutsch zu verbessern und dankbar für Literaturempfehlungen. So hat ihr Reiswitz offensichtlich George Bernard Shaws (1856–1950) „Heilige Johanna“ empfohlen, wie ihrem Brief vom 04.03.25 zu entnehmen ist. Sie bedauerte, dass „die jugoslawischen Bibliotheken“ leider „die besten deutschen Sachen“ nicht in ihrem Bestand führten.

      Aus Vidas Briefen geht nicht hervor, wie sie selbst sich die deutsche Sprache aneignete. Sie schrieb durchweg verständlich, ihre Handschrift ist sehr leserlich, an heutigen Kriterien (Europäischer Referenzrahmen) gemessen bewegt sich sich in ihren Briefen sicherlich auf hohem B2-Niveau.

      Reiswitz’ aufkeimendes Interesse an Serbien und Jugoslawien ist nicht nur daran erkennbar, dass er seine neue Freundin zu politischen Stellungnahmen bewegen wollte, welche ihr unangenehm waren. Vida erwähnte sowohl am 23.10.24, also bereits nur wenige Tage nachdem sie ihn in Dubrovnik kennengelernt hatte, und am 04.03.25 seinen ihr gegenüber geäußerten Wunsch, baldmöglichst einen Brief auf Serbisch an sie zu richten. Am 02.05.25 bezog sie sich sogar auf einen „kleinen Vers“ in serbischer Sprache, den er ihr geschickt habe.

      Sie selbst war eine stolze Serbin, allerdings hatte sie keine hohe Meinung von den Bewohnern der Hauptstadt Belgrad. In ihrem Brief vom 30.01.25 legte sie dar, dass ihre Landsleute alle früher „Schweinehändler“ gewesen und jetzt die Belgrader Serben „eingebildete Hochstapler“ seien. Sie fügte hinzu, dass in Belgrad mit wenigen Ausnahmen fast jeder an „Größenwahn“ leide. Reiswitz teilte ihre Kritik an der vermeintlichen Mentalitätsverschiebung vieler ihrer Landsleute offenbar nicht, da sie am 18.01.25 schrieb: „Du bist ja gegen Jugoslawien ganz gut aufgelegt, es gefällt Dir hier recht gut.“

      Aus Vidas Brief vom 18.01.25 geht auch hervor, dass Reiswitz in einem Brief an sie vom 01.01.25 erwähnte, dass er einen Posten in Belgrad anstrebte.202 Dies deutet darauf hin, dass sein im Brief an Fräulein Fresenius vom 06.09.24 geäußerter Wunsch nach einer diplomatischen Tätigkeit keine Eintagsfliege war. Er schien nun ganz konkret Belgrad ins Auge gefasst zu haben für eine diplomatische Aufgabe. Vida war davon nicht begeistert: „Ich glaube aber, du wärest mit dem Leben in Belgrad gar nicht zufrieden, man lebt hier doch ganz anders als bei euch – überhaupt in Belgrad! Sogar ich – als Serbin, fühle mich in Belgrad ganz schlecht. Ich finde das leben [sic] dort irgendwie unnatürlich – ungesund – fieberig -–unsympathisch.“ Offenbar hatte Reiswitz sogar konkrete Pläne, im Juni 1925 Belgrad einen Besuch abzustatten, worauf Vida am 18.01.25 kurz einging.

      Auch am 26.03.25 thematisierte sie die mögliche Beschäftigung Reiswitz’ in Belgrad und sein Bemühen, nun Serbisch zu lernen. Nachdem sie auf seine Begründung für seine nur unregelmäßig bei ihr eintreffenden Briefe einging, eine Nachlässigkeit die er mit hohem Arbeitsaufwand entschuldigte, bezog sie sich erneut auf seine Bemühungen, eine


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