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komplett zugeschneit. Deshalb brannte auch das dezente Deckenlicht.

      »Vielleicht sollten wir draußen mal nachsehen gehen«, meinte Tobey zwischen zwei Bissen aus trockenem Toast, die er mit heißem Kaffee die Kehle hinunterspülte. Die Windpockennarben stachen momentan wie rote Käfer auf seinem totenbleichen Gesicht hervor und standen im krassen Gegensatz zu dem dichten, dunkelblonden Vollbart.

      Doch bevor Caleb eine Antwort geben konnte, klopfte es energisch an der Eingangstür, und zwar so laut, dass es sogar noch im weit entfernten Speisesaal deutlich zu hören war.

      Der Hausmeister warf seiner Frau einen schnellen Blick zu, bevor er sich eilig erhob.

      »Erwarten Sie etwa Besuch, Philbin?« Harlan lachte auf. Es klang wie das Quieken eines Schweins kurz vor dem Schlachten.

      Caleb ignorierte ihn einfach, ging auf den Korridor hinaus und durchquerte die Lobby zur Eingangstür. Das raue Ornamentglas, das in einem dicken Aluminiumrahmen eingefasst war, gab weder einen Blick nach innen, noch nach außen frei. Nur das Tageslicht fiel schwach gebündelt herein.

      Noch immer klopfte es ununterbrochen. Bevor er öffnete, atmete er noch einmal tief durch. Er hatte keine Ahnung, wer dort draußen stand, denn es gab in diesem Bereich keine Fenster.

      Schließlich gab sich der Hausmeister einen Ruck. Als er die schwere Eingangstür, die einem großen alten Tor glich, aufdrückte, fegte ein schneidender Wind herein, in dem Schneeflocken und Eiskristalle tanzten.

      Eine hüfthohe Schneewehe, die sich vor der Schwelle gebildet hatte, brach daraufhin in sich zusammen.

      Für einen kurzen Moment schloss Caleb die Augen, denn die Kälte, die brachial hereinströmte, ließ ihn zittern, als würde er unter Parkinson leiden. Draußen gab es keine Sonne mehr. Jegliches Licht schien ausgelöscht zu sein. Nur Halbdunkel, Eis und Schnee, das ohrenbetäubende Heulen des Windes und … vier Männer.

      Vermummt in dick gefütterte Parkas, halb erfroren und mit flehenden Blicken unter den vereisten Kapuzen standen sie vor ihm … mehr tot als lebendig. Ausnahmslos trugen sie geräumige und schwere Polyester-Jagdrucksäcke mit integrierten Gewehrfutteralen über den breiten Schultern, in denen Jagdgewehre mit Bisonleder-Riemen steckten.

      Niemand sprach ein Wort, denn es war klar, was sie sich wünschten: Einlass und Schutz vor dem Unwetter. Genauso wie vor Kurzem die Wanderer.

      Caleb zögerte keine Sekunde. Er war zwar kein guter Christ, aber wenn er diese bewaffneten Männer abwies, würden sie garantiert mit letzter Kraft versuchen gewaltsam eindringen oder draußen in der Kälte erfrieren, und beide Optionen kamen für ihn nicht infrage.

      Voller Dankbarkeit kamen die vier erschöpften Jäger herein. Hinter ihnen schlug Caleb die Eingangstür zu.

      In diesem Moment dachte er sofort an die knappen Vorräte und an den Hunger, der bald in ihren Eingeweiden wüten würde. Doch gleich darauf wischte er diese finsteren Gedanken wieder beiseite.

      Die Männer stellten sich ihm als Jack Shaffer, Eric Waters, Ray Romero und Peter York vor. Tatsächlich waren sie bei einem Jagdausflug in der Sierra Nevada vom Schneesturm überrascht worden.

      Caleb händigte ihnen sofort Schlüssel aus, damit sie sich erst einmal aufwärmen, ausruhen und frisch machen konnten. Ihre Zimmer lagen ebenfalls in der ersten Etage. Der Hausmeister wollte nämlich sämtliche Gäste auf einer Etage versammeln, um den Überblick nicht zu verlieren. Außerdem musste er dann auch nur dieses Stockwerk richtig heizen.

      Nachdem er wieder in den Speisesaal zurückgekehrt war, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Als er von dem Eintreffen der Jäger berichtete, kam er kurz ins Stocken, denn die Reaktion der übrigen Gäste war natürlich vorhersehbar. Sie schwiegen, bissen die Zähne zusammen oder blickten sich betreten und zornig an. Jeder von ihnen wusste ganz genau, was das für sie bedeutete.

      Selbst Hillary wurde fast augenblicklich hysterisch vor Wut. Warum hatte ihr Mann noch mehr Menschen ins Hotel gelassen? Er wusste doch nur zu gut von dem Dilemma, das ihnen nun allen bevorstehen würde.

      Wortlos erhob sie sich und verließ mit schnellen Schritten den Speisesaal. Hinter ihr knallte die Doppeltür ins Schloss.

      »Sind Sie verrückt geworden, Philbin?« Harlan warf die Gabel, mit der er das letzte Stück Rührei aufgespießt hatte, aufgebracht auf den Teller. Es schepperte laut. »Wir haben kaum noch was zu beißen und sie lassen einfach einen Trupp Jäger herein?«

      »Was hätte ich denn bitteschön sonst machen sollen? Ihnen die Hilfe verwehren und sie damit dem sicheren Tod ausliefern?«

      »Verflucht noch mal, wenn es sein muss – ja!«, brüllte Harlan zurück. Seine Stimme überschlug sich fast. Laura neben ihm nickte jetzt wie eine Marionette. Auch die anderen Gäste widersprachen ihm nicht. Nur Britt schüttelte den Kopf, wagte es aber nicht, sich offen mit ihrer Meinung gegen die anderen zu stellen.

      Caleb atmete tief durch und stieß die Luft geräuschvoll durch die Nasenlöcher aus, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Nur langsam beruhigte sich sein Puls wieder. Er wusste ja selbst, dass der Bankangestellte eigentlich recht hatte, aber trotzdem hatte er die Jäger nicht einfach dem sicheren Tod überlassen können.

      »Ich habe Ihnen schließlich auch geholfen, Harlan«, verteidigte er sich. »Ihnen und all Ihren Freunden.«

      Doch der Angesprochene ließ sich nicht beirren. »Ich kann eins und eins zusammenzählen. Die Situation ist doch jetzt eine vollkommen andere. Wenn die Vorräte sowieso schon knapp sind, reichen sie mit weiteren hungrigen Mäulern gar nicht mehr aus. Aber Mathematik scheint für einen Hausmeister wohl zu hoch zu sein!«

      In diesem Moment explodierte Caleb. Über den Tisch hinweg griff er nach dem Hemdkragen des Bankangestellten und zog ihn brutal vom Stuhl hoch.

      »Halt endlich dein verdammtes Maul!«

      Harlan war bleich geworden. Wie ein Fisch zappelte er im eisernen Griff des viel größeren und stärkeren Mannes. Er wartete darauf, dass dieser ihm jeden Augenblick seine Faust ins Gesicht schmettern würde.

      Es war Britt, die die Situation schließlich entschärfte. Sie war aufgesprungen und legte ihre schmale Hand besänftigend auf den prall gespannten Bizeps des Hausmeisters. »Nicht, Caleb.«

      Nur langsam verrauchte die unbändige Wut, die wie ein Herbststurm in Philbins Eingeweiden wütete. Am liebsten hätte er dem aufgeblasenen Mann vor sich eine Lektion erteilt, die dieser nie wieder vergessen würde.

      Widerwillig ließ er den Dicken los. Harlan plumpste auf den Stuhl zurück. Er schluckte, schwieg aber aus Angst, weil er nicht erneut den Zorn des anderen erregen wollte. Als Laura nach seiner Hand greifen wollte, stieß er sie ruppig zurück.

      »Wir müssen jetzt das Beste aus der Situation machen«, meinte Caleb, nachdem er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Er bedachte Britt mit einem schiefen Lächeln, das sie sogleich erwiderte.

      »Vielleicht ist es ja gar nicht mal so schlecht, dass jetzt Jäger unter uns sind. Dann können sie draußen Wild für uns erlegen.« Tobey Arness, der ewige Optimist, schaute Beifall heischend in die Runde.

      »Bei diesem Wetter, du Traumtänzer?«, fuhr ihm Harlan in die Parade, der sich offenbar wieder von dem Schock erholt zu haben schien.

      »Gott wird es schon richten, Ned.«

      »Scheiß auf deinen Gott!«

      Tobey schwieg, warf seinem Freund jedoch einen düsteren Blick zu.

      »Gott wird gar nichts richten«, schimpfte Ned Harlan weiter. »Wir werden schon bald nichts mehr zu essen haben, elendig verhungern oder uns selbst zerfleischen.«

      Die Anwesenden schwiegen deprimiert. Auch Caleb Philbin sagte kein Wort.

      ***

      

      Während Ned, Tobey, Veronica und Britt weiter im Speisesaal mit dem Hausmeister diskutierten, ging Laura die breite Treppe hoch, um das Nichtraucher-Doppelzimmer aufzusuchen, das sie sich


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