SNOW BONE. Guido Grandt
Werwölfisches verlieh. Die Knollennase, der breite Mund und die Zahnlücke – ihm fehlte der obere Schneidezahn – vervollständigten diesen Eindruck noch. Die winzigen roten Venen auf seinen Wangen deuteten darauf hin, dass auch er einem Drink nicht abgeneigt war. Er war vierundfünfzig und unverheiratet.
Genauso wie Peter York, der Unscheinbarste in der Gruppe, und mit seinen knapp einem Meter siebzig auch der Kleinste und mit fünfzig Jahren der Jüngste von ihnen. Er war unattraktiv und übergewichtig. Sein bereits graues Haar war licht und rahmte ein pausbäckiges, rosiges Gesicht mit rauchgrauen Augen, einer kurzen Schweinenase mit großen Nasenlöchern, einem Mund mit hervorstehender Unterlippe und einem Doppelkinn ein. Wie Romero war er von Beruf Jäger.
Die vier hatten sich auf den Schießständen im Carson City Shooting Park kennengelernt. Seitdem verbrachten sie fast jedes Wochenende zusammen bei Jagdausflügen im Yosemite Park beziehungsweise in der Sierra Nevada.
»Und was jagt ihr?«, fragte Tobey geradeheraus, und sah die Neuankömmlinge dabei der Reihe nach an.
»Alles, was aussieht wie eine zweibeinige Wildkatze und es nicht rechtzeitig auf die Bäume schafft!« Jack Shaffer schlug sich vor Lachen auf seine muskulösen Oberschenkel. Seine drei Kumpels stimmten grölend mit ein. Sonst allerdings niemand.
»Apropos Wildkatze«, meinte Shaffer, mühsam nach Luft schnappend. »Eine, die ich mit meinem mächtigen Gewehr sofort ins Visier nehmen würde, wärst du auf jeden Fall, Darling!« Unverblümt warf er Britt Eklund, die irgendwie verloren zwischen ihren Freunden saß, einen eindeutigen Blick zu. »Du entsprichst nämlich voll und ganz meinem Beuteschema. Gott ist mein Zeuge, Darling!«
Auch Romero schnalzte anerkennend mit der Zunge, während er auf den Busen der Blondine starrte, der sich prall unter dem schlichten, engen Strickkleid abzeichnete.
In Britt stieg sofort blanker Zorn auf. Sie wartete gar nicht erst ab, ob einer ihrer Freunde, die wegen des sexuellen Affronts für einen Moment fassungslos waren, ihr zu Hilfe eilten.
»Mit Kerlen wie euch würde ich mich nicht mal abgeben, wenn ihr die einzigen Schwanzgeburten auf der Welt wärt!« Britts veilchenblaue Augen blitzten herausfordernd.
»Hört euch die Tussi an!« Eric Waters lispelte aufgrund eines angeborenen Sprachfehlers stark, was ihn mit Ray Romero verband, der ein Stotterer war. »Nimmt sich ziemlich viel heraus, würde ich mal behaupten.«
Jetzt ging Caleb dazwischen. »Wir sind hier nicht zusammengekommen, um uns gegenseitig zu beschimpfen, sondern um uns besser kennenzulernen!«
»D-D-D-das sehe i-ich … ge-ge-genauso, Housekeeper«, stotterte Romero, wobei er Laute, Silben oder Wörter rasch hintereinander wiederholte. Jedoch nicht aus Nervosität, sondern aufgrund einer motorischen Fehlfunktion, die allerdings nicht ausreichend geklärt war. Bei ihm war das Stottern schon ab dem vierten Lebensjahr aufgetreten und auch in der Pubertät, wie es oftmals der Fall war, nicht verschwunden. Das hatte er gleich nach der kurzen Vorstellung erklärt, um diesbezügliche lästige Fragen im Keim zu ersticken. Allerdings verwechselte er Philbins Hausmeistertätigkeit mit der des Housekeeping. Damit war eigentlich ein bestimmter Aufgabenbereich eines Hotels gemeint, der für die Reinigung und für die Ausstattung in den Zimmern, Gängen und Treppenhäuser zuständig war. Das aber war alles andere als Philbins komplexe Arbeit.
»Es freut mich, dass wir da einer Meinung sind«, gab Caleb zurück.
Doch Romero schüttelte den Kopf. »S-S-So war das n-n-nicht gemeint, H-H-Housekeeper. Unter k-k-kennenlernen v-v-v-verstehe ich T-T-Tuchfühlung mit ’ner T-T-Tussi.«
Wieder lachten die Jäger auf, als hätten sie soeben einen Witz von Trevor Noah in seiner Daily Show auf Comedy Central gehört.
Es war Tobey, der sich schließlich verbal vor Britt stellte. »Also gut Jungs. Jeder sieht, dass Britt eine heiße Frau ist. Ihr habt euren Senf dazugegeben und gut ist!«
Seine Freundin Veronica räusperte sich.
Ned grinste wie ein Honigkuchenpferd, als wollte er sagen: Das sind meine Worte, Jungs. Schaut euch mal die Supertitten und die langen Beine von Britt genauer an! Ich wedle mir jeden Tag darauf einen von der Palme.
Laura, die sich von der Szene im Bad mittlerweile wieder einigermaßen erholt hatte, wollte aufstehen, überlegte es sich aber im letzten Moment doch noch anders.
»Deine Schnitte ist aber auch nicht von schlechten Eltern, Bohnenstange!«, wandte sich Jack Shaffer nun an Tobey.
Erneut grölten seine Kumpels los.
»Wo sind wir vorhin stehen geblieben?«, fragte Caleb in die Runde, um die Situation zu entschärfen. »Ach ja, beim Pirschen. Was jagt ihr denn noch so außer heiße Miezen?« Er sah die Jäger abwechselnd an.
Der abrupte Themenwechsel verfehlte seine Wirkung nicht.
»Vor allem Maultierhirsche, Fichten- und Fischmarder und Rotluchse«, lispelte Waters ernst.
»… u-u-und mit v-v-viel Glück P-P-Pumas und S-S-S-Schwarzbären«, stotterte Romero.
»Ist es nicht verboten, Großwild abzuschießen?«, spann Caleb den Gesprächsfaden bewusst weiter.
»Zum einen ja, zum anderen nein«, mischte sich Peter York mit glockenheller Stimme ein, die so gar nicht zu seinem rauen Äußeren passte. »Aber wen interessiert das schon? Keine Menschenseele, solange wir nicht erwischt werden.«
Bevor Caleb etwas darauf antworten konnte, rief Laura fast hysterisch: »Aber das ist doch barbarisch. Einfach aus purer Lust Tiere zu töten. Wie können Sie das nur mit Ihrem Gewissen vereinbaren?«
York sah sie verachtend an. »Was bist du denn für 'ne Pussy? Tierschützerin, Gutmensch oder was?«
Sekundenlang herrschte Stille in der Lounge. Nur das Knacken und Knistern der Holzscheite im Kamin war noch zu hören. Erneut erfüllte eine unsichtbare Spannung den Raum, doch dieses Mal ging es nicht um Frauen, sondern um Tiere. Jeder wartete darauf, dass Ned seine Verlobte verteidigte, aber er schwieg beharrlich, und starrte angestrengt zu Boden, als würde er dort etwas suchen.
»Was erlauben Sie sich?«, begehrte nun Laura auf, und versuchte, dem festen Blick ihres Gegenübers standzuhalten. »Ich bin keine Pussy.«
»Wenn d-d-dann ’ne z-z-ziemlich hässliche!« Wieder lachten die Jäger dröhnend auf. Romero konnte sich fast nicht mehr beherrschen, Tränen schossen in seine grünbraunen Augen.
Laura schluchzte. Tobey, Veronica und Britt hielten die Luft an, und Caleb war sich sicher, sich verhört zu haben.
Erst jetzt erwachte Ned zum Leben, hob den Blick unter den Schlupflidern, stand auf und wandte sich York zu. »Was hast du dämlicher Waldmensch gerade zu meiner Verlobten gesagt?«
Niemand im Raum hätte ihm diese Reaktion zugetraut. Nicht seine Freunde und am allerwenigsten Laura, die gar nicht wusste, wie ihr geschah.
Auch Peter York erhob sich nun aus seinem Sessel. Er war genauso groß wie der Bankangestellte und ähnlich beleibt. Er betrachtete den Mann vor sich mit bösartiger Freude und befeuchtete seine Lippen. »Drohst du mir etwa gerade, Fatty?«
Caleb sprang in die Höhe und wollte sich zwischen die Streithähne stellen, wurde aber von den kräftigen Händen des riesigen Jack Shaffer zurückgehalten. »Lass das die beiden untereinander ausmachen«, zischte er an seinem Ohr. Mit einer ruckhaften Bewegung befreite sich der Hausmeister aus dem Griff, hielt sich jedoch tatsächlich zurück.
»Mit solchen Idioten wir dir habe ich jeden Tag in meiner Bank zu tun«, schleuderte Harlan dem Jäger verächtlich entgegen, schluckte aber schwer dabei, als müsse er gerade über seinen eigenen Schatten springen. »Nichts in der Birne aber große Töne spucken.«
Man sah York an, dass er sich beherrschen musste. »Ah, ein Geldzähler bist du also. So einer, der in der Finanzkrise die Leute über den Tisch gezogen hat, was? Und jetzt einen noblen Schlitten fährt, sich ein schickes Häuschen zugelegt hat und mit heißen Nutten