SNOW BONE. Guido Grandt
darauf hatte identifizieren müssen, hatte sie außer seinem verschobenen, halb gespaltenen Gesicht nicht mehr viel gesehen, was irgendwie etwas mit ihm gemein gehabt hatte. Diesen grauenvollen Anblick hatte sie nie mehr vergessen. Er verfolgte sie sogar jetzt noch regelmäßig in ihren Albträumen.
Laura fürchtete sich nicht nur vor dem Altern, sondern vor allem auch davor, jemals entstellt zu werden. Das war der größte Horror für sie.
Deshalb strebte sie nach Vollkommenheit, und war mit ihrem Aussehen niemals zufrieden, selbst, wenn sie ausgesehen hätte, wie Britt. Hin und wieder gestand sie sich ein, eigentlich froh sein zu müssen, dass ein Mann wie Ned sich um sie bemühte. Selbst, wenn dieser nicht gerade aussah wie Brad Pitt … eher wie ein Hosenpisser!
Als Laura an die nächtliche Szene zurückdachte, sträubten sich ihr unwillkürlich die Nackenhaare, und das ganz bestimmt nicht, weil ihr Verlobter sich in die Hose gemacht hatte.
Schnell versuchte sie, auf andere Gedanken zu kommen, aber es gelang ihr nicht.
Aufgrund unseres äußeren Erscheinungsbildes werden weder Ned noch ich, jemals den anderen betrügen. Wir sind zwar irgendwie Seelenverwandte, vor allem aber hinsichtlich unserer optischen Unattraktivität vereint.
Keiner von ihnen musste jemals mit der Angst leben, dass ein anderer möglicher und attraktiverer Partner Interesse an ihnen hatte. Nicht einmal für einen harmlosen Flirt. Ohnehin wäre es für einen wie auch immer gearteten Neuanfang längst zu spät. Vor allem, wenn man als Frau Mutterglück erleben wollte.
Brüder und Schwestern im Geiste …
Das schweißte zusammen. Ein Leben lang. Das hoffte Laura zumindest. Aber vielleicht war das alles ja auch nur ein großer Irrtum. Wie hatte ihre verstorbene Großtante immer gesagt: Der Fehler liegt darin, zu glauben, dass es in einer Beziehung immer so weitergehen wird, wie bisher.
Vielleicht bewegten sich Ned und sie ja auch aus Angst im letzten Moment doch noch im Stich gelassen zu werden, unaufhaltsam auf einen Abgrund zu. Sie hatten längst aufgehört, etwas dagegen zu tun, ließen sich einfach nur treiben und warteten auf den Absturz. Was danach passierte, lag nicht in ihrer Hand. Vielleicht war es aber auch nur ein Mangel an Fantasie und Weitsicht oder sie hatten schlichtweg keinen richtigen Plan. Vielleicht war es ein bisschen von allem. Besser, sie redeten sich ein, dass dies eine Art Liebesprobe war, die es zu bestehen galt.
Was für trübe Gedanken für eine Frau, die kurz vor ihrer Hochzeit steht, schalt sich Laura selbst eine Närrin, während die feinen Wasserstrahlen aus dem Duschkopf ihren Körper massierten und die Glaswände der Kabine um sie herum beschlugen.
Nach der Dusche zog sie sich einen Bademantel über und legte sich auf das breite Boxspringbett. Allerdings fand sie es zu hart und die Kissen zu weich.
Kurz darauf ging sie wieder ins Badezimmer zurück, um eine Gesichtscreme zu holen, die sie vergessen hatte aufzutragen.
Als sie einen flüchtigen Blick in den Spiegel warf, erschrak sie bis ins Mark. Die entsetzlichen Empfindungen, die sie so jäh überfielen, waren mit Worten nicht zu beschreiben. Es kam ihr auf einmal so vor, als ob die Welt um sie herum, wirbelnd und schäumend gegen die Finsternis und gegen eine dunkler werdende, abkühlende Sonne ankämpfte. Der Widerhall entsetzlichen Stöhnens kroch laut wie eine Explosion in ihre Gehörgänge, und überzog ihren vom warmen Wasser noch erhitzten Körper mit einer Gänsehaut.
Laura starrte auf ihr Spiegelbild, doch es zeigte nicht ihr jetziges Aussehen, sondern jenes, das sie vor dreißig Jahren gehabt hatte …
… ein junges, pummeliges und hässliches Mädchen mit rotem Haar, das in zwei Zöpfen seitlich vom Kopf abstand.
Sie lag auf dem Boden in einem Zimmer, das ihr seltsam vertraut vorkam. Über ihr befand sich ein wabernder, grausiger, eiskalter Schatten, der ihr ebenfalls wohlbekannt war. Doch jetzt sah er anders aus.
Ganz anders.
Kahl und haarlos der Schädel, abgeschliffen und von Strahlen verbrannt. Die Gesichtszüge schienen nur noch aus Muskeln und Fasern zu bestehen. Die Pupillen waren weiß und starr, irgendwie tot und doch von etwas Unheiligem beseelt.
Das Gewirr aus stinkendem Fleisch und Haut über ihr wisperte immer wieder dieselben vier Worte:
»Friss du kleine Schlampe!«
So fest sie konnte, presste sie die Lippen zusammen, denn in der rechten Faust des Schattens schimmerte etwas Rundes, Festes.
FRISS …
Milchfarbene Kernseife.
DU …
Die Faust des Schattens sauste nach unten und schmetterte die Seife auf ihren Mund. Ihre Lippen platzten auf wie reife Vogelbeeren. Die obere Zahnreihe barst, als bestünde sie aus Porzellan.
KLEINE …
Beinahe verschluckte sie sich an den spitzen Fragmenten der Schneidezähne, die von innen ihren Rachen aufschlitzten. Die Kernseife drang wuchtig in ihre Kehle, sodass sie neben dem eisernen Blutgeschmack auch die strenge, seifige Natronlauge und Natriumsalze schmecken konnte, die ihre Schleimhäute reizten.
SCHLAMPE …
Immer fester und tiefer stopfte der abgrundtief hässliche Schatten die Seife in ihren Rachen … solange, bis sie alles in ihrem Hals auszufüllen schien, sie keine Luft mehr bekam und nicht einmal mehr husten konnte.
Qualvoll und zuckend erstickte sie wie ein an Land gezogener Fisch …
Die Vision war so heftig, dass Laura wuchtig mit dem Rücken gegen die Duschkabine prallte. Die Glaswände erzitterten unter ihrem Gewicht.
Als Ned Harlan wenig später ins Zimmer kam, fand er seine Verlobte zitternd und wimmernd auf dem warmen Eichenparkettboden im Bad liegend. In ihren Augen stand namenloses Entsetzen.
1-5
Die fünf Freunde begegneten den vier Jägern das erste Mal in der Lounge. Dort saßen sie nun in den ledernen Sitzgarnituren vor dem angezündeten Kamin zusammen, um sich gegenseitig zu beschnuppern, wie Tobey sich ausdrückte.
Eingefädelt hatte das Caleb, der ebenfalls mit dabei war. Er beabsichtigte damit, dass sich die beiden so unterschiedlichen und unter diesen tragischen Umständen zusammengewürfelten Gruppen nicht nur besser kennenlernten, sondern dass sie auf diese Weise auch eventuelle Vorurteile abbauen konnten. Hillary hingegen hatte sich immer noch wütend ins Hausmeisterquartier verzogen.
Mit seinen eins-fünfundneunzig war der athletisch gebaute Jack Shaffer der größte Mann unter den Jägern. Auch sonst stach er wegen seiner dreieckigen Lederklappe über dem linken Auge optisch hervor, da er wie ein gefährlicher Pirat aussah. Das andere Auge schimmerte kohlrabenschwarz. Die spiegelblanke Glatze stand im Kontrast zu seinem buschigen, schwarzen Vollbart. Darüber waren rot geäderte Wangen zu sehen, die daraufhin hinwiesen, dass er dem Alkohol nicht abgeneigt war. Seine Nase war breit, die Lippen fleischig. Der Zweiundfünfzigjährige stammte, genau wie seine Kumpels, aus Carson City, Nevada. Er war verheiratet und von Beruf Holzfäller.
Auch Eric Waters war ein Bär von einem Mann. Eins-neunzig groß, bullig, mit schulterlangem, blondem Haar, in das sich allerdings bereits Geheimratsecken eingeschlichen hatten. Hellen, listigen Augen, einer breiten Nase, einem schön geschnittenen Mund und einem muskulösen Hals. Er war ein Jahr älter als Shaffer, ebenfalls Holzfäller, verheiratet und hatte im Gegensatz zu ihm zwei erwachsene Kinder.
Der kräftige Ray Romero, der nur fünf Zentimeter kleiner als Waters war, besaß brandrotes, lockiges Haar und einen Dreitagebart, der wie das