SNOW BONE. Guido Grandt
es sie ebenso wie die anderen, dass noch mehr potenzielle Esser eingetroffen waren. Vor allem aber auch, wie Ned mit ihr am Tisch umgegangen war. Noch nie zuvor hatte er ihre Hand weggestoßen und sie so vor anderen gedemütigt. Noch nie seit sie sich vor Jahren bei einer Veranstaltung in einem Tierheim in Frisco kennen und lieben gelernt hatten, denn Ned war genauso ein Hundenarr wie sie selbst.
Im Hauptkorridor in der ersten Etage steckte Laura die Schlüsselkarte in den Schlitz, zog sie durch und wartete auf das obligatorische grüne Lämpchen. Dann drückte sie die Tür mit der Schulter auf, trat ein und ließ sie hinter sich wieder ins Schloss fallen.
Der große Raum war ein kombiniertes Wohn- und Schlafzimmer mit schlichter Eleganz. Die abwaschbare Vinyl-Tapete hob sich durch ein helleres Blau von der Farbe des dicken, flauschigen Teppichbodens ab. Überall hingen Ölbilder, die Motive von Schlachten zwischen US-Kavalleristen und Indianern zeigten. Rechts von der Tür waren die Kofferablage und ein großer Spiegel angebracht, daneben ein hoher, antiker Holzschrank. Links davon stand das breite Doppelbett mit je einem Nachttisch. Von dort aus führte eine Verbindungstür ins Bad und zu der danebenliegenden Toilette.
Gegenüber der Tür befanden sich zwei große in Richtung Osten gelegene und bis zum Boden reichende Fenster, die einen Blick auf die ansonsten atemberaubende Landschaft ermöglichten. Davor befand sich eine Sitzgelegenheit, ein runder Tisch, zwei weich gepolsterte Sessel mit schwarz-weiß gestreiftem Bezug und Füßen aus matt gebürstetem Edelstahl. In der Ecke stand ein kleiner Fichte-Schreibtisch mit einem Flachbildfernseher und darunter gab es die obligatorische Minibar.
Laura trat an eines der hohen Fenster mit den geöffneten Vorhängen und starrte hinaus in das harte, tiefgraue Licht, das die Winterlandschaft beschien. Noch immer heulte und tobte der Schneesturm und trieb Eisflocken wie Schrotkugeln gegen die verstärkten Scheiben. Die Wipfel der Tannen und Kiefern dahinter bogen sich im schneidigen Wind.
Gewiss, das Unwetter und die daraus folgende Situation überforderten sie alle, aber dennoch war sie Neds Verlobte, die sich nicht so von ihm behandeln lassen musste. Schließlich wollten sie Ende des Jahres heiraten. Laura hatte immer geglaubt, dass sie, solange sie sich hatten, reich waren. Natürlich nicht im materiellen, sondern im zwischenmenschlichen Sinne.
Apropos Reichtum: Sie war fest davon überzeugt, dass Ned es irgendwann vom normalen Bankangestellten zum Abteilungsleiter bringen würde und damit einer Familie auch finanzielle Sicherheit und Rückhalt bieten könnte. Die Qualifizierung dazu hatte er allemal, obwohl sein Vorgesetzter ihn aufgrund seiner cholerischen Ausfälle immer wieder mal kritisierte. Einmal hätte ihr Verlobter nämlich beinahe einen Rentner verdroschen, weil der einen abgeschlossenen Hauskredit-Vertrag, zu dem Ned ihn überredet hatte, kündigen wollte und damit drohte an die Presse zu gehen. Dabei hatte eine vierstellige Provision auf dem Spiel gestanden …
Ein solches Verhalten hätte sich Laura in ihrem Job als Vorstandssekretärin eines IT-Konzernes natürlich niemals leisten können. Ohnehin hatte sie es schon schwer genug, denn immer mehr hübsche, junge und hochqualifizierte Flittchen aus anderen Abteilungen bewarben sich intern auf ihre Stelle. Bislang hatte sie Glück gehabt, dass der CEO zu ihr gehalten hatte, aber der Vorstandsvorsitzende würde bald in Altersruhestand gehen und sein Nachfolger hatte schon angekündigt, seine eigene Sekretärin auf den Posten zu setzen. Schließlich wollte er kein hässliches Entlein in seinem Vorzimmer, mit dem er sich nicht mal einen Blowjob vorstellen konnte.
In der Tat, die Schönen hatten es viel leichter im Leben. Oftmals reichte bei ihnen schon ein Lächeln, Titten oder viel Bein zeigen oder gleich ein Griff in die Hose des Bosses und alles war gebongt. Bei ihr würde man eher eine Kotztüte benötigen, wie ihr ein boshafter Kollege einmal bei einem Streit an den Kopf geworfen hatte.
Natürlich war Laura noch in Ned verliebt, alles andere wäre eine Pervertierung ihrer Zukunftspläne, dennoch hatte sich schon jetzt eine gewisse Trägheit in ihre Beziehung eingeschlichen. Das lag vor allem daran, dass in ihrem Leben nicht viel geschah, und es größtenteils ruhig und gesetzt verlief. Deshalb sehnte sie sich insgeheim manchmal nach etwas mehr Abwechslung, Nervenkitzel oder wie immer man es nennen mochte. Die ganze Wucht des Glückes, das verliebte Paare normalerweise spürten, war mit leisen Schritten an ihnen vorübergegangen und spröden Zeiten der Gleichgültigkeit gewichen.
Nervenkitzel hast du doch jetzt genug! Von der Außenwelt abgeschnitten, eingeschneit in einem Hotel mit fast einem Dutzend anderen Menschen, denen bald die Nahrungsvorräte ausgehen …
Und der Sex? Der war manchmal traurig und verwirrend, manchmal aber auch ruppig oder angemessen. Einmal hatte sie Ned, als sie vom Einkaufen zurückkam, beim Onanieren erwischt. In der Linken hatte er seinen Minischwanz gehalten, in der Rechten sein Smartphone, auf dem er gerade einen Pornoclip abgespielt hatte. Die Darstellerin war blutjung gewesen, wahrscheinlich noch minderjährig, und hatte irgendwie wie ihre Freundin Britt ausgesehen. Blond, zierlich, mit großen, prallen Titten, einem knackigen Arsch und langen Beinen.
»Ich kann dir alles erklären«, hatte Ned gesagt. Doch Laura hatte ihm eine schallende Ohrfeige verpasst, sodass der winzige, erigierte Pimmel auf der Stelle in sich zusammengeschrumpft war. Nach dieser erniedrigenden Szene hatten sie fast ein halbes Jahr lang nicht mehr miteinander geschlafen. Nur nach und nach hatten sie sich körperlich wieder angenähert. Aber der Gedanke, dass er dabei an die Sex-Bombe Britt dachte, ließ sie nie wieder los, obwohl ihre Freundin als Letztes etwas dafür konnte. Noch nie hatte Britt Lauras Verlobten irgendwelche Avancen gemacht. Aber wusste der Teufel, was sich in einem triebhaften Männerhirn so alles abspielte. Hinzu kam noch, dass Laura fünf Jahre älter als ihr Partner war. Vielleicht stand er ja doch auf diese jungen Dinger.
Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sie natürlich auch heimliche Begierden. So wünschte sie sich zum Beispiel nichts sehnlicher, als einmal von einem oder gleich zwei Typen so richtig hart rangenommen zu werden. Am besten von Farbigen, die dem Volksmund nach die längsten und dicksten Stangen in der Hose hatten. Ned hingegen war einfach nur unerfahren und ein Softie.
Mit einem tiefen Seufzer dumpfer Bitternis ging die fünfunddreißigjährige Rothaarige ins Bad. Die Badezimmertür war mit Spiegelglas verkleidet und der Boden bestand aus warmem Eichenparkett, ganz anders als bei herkömmlichen Hotels mit den kühlen und steril wirkenden Fliesen. Über den beiden Waschbecken hingen Spiegel und weiße Hochschränke und neben der gläsernen Duschkabine gab es sogar einen Whirlpool als Wanne.
Noch immer roch es hier drin nach Reinigungsmitteln von der Art, die einem noch Wochen nach der Verwendung in der Nase stachen.
Sie brauchte jetzt unbedingt eine heiße Dusche, um wieder klar denken zu können.
Laura zog ihr Oberteil und ihre Jeans aus, danach öffnete sie die Häkchen ihres BHs und streifte ihn von ihren unnatürlich gewölbten Silikonbrüsten. Vor drei Jahren hatte sie ihre unförmigen, schlaffen, voluminösen Möpse künstlich vergrößern, sozusagen aufblasen lassen. Wobei dieser Begriff aufgrund der schweren Silikonkissen mehr als verfehlt war.
Abgesehen von den kleineren Liftings in ihrem Gesicht war dies ihre einzige größere Schönheits-OP gewesen.
Gebracht hat’s allerdings nicht viel. Du siehst immer noch wie ein Hefeteig aus, nur dass deine Nippel jetzt kerzengerade daraus hervorstechen!
Die Haut mit den gesprenkelten Sommersprossen wirkte im Neonlicht noch blasser, als sie ohnehin schon war. Die kurzen, mit Cellulite-Dellen übersäten Beine erinnerten an zwei Säulen, die das Gewicht des drallen Oberkörpers tragen mussten.
Die Spiegel boten wahrlich einen wenig schmeichelhaften Anblick.
Eigentlich hatte Laura sich vor der Hochzeit noch Fett an Schenkeln und Bauch absaugen und sich auch um ihr schwaches Bindegewebe kümmern wollen. Einen Termin dafür hatte sie in einer Beauty-Klinik in Frisco sogar schon gemacht. Der Grund dafür war ganz einfach: Sie strebte nach körperlichem Perfektionismus, obwohl sie meilenweit davon entfernt war.
So weit wie der Mond von der Erde.
Das lag vor allem daran, dass ihr Ex-Mann Oswald – sie war in jungen Jahren bereits einmal verheiratet gewesen – bei einem schrecklichen