Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Michaela Dornberg
Gedanken aus dem Kopf. Du machst keine Probleme, mein Kind, hast niemals welche gemacht. Du bist die Tochter, von der alle Eltern träumen.«
Das war nicht gelogen.
Bambi kam um das Beet herumgelaufen, umarmte ihre Mutter stürmisch, drückte ihr einen schmatzenden Kuss auf die Stirn.
»Mami, das kann ich voll zurückgeben, bessere Eltern als Papi und dich gibt es nicht auf der ganzen Welt. Ich bin ein Glückspilz, eine Auerbach zu sein.«
Alles war wunderbar gewesen, warum hatte sie den letzten Satz ausgesprochen? Natürlich war sie eine Auerbach, sie war gleichgestellt mit Ricky, Jörg und Hannes, in allem. Aber sie war es nicht von vornherein gewesen. Doch genau davon war sie überzeugt.
Manuel drängte zur Eile, er wollte die Rennfahrer nicht verpassen, und Bambi musste sich ja noch wenigstens die Hände und das Gesicht waschen.
»Hol bitte schon mal mein Fahrrad aus der Garage, Manuel«, rief sie, »ich komme dann vorne heraus.«
Sie winkte ihrer Mutter zu.
»Ich hab dich lieb, beste Mami von der Welt«, nach diesen Worten stürmte sie ins Haus, und Inge sah ihr betroffen hinterher.
Das war wieder ein Zeichen dafür gewesen, dass es an der Zeit war, endlich mit der Wahrheit herauszurücken.
Inge spürte den dumpfen Schlag ihres Herzens, der sich mit ihrer Angst vermischte.
Es lag etwas in der Luft, das spürte sie genau. Warum unternahm sie nichts?
Sie würde mit Werner reden, sofort nach seiner Rückkehr aus England.
Doch jetzt …
Jetzt konnte sie hier nicht weiter herumzupfen. Unkraut jäten war eine so undankbare Aufgabe. Man quälte sich, freute sich, und kaum hatte man den Rücken gekehrt, begann es wieder zu wuchern.
Inge konnte jetzt auf keinen Fall allein bleiben. Sie brauchte Gesellschaft. Und welch ein Glück, dass sie, um die zu bekommen, nicht weit gehen musste. Nur nach nebenan zu ihren Eltern.
Sie hierher zu holen war die beste Entscheidung überhaupt gewesen. Inge und ihre Eltern waren ganz eng miteinander, aber auch Werner verstand sich mit seinen Schwiegereltern prächtig, und die Enkel und Urenkel beteten Omi und Opi an.
Bei ihren Eltern konnte Inge abschalten, und sie würde, weiß Gott, mit keiner Silbe diese leidige Adoptionsgeschichte erwähnen, sondern sie würden über Gott und die Welt plaudern, an Themen mangelte es ihnen nicht, und das waren in erster Linie welche, die nichts mit dem Sonnenwinkel und seinen Bewohnern zu tun hatten.
Inge rief nach Jonny, doch der blinzelte sie nur träge an und rührte sich nicht von seinem Platz. Das gefiel ihr überhaupt nicht. Jonny schwächelte, was bei seinem hohen Alter kein Wunder war.
Inge ging ins Haus, ehe sie im Badezimmer verschwand, hörte sie Bambi und Manuel unbeschwert lachen.
Ach ja, jung müsste man sein. Wenn man jung war, da klebten die Probleme nicht an einem fest. Da vergaß man sie so rasch wie sie einem in den Sinn gekommen waren. Beklagen musste sie sich eigentlich auch nicht, wenn da bloß nicht das mit der Adoption wäre …
*
Monika Lingen schlenderte langsam, mit einem Buch unter dem Arm, durch den zum Sanatorium gehörendem großen, gepflegten Park.
Sie hatte ein Ziel, den ein wenig verwunschenen Seerosenteich, der sich am Rande des Parks befand.
Sie hatte den Teich direkt am ersten Tag entdeckt und ihn zu ihrem Lieblingsplatz auserkoren. Sie konnte überhaupt nicht verstehen, warum die anderen Leute, die hier auch eine Reha machten, so gut wie nie an den Teich kamen. Hier standen, wie im Park, Bänke.
Nun, ihr sollte es recht sein.
Monika genoss die Stille und die Atmosphäre, die zum träumen verleitete.
Es war etwas geschehen. Sie hatte sich verändert, genoss den Tag, konnte sich über Gänseblümchen freuen, die sie viele Jahre lang überhaupt nicht wahrgenommen hatte, oder das Gezwitscher der Vögel. Sie hatte nicht nur einen, sondern viele Gänge heruntergeschaltet und genoss dieses entschleunigte Leben.
Sie fühlte sich wohl, machte gute Fortschritte, und es war auf jeden Fall richtig gewesen, hierher und nicht anderswohin zu gehen. Sie konnte dem Professor aus der Klinik gar nicht genug danken.
Die ärztliche Betreuung war hervorragend, die Therapeuten waren nett und kompetent. Und auch über das Essen, über das sie als Spitzenköchin hätte meckern können, war nichts Negatives zu sagen.
Monika hatte ihren Lieblingsplatz erreicht. Eine Bank, die still vor sich hinrostete.
Sie setzte sich und genoss erst einmal die ganze Szenerie, von der sie nicht genug bekommen konnte. Es war schon unglaublich. Sie kam jeden Tag hierher und entdeckte dennoch immer etwas Neues.
Heute allerdings war sie nicht so aufmerksam, weil ihr viele Gedanken durch den Kopf gingen, die mit ihrem Leben, mit ihrem Mann, ihrem Job zu tun hatten.
Ihre Zeit hier war begrenzt.
Wie würde es weitergehen?
Der »Seeblick« war so weit weg. Wenn sie ehrlich war, würde sie ihn am liebsten vergessen, aus ihrem Gedächtnis streichen.
Sie war müde geworden, und es graute ihr vor dem, was auf sie zukommen würde. Wäre sie allein, wüsste sie, was zu tun wäre.
Doch da gab es Hubert, ihren Mann, den sie noch immer liebte, obwohl sie sich in den letzten Jahren ein wenig aus den Augen verloren hatten. Sie hatten nicht miteinander, sondern nebeneinander gelebt, hatten funktioniert. Die Liebe war ihnen zum Glück nicht abhanden gekommen, aber sie war unter einem Alltagsberg verschüttet gewesen, und für Zärtlichkeit, für ein Miteinander …, da hatte die Zeit gefehlt, da waren sie zu müde gewesen.
Weil sie hier auch so viel Zeit zum nachdenken hatte, war ihr eines klar geworden. Sie liebte Hubert, nicht mehr mit der Begehrlichkeit von früher, nicht mehr mit der Leidenschaft, sondern anders. Sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.
Doch wenn sie nach Hause kam, würde sie der Alltag nicht wieder einholen und verschlingen?
Nun, so wie vor ihrem Herzinfarkt konnte sie nicht mehr funktionieren, das hatten ihr die Ärzte klargemacht, und das wollte sie auch nicht.
Warum brauchte es eigentlich immer einen Paukenschlag, ehe man zur Besinnung kam?
Obwohl es ein warmer, sonniger Tag war, fröstelte Monika. Ohne Frau Dr. Steinfeld wäre sie jetzt tot!
Nein, sie wollte sich das nicht vorstellen, wollte nicht mehr dran denken. Es war, zum Glück, noch mal gut gegangen!
Es wäre schön, Hubert könnte jetzt bei ihr sein, um mit ihr das alles zu genießen. Sie sehnte sich nach ihm, und auf jeden Fall würde sie ihn gleich anrufen. Schade, dass sie ihr Handy in ihrem Zimmer gelassen hatte.
Schritte näherten sich.
Schade!
Nun, sie hatte kein Alleinrecht auf den Teich und konnte nur hoffen, derjenige oder diejenige würden sich eine andere Bank suchen und sich nicht neben sie setzen, um zu plaudern.
Das war eine Unsitte, deswegen mied Monika auch die Parkbänke. Die meisten Mitpatienten waren ziemlich schmerzfrei, setzten sich einfach dazu und fingen, ob man nun las oder nicht, das Plaudern an.
Die Schritte, recht energische Schritte, näherten sich »ihrer« Bank.
Nun gut, sie war nicht dazu aufgelegt, jetzt mit jemandem zu sprechen, dann würde sie eben gehen und später noch mal zurückkommen oder morgen.
Sie stand auf, drehte sich um und erstarrte.
Das konnte jetzt nicht wahr sein!
Es war nicht irgendwer gekommen, sondern … Hubert, ihr Ehemann.
Gut sah er aus!
Er wirkte frisch und dynamisch, und