Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
Vortrag, aber nur, wenn es hochkarätig war. Und ansonsten würde er seine Bücher schreiben. Er hatte der Wissenschaft noch eine ganze Menge zu sagen.
Und er würde mit Inge ein wirklich gemeinsames Leben beginnen, das hatte sie wirklich verdient.
Der Professor hatte es eilig, nach Hause zu kommen, und als er die Haustür aufschloss, spürte er, dass etwas anders geworden war. Es war nicht der köstliche Duft von Hühnersuppe, der das Haus durchströmte.
Nein, Inge kam ihm entgegen, und erst jetzt wurde ihm wieder einmal bewusst, welch attraktive Frau seine Inge doch war.
Sie trug ein bordeauxrotes Wollkleid, das ganz wunderbar zu ihren schönen Augen und ihren recht kurzen Haaren passte, und das ihre weiblichen Rundungen betonte.
Der Professor rückte ein wenig nervös seine randlose Brille zurecht, durch die betont wurde, dass er ein Intellektueller war.
Was hatte das zu bedeuten?
Unter normalen Umständen hätte er es positiv gedeutet, doch so, wie sie beide derzeit drauf waren, wie sie sich angifteten, war er besorgt.
Wenn ihr Streit besonders heftig war, hatte sie ihm mehrfach gedroht, ihn zu verlassen.
War es jetzt so weit?
Wollte sie ihm noch einmal vor Augen führen, was er an ihr verlor?
Professor Werner Auerbach, der international anerkannte Wissenschaftler, der auch ein Mann des überzeugenden Wortes war, war sprachlos.
Inge ging auf ihn zu, lächelte ihn an und sagte: »Schön, dass du daheim bist, Werner. Ich habe extra für dich Hühnersuppe gekocht, weil ich glaube, dass sie dir nach einem Aufenthalt im tristen, verregneten London guttun wird.«
Sie war nett!
Sie war ausgesprochen nett!
Und, verflixt noch mal, wie toll sie aussah!
Inge hatte sich verändert.
Er war nicht in der Lage, seine Gedanken in Worte zu fassen, und das war schon recht bedenklich.
»Magst du dich ein wenig frisch machen?«, erkundigte Inge sich. »Ich hole derweil die Suppe aus der Küche.«
Die Auerbachs liebten ihre gemütliche Wohnküche, ganz besonders den großen Familientisch.
Ihr Wohnzimmer mit den schönen alten Biedermeiermöbeln, die Inge mit in die Ehe gebracht hatte, benutzten sie nur an hohen Feiertagen. An denen aßen sie an dem Tisch, der in einer Essnische stand.
Auf dem Weg ins Badezimmer blickte Werner in den Raum, und seine Verunsicherung wuchs. Der Tisch war wunderschön gedeckt, Inge hatte sogar ihre guten Kristallgläser und die Silberleuchter auf den Tisch gestellt.
Er wollte etwas sagen, besann sich, wusch sich im Badezimmer rasch die Hände, dann hatte er es eilig, an den beinahe festlich gedeckten Tisch zu kommen.
Werner saß kaum, als er nicht länger an sich halten kannte.
»Inge, was ist los, wenn das die Einleitung für eine Trennung sein soll, und du willst es mir noch einmal nett machen, damit ich sehe, was ich verliere, dann bin ich nicht damit einverstanden, sondern ich werde alles tun, damit du bei mir bleibst. Ich werde um dich kämpfen.«
Sie war so perplex, dass sie nichts sagen konnte, und das beflügelte ihren Mann noch mehr.
»Es ist vieles schiefgelaufen, ich war ungeduldig, ich habe herumgebrüllt. Tut mir leid. Aber ich habe auch nur Nerven, und das, was da mit unserer Kleinen geschehen ist, wie herausgekommen ist, dass wir sie adoptiert haben, hat mich ungerecht werden lassen. Du kannst nichts dafür, ich kann nichts dafür. Wir haben es zusammen verursacht, und ich finde, wir müssen es zusammen ausbaden.«
Inge sagte noch immer nichts.
»Inge, wir haben doch immer an einem Strang gezogen, und das war unsere Stärke. Wir müssen uns darauf wieder besinnen.«
Ihm waren die gleichen Gedanken gekommen. War das nicht merkwürdig, und zeigte das nicht, wie sehr und wie eng sie miteinander waren. Das hatte sogar eine Fernwirkung.
»Das könnte dir so passen, mein Lieber«, rief sie und schaute ihn dabei schelmisch an. »Ich habe die besten Jahre meines Lebens mit dir verbracht, und das war nicht immer einfach. Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt für ein jüngeres Modell Platz mache?«
Nun war er sprachlos.
»Du …, du …«, stammelte er schließlich. »Du willst dich nicht trennen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Werner, daran würde ich niemals im Traum denken«, sagte sie ernst. »Vergiss, was ich manchmal im Zorn so dahergeredet habe.« Sie wurde noch ernster. »Werner, ich liebe dich, und mir ist klar geworden, dass wir beide dabei waren, das, was zwischen uns so wunderbar ist, zu zerstören. Ich habe deine Lieblingssuppe gekocht, mich ein wenig aufgehübscht, und dass ich hier in unserem Wohnzimmer serviere …, nun, ich finde, ein Neuanfang braucht auch einen würdigen Rahmen.«
Werner liebte eine gute Hühnersuppe über alles, er fand den Rahmen hier großartig, aber …
Die Suppe konnte warten!
Loben für alles konnte er sie später!
Im Augenblick gab es nur eines zu tun, und das war, seine Frau in den Arm zu nehmen, sie zu küssen und ihr zu sagen, wie sehr er sie doch liebte.
Inge genoss jeden Moment. Sie fühlte sich zurückgesetzt in die stürmische Anfangszeit ihrer Beziehung, und sie hätte wirklich nicht für möglich gehalten, dass in ihnen noch so viel Leidenschaft steckte.
Es war noch immer schlimm, was passiert war.
Es ließ sich nicht rückgängig machen.
Aber gemeinsam konnten sie überlegen, was nun zu tun war, um den Frieden wieder herzustellen.
Und es war keine Frage. Es war am allerbesten, dass sie bei sich anfingen. Und da waren sie gerade dabei …, es war schön, nein, es war wunderschön, und es war überhaupt nicht zu begreifen, dass sie sich so sehr aus den Augen verloren hatten.
»Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«, stand in einem Gedicht.
Ja, es stimmte, da waren sie jetzt. Und das nach so vielen Jahren …
*
Obwohl es sehr anstrengend und sehr zeitaufwendig war, liebte Roberta die Hausbesuche bei ihren Patienten. Und sie bereute nicht einen Augenblick lang, sich dafür entschieden zu haben.
Ihr alter Freund Enno hatte sie gewarnt, aber sie hatte all seine Warnungen in den Wind geschlagen. Und in einem hatte er auf jeden Fall recht. Es wollten auch Patienten besucht werden, die es auf jeden Fall zu ihr in die Praxis geschafft hätten. Aber da das die Ausnahme war, sah Roberta großzügig darüber hinweg.
Jetzt wurde sie zum Lindenhof zu den Lützelers gerufen, und da war Roberta sich sicher, das es berechtigt war, um ihre Hilfe zu bitten.
Ein weiches Lächeln umspielte Robertas Lippen, als sie auf den blitzsauberen Hof fuhr. Sie war noch nicht lange im Sonnenwinkel gewesen, als man sie zu Sonja Lützeler gerufen hatte, die ihr erstes Kind bekam, und die von der Hebamme, die die Geburt begleiten sollte, in Stich gelassen worden war, weil eine andere Patientin die arme Frau egoistisch für sich in Anspruch genommen hatte.
An die konnte Roberta sich auch noch sehr gut erinnern. Lissy Kleinert und ihr Mann Benno, die glaubten, sich mit ihrem Geld alles erkaufen zu können. Denen hatte sie einen Strich durch die Rechnung gemacht, und Lissy war im Krankenhaus gelandet, um dort ihr Kind zu bekommen. Aber für Sonja Lützeler war sie da gewesen, und sie hatte einem gesunden kleinen Mädchen geholfen, das Licht der Welt zu erblicken. Roberta hatte während ihres Studiums auch das Gebiet Geburtshilfe gestreift. So eine Geburt dann tatsächlich zu erleben, das war etwas anderes als das, was in den Büchern stand. Sie war nicht nur auf die Kindesmutter stolz gewesen, weil die das fabelhaft gemacht hatte, nein, ein wenig auch auf sich selbst. Und sie war gerührt gewesen,