Heiße Küsse & eine neue Kulisse. Kathrin Fuhrmann
Aufruhr geflissentlich.
Seine Schultern verkrampften sich dennoch. Die Anspannung, die sich seit dem Streit mit Angus in seinem Nacken festgesetzt hatte, verursachte ihm Kopfschmerzen. Jetzt auch noch von einem anstrengenden Fan erkannt zu werden, war das Letzte, was er gebrauchen konnte.
„Können wir so tun, als wüssten Sie nicht, wer ich bin?“
„Unmöglich.“ Die Frau lachte auf. „Es freut mich unglaublich, Sie persönlich zu treffen. Tatsächlich habe ich Ihnen bereits vor ein paar Wochen einen Fanbrief geschrieben. Bestimmt ist er auf dem Postweg verloren gegangen, sonst hätten Sie mit Sicherheit geantwortet.“ Sie zwinkerte ihm zu.
Sein Ärger schrumpfte. Dennoch hoffte er, dass sie ihre Worte nicht ernst meinte. Sie mochte ungefähr in seinem Alter sein. Noch vor einem Jahr hätte er die Gelegenheit genutzt, mit diesem attraktiven Wesen zu flirten. Jetzt allerdings wollte er lediglich schweigend in seinem Selbstmitleid baden.
„Tut mir leid“, sagte er. „Ich habe keine Autogrammkarte bei mir. Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, schicke ich Ihnen aber gerne eine zu.“
„Sehr freundlich. Erlauben Sie mir, ein Selfie mit Ihnen zu machen? Außerdem darf ich die nächsten Stunden Ihre Gesellschaft genießen. Das ist die größte Ehre.“
Innerlich verdrehte er die Augen, obwohl er ein Lächeln schaffte, den Kopf zu ihr lehnte und für das gewünschte Foto posierte.
Die Frau bedankte sich. Während sie ihr Handy wieder wegsteckte, wanderte ihr Blick immer wieder zu ihm. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Meine Eltern haben ihre Flugmeilen zusammengelegt, damit ich erster Klasse fliegen kann. Wenn ich Ihnen erzähle, dass ich Dank ihnen mein Idol treffen konnte, werden sie mir nicht glauben. Was für ein Zufall!“
„Was für ein Glück“, brummte er sarkastisch.
„Eigentlich gehöre ich noch gar nicht so lange zu Ihren Fans. Ich bin auf Sie aufmerksam geworden, als Sie sich öffentlich geoutet haben.“
So ein Fan also. „Bitte versuchen Sie mich jetzt nicht zu verführen“, bat er. „Ich weiß, dass Frauen es als Herausforderung empfinden, mich von meiner neuen sexuellen Orientierung abbringen zu wollen. Heute habe ich jedoch keinen Nerv, Ihnen höflich zu erklären, dass ich kein Interesse habe.“
Die Frau lachte wieder. Mochte sie auch nervig sein, das Geräusch machte sie sympathisch. „Würde ich mich an Sie ranschmeißen, wäre meine Frau schrecklich enttäuscht.“
Erleichterung durchflutete ihn. „Sind Sie schon lange verheiratet?“
„Zwei Jahre. Ich würde sagen, wir stehen noch ganz am Anfang.“
„In meinen Augen eine lange Zeit. Dann haben Sie sich wohl bereits aneinander gewöhnt“, murmelte er.
„So könnte man es sagen. Es war jedoch schwieriger, sich an die dämlichen Kommentare von Fremden und Bekannten zu gewöhnen. Für Sie als Mann muss es noch schlimmer sein. Die meisten Kerle finden es sexy, wenn zwei Frauen sich küssen. Bei zwei Männern reagieren viele gleich homophob aus Angst, für schwul gehalten zu werden. Die weibliche Weltbevölkerung ist viel offener und toleranter. Die Herren der Schöpfung aber …“
„… wollen nur nicht zu weich wirken“, setzte er fort. „Gerade in der Modewelt darf man sich nicht zu sehr für Trends interessieren, ohne gleich einen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Als würde es für unseren Job irgendeinen Unterschied machen, wen wir lieben.“
„Sage ich doch. Ich beneide Sie nicht darum, ein Mann zu sein. Dass Sie so offen mit Ihrer neuen Beziehung umgegangen sind, hat ein wichtiges Zeichen gesetzt. Immer, wenn sich eine Berühmtheit outet, fällt es jungen Leuten leichter, zu sich selbst zu stehen.“
Von diesem Blickwinkel aus hatte er die Sache noch nicht betrachtet. „Dennoch überrascht es mich, wie feindselig mir von mancher Seite begegnet wird. Ich bin immer noch der gleiche Mensch, aber man behandelt mich ganz anders.“
Sie nickte. „Eine Erfahrung, die Sie mit vielen aus der Community teilen.“
Plötzlich stockte er. „Sie sind aber keine Journalistin, oder? Ich lese das, was ich Ihnen anvertraue, nicht plötzlich in der Presse?“
Statt sich von seiner Unterstellung beleidigt zu fühlen, zog sie ihre Papiere und ihr Handy hervor.
Das Herz rutschte ihm in die Hose. Er rechnete damit, dass sie ihm gleich ihren Presseausweis unter die Nase halten würde. Doch sie deutete lediglich auf ihren Namen in ihrem Reisepass und öffnete dann ihre Facebookseite.
„Keine Presse“, versprach Elisabeth und zeigte ihm die Stelle ihres Profils, an der sie als Arbeitsplatz eine Anwaltskanzlei eingetragen hatte. Auch in ihrem Feed deutete nichts darauf hin, dass sie sich sonderlich für Klatsch und Tratsch interessierte.
Fasziniert betrachtete er die Fotos, die die Fremde mit einer anderen Frau zeigten. Die beiden lächelten Hand in Hand in die Kamera, umarmten sich, küssten sich, waren eindeutig bis in die Zehenspitzen verliebt. Wie es wohl wäre, wenn er so frei zu seiner Liebe stehen könnte? Ob er jemals in der Lage wäre, so unbeschwert mit Angus für Fotos zu posieren?
Sie scrollte zu einem Foto und öffnete die Kommentarsektion. Auf dem Bild war sie wieder mit ihrer Ehefrau zu sehen. Die beiden standen unter einem Rosenbogen und küssten sich. Wenn er die eleganten, weißen Kleider der zwei Frauen und die Blumendekoration richtig interpretierte, handelte es sich um ihren Hochzeitstag.
Die meisten Leute gratulierten ihnen darunter zu dem wunderschönen Setting, dem wichtigen Moment, der deutlich erkennbaren Liebe zwischen ihnen. Andere hingegen wurden ausfallend. Entsetzt registrierte er, dass manche Kommentare das Paar sogar beleidigten.
„Warum haben Sie das nicht gelöscht?“, fragte er mit enger Kehle.
„Weil es mich daran erinnert, die Möglichkeit nicht für selbstverständlich zu sehen, meine Traumfrau zu heiraten. Wir sehen uns vielleicht Unverständnis und Hass gegenüber. Doch immerhin werden wir nicht verfolgt, weil wir unserem Herzen folgen.“
Trotzdem überraschte es ihn, dass sie ihre Verletzlichkeit so offen zeigte. Sie versuchte nicht krampfhaft, das Bild eines perfekten, glücklichen Lebens zu vermitteln. Es war deutlich zu sehen, dass ihre Frau und Elisabeth ein tolles Paar abgaben. Dass es Menschen gab, die das anders sahen, versteckte sie allerdings nicht. Sie zeigte ihre Kampfwunden voller Stolz.
Er hatte gedacht, er müsse auch weiterhin darauf achten, nach außen hin den Eindruck des makellosen Models ohne Sorgen und Probleme zu erwecken. Es war ihm wichtiger gewesen, die Spitzen von Angus’ Mutter zu ertragen und irgendwie ihr Wohlwollen zu erwecken, als sein Missfallen deutlich auszudrücken. Obwohl klar geworden war, dass sie ihn niemals würde leiden können, hatte er versucht, freundlich und unbeeindruckt zu bleiben. In seinen Augen hatte Angus’ Reaktion an dem Bild gekratzt, dass er abgeben wollte. Doch was, wenn das verlorene Liebesmühe war?
Seit er sich geoutet hatte, war ihm von allen Seiten Gegenwind entgegengeweht. Er hatte gehofft, das würde aufhören, wenn er standhaft blieb und Stärke zeigte. In seiner Vorstellung hätte es ihn in der Öffentlichkeit schwach wirken lassen, wenn er sich zu diesen Anfeindungen geäußert hätte. Was, wenn er dabei falsch gelegen hatte?
„Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie ihnen das erste Mal eine Frau als Partnerin vorgestellt haben?“, fragte er. „Entschuldigung, falls Sie nicht antworten möchten, kann ich das verstehen.“
Elisabeths Lächeln verblüffte ihn immer wieder. Diese Frau schien nichts zu erschüttern. Ihre positive Ausstrahlung ließ Patrick sogar beinahe seinen Ärger über Angus’ Verhalten vergessen.
„Kein Problem. Meine Eltern haben bereits geahnt, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle. Sie sind großartig damit umgegangen. Miriam hatte es nicht so leicht. Ihre Familie war bei unserer Hochzeit nicht anwesend. Sie leugnen ihre Existenz, seit sie wissen, dass Miriam nichts mit Männern anfangen kann.“
„Beeinflusst das Ihre Beziehung nicht?“
„Am Anfang