Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Das hat doch Zeit, bis sie zurück sind«, meinte der Mann gemächlich.
Langsam ging Marian zu seinem Wagen zurück. Diesen Weg hatte er also auch umsonst gemacht. Nein, nicht ganz umsonst, denn er hatte erfahren, daß Frank diese Anna Baecker geheiratet hatte, eine Urlaubsbekanntschaft! Warum hatte er ihm davon nichts mitgeteilt, warum hatte er sich überhaupt in Schweigen gehüllt und Ralf Esser ebenfalls? Gut, sie hatten sich immer nur von Zeit zu Zeit getroffen, sporadisch und ohne vorher Verabredungen zu treffen, aber nach diesem Griechenlandurlaub war Schweigen im Walde gewesen.
Jetzt blieb also noch Ralf, aber nach Rom fahren wollte Marian denn doch nicht, ohne sich vorher zu vergewissern, daß er Ralf dort auch tatsächlich antreffen würde.
Marian versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Es war wohl kaum anzunehmen, daß Anna das Kind in der Arztpraxis zurückgelassen hatte. Sie befand sich auf der Hochzeitsreise. Vielleicht war jener Tag sogar der Hochzeitstag gewesen. Aber sie war mit Anita befreundet, zumindest mit ihr befreundet gewesen. Anita List! Der Name war ihm eingefallen, aber was nützte ihm das?
Doch, es konnte etwas nützen. Er konnte sich auf dem Einwohnermeldeamt erkundigen, ob sie in Köln wohnhaft war. Und wenn nicht, konnte er in Frankfurt das gleiche versuchen.
Hier in Köln bekam er eine abschlägige Antwort. Eine Anita List war zu keiner Zeit gemeldet gewesen. Er fuhr weiter nach Frankfurt, doch dort konnte er an diesem Tag überhaupt nichts mehr erreichen, da das Amt bereits geschlossen hatte.
Es nützte ihm auch nichts, seinem Unwillen darüber Ausdruck zu geben, daß nachmittags keine Öffnungszeit war.
Er suchte ein gutes Restaurant auf, das er von früheren Besuchen kannte und in dem er wenigstens ein anständiges Essen bekam. Dann erst beschäftigte er sich mit dem Telefonbuch, aber eine Anita List war darin nicht zu finden.
So entschloß er sich, bis zum nächsten Tag zu bleiben. In einem komfortablen Hotelzimmer ruhte er sich erst einmal aus und ließ sich alles nochmals durch den Kopf gehen. Dann entschloß er sich, Ralf Esser in Rom anzurufen, unter der Nummer, die Arndt ihm gegeben hatte. Und diesmal hatte er Glück. Er konnte mit Ralf sprechen, der sich zuerst sehr überrascht über den Anruf zeigte, dann aber noch viel überraschter war, als Marian ihm berichtete, daß Frank Anna geheiratet hätte.
»Was soll man dazu sagen!« rief Ralf aus. »Ich habe schon ewig nichts mehr von ihm gehört. Er hat auch nichts verlauten lassen, daß er Kontakt zu ihr gehalten hätte. Aber sicher ist das eine sehr bequeme Frau. Meine Kragenweite wäre sie nicht gewesen.«
»War vielleicht Anita eher deine Kragenweite?« fragte Marian.
Ralf lachte schallend. »Du lieber Himmel, nein, da war doch nichts dahinter. Wieso fragst du überhaupt nach ihr?«
»Ich würde mich gern mit ihr über einiges unterhalten«, erwiderte Marian.
»Ich bin jetzt in Frankfurt. Weißt du ihre Adresse?«
»Nein, wohnt sie überhaupt in Frankfurt? Menschenskind, wenn du dich amüsieren willst, gibt es dort doch eine Masse von der Sorte, und bestimmt viel schönere. Komm doch nach Rom. Hier gibt es wirklich Klassemädchen.«
»Bist du in festen Händen?« fragte Marian.
»Bisher nicht, aber es gibt eine, für die ich meine Freiheit aufgeben würde. Daß Frank an dieser farblosen Anna hängen geblieben ist, will mir gar nicht in den Sinn. Hat er ihr etwa ein Kind angehängt?«
Ja, das war der Ton, der zwischen ihnen üblich gewesen war, doch plötzlich widerte Marian alles an.
»Ich weiß so wenig wie du«, sagte er, und von Ulli sagte er nichts. Er war plötzlich überzeugt, daß Ralf es bestimmt nicht zugeben würde, wenn er der Vater des Kindes sein sollte.
Ralf sagte dann noch, daß Marian doch nach Rom kommen solle, und daß er hoffe, eingeladen zu werden, falls er sich in Ehefesseln begeben würde.
»Da ist nichts drin«, erwiderte Marian fast zornig, und dann beendete er das Gespräch, das auch nichts gebracht hatte. Später rief er seine Mutter an. Er hörte ihre Stimme, er hörte aber auch das Brabbeln des Babys. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen und ein leeres im Kopf, aber nachdem auch dieses Gespräch beendet war, dachte er zum ersten Male darüber nach, daß ein unschuldiges Kind letztendlich der Leidtragende sein wüde, wenn seine Mutter, eine großherzige, gütige Frau, sich seiner nicht angenommen hätte.
Ob diese Katja Höller es auch getan hätte? Aber vielleicht gab es in ihrem Leben einen Mann, der dagegen protestiert hätte, der sich eigene Kinder wünschte und sich so wenig zum Lückenbüßer oder Sündenbock stempeln lassen wollte wie er.
Gewiß würde diese Katja mit ihren moralischen Anschauungen nur einen ganz seriösen Partner akzeptieren, wahrscheinlich doch nur einen Arzt, der auch ihre beruflichen Interessen teilte. Unwillig fuhr er sich über die Augen. Warum dachte er überhaupt darüber nach? Was ging es ihn denn an, wie Katja lebte und mit wem sie lebte! Sein Typ war sie doch nicht.
Sein Typ, Widerwillen stieg in ihm empor. Seine Mutter hatte völlig recht, daß sie von diesem Umgang nichts hielt. Was hätte sie mit diesen Frauen auch reden sollen, die doch nur Amüsement im Sinn hatten.
Und er dachte weiter. Es mußte seiner Mutter weh getan haben, daß er seine Zeit so verplemperte. Für völlig gefühllos mußte sie ihn halten.
Marian ging hart mit sich zu Gericht. Er forschte in seiner Erinnerung, ob ihm eine Frau jemals ernsthaft etwas bedeutet hätte, aber außer seiner Jugendliebe Marianne konnte er keine finden. Marian und Marianne, ja, das hatte ihm damals gefallen. Er war zwanzig, sie achtzehn, und sie waren unzertrennlich gewesen. Und dann war Marianne mit ihren Eltern weggezogen von München. Zuerst hatte sie ihm oft geschrieben, aber er war kein Briefschreiber. Er hatte studiert und sein Studium sehr ernst genommen. Ja, das war es. Eigentlich hatte er nur seinen Beruf ernstgenommen. Da hatte er sich keine Eskapaden geleistet. Mit der Zeit hatte Marianne immer seltener geschrieben, und dann hatte sie ihm mitgeteilt, daß sie ihre große Liebe gefunden hätte.
Dabei hatte sie ihm doch oft gesagt und auch geschrieben, daß sie ihn liebe, nur ihn. Und er hatte sich zu diesem Zeitpunkt gerade entschlossen gehabt, sie zu besuchen.
Sie hatte ihn vergessen, sie hatte bei einem anderen Mann ihre große Liebe gefunden, das war ein Tiefschlag gewesen.
Große Liebe, hatte er gehöhnt, geheiratet werden wollte sie. Es gab keine beständige Liebe, es gab nur Gewohnheit. Gefühle verliefen im Sande, also brauchte man keine zu verschwenden. Das hatte er dann zu seiner Lebensphilosophie gemacht. Er hatte seinen Beruf, er hatte seine Mutter.
Mit diesem Gedanken schlief er dann ein, und er hatte eine ganze Menge Schlaf nachzuholen. Die Träume, die diesen Schlaf bewegten, hatte er am Morgen, beim Erwachen, vergessen. Er ließ sich das Frühstück bringen. Dafür nahm er sich nicht viel Zeit, zahlte seine Rechnung und fuhr zum Einwohnermeldeamt. Diesmal bekam er eine Auskunft. Ja, eine Anita List war gemeldet gewesen, bis vor fünf Monaten, dann war sie verzogen nach einem kleinen Ort in Oberbayern.
Ob er sie dort finden würde? Vor fünf Monaten! Wegen der bevorstehenden Geburt? Was immer sich auch herausstellt, ich muß es herausfinden, dachte er. Sonst finde ich keine Ruhe.
*
Katja hatte an diesem Tag noch keine Zeit gefunden, bei Frau Höller vorbeizuschauen, und sie ahnte auch schon, daß sie nicht pünktlich aus der Praxis wegkommen würde.
Rosmarie Ebling hatte auch um ihren Besuch gebeten, ziemlich dringend und sogar aufgeregt, was sie gerade von ihr gar nicht gewohnt war. Aber Katja konnte nicht weg, solange noch Patienten im Wartezimmer saßen, darunter auch Frau Wacker mit Susi. Sie waren zuletzt gekommen.
Susi ging es wieder ganz gut, da hätte sich Katja nicht lange aufhalten müssen, aber Heidi Wacker wollte erzählen, was Dr. Norden und Dr. Leitner festgestellt hatten, und Katja wußte ja nun, wie empfindlich die junge Frau reagieren konnte, wenn sie sich unverstanden fühlte. Aber sie war jetzt zuversichtlicher und lebhafter und bedankte sich immer wieder bei Katja für die guten Ratschläge,