Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
vertraute Claudia Fiebig und den kleinen Daniel dem Oberarzt an, der sofort aufhorchte, als er sich vorgestellt hatte.
»Dr. Wagner erwartet Sie«, sagte er.
»Ich gehe auch sofort zu ihm. Unterwegs war dieser Unfall«, erklärte Dr. Norden. »Ich werde Frau Fiebig und das Kind später heimbringen, wenn nichts Ernsthaftes festzustellen ist. Wir wissen ja, daß ein Schockzustand manches verdeckt.«
Das konnte Claudia glücklicherweise nicht hören. Sie war jetzt noch viel aufgeregter als vorher. Es ging ihr sehr viel durch den Sinn.
Dr. Norden allerdings auch, als er die Nummer von Martin Fiebig wählte und sich niemand meldete. Er dachte aber nicht über dieses Ehepaar nach, sondern über seinen Studienfreund Victor Wagner, da ihm der Oberarzt empfohlen hatte, zuerst mit Professor Strecker zu sprechen, bevor er Victor aufsuchte.
Strecker war älteres Semester und ein sehr jovialer Mann. Er war der Typ des väterlichen Klinikleiters.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Kollege Norden«, sagte er mit tiefer, ruhiger Stimme. »Victor hat viel über Sie gesprochen.«
»Ich habe ihn sehr lange nicht gesehen.Was fehlt ihm?« fragte Daniel.
Ein Schatten fiel über das breite, freundliche Gesicht des Älteren. »Sie wissen nicht Bescheid? Tja, dann bleibt es wieder mal mir überlassen, von diesem verfluchten Krebs zu sprechen. Lungenkrebs, inoperabel, Meteastasierung weit fortgeschritten.«
Unwillkürlich ballten sich Daniels Hände zu Fäusten. »Er ist noch nicht vierzig und war Nichtraucher«, sagte er tonlos.
»Das ist er auch geblieben. Nach der Ursache dürfen wir forschen und werden sie dennoch nicht finden. Seine Zeit wird bald abgelaufen sein. Da stehen wir machtlos vis á vis, wie so oft, und für meine Person kann ich nur sagen, daß ich froh bin, bald in Pension gehen zu können. Vic weiß Bescheid.« Seine Stimme klang jetzt dumpf, sein Blick war zu Boden gerichtet. »Sie brauchen nicht in Zuversicht zu machen, Kollege. Er hat was auf dem Herzen, was er nur Ihnen sagen will.«
»Was sagt seine Familie?« fragte Daniel.
»Er hat keine Familie. Die Eltern sind tot.«
»Er ist nicht verheiratet? Damals war er verlobt, soweit ich mich erinnere.«
»Davon weiß ich nichts. Seine Praxis hat er schon vor zwei Jahren aufgegeben. Seither kenne ich ihn. Helfen konnte ich ihm nicht und andere konnten es auch nicht. Er hat nichts als einen Haufen Geld, mit dem er nichts anfangen kann, obgleich er nie hätte etwas dazuverdienen müssen. Tragisch. Man wird nach entfernten Verwandten forschen, und wenn es die gibt, werden sie sich die Hände reiben. Und jetzt gehen Sie besser zu ihm. Um diese Zeit hat er seine gute Stunde.«
Nun, ob man es eine gute Stunde nennen konnte, wollte Daniel nicht beurteilen. Er hätte Victor Wagner nicht wiedererkannt, wäre er unvorbereitet zu diesem Patienten geführt worden. Doch in dessen Augen, die tief in den Höhlen des ausgemergelten Gesichtes lagen, leuchtete es auf, als Daniel nach der schmalen, knochigen Hand griff, die völlig kraftlos war.
»Dan, alter Junge, bin froh, dich zu sehen«, sagte der Kranke leise. »Ich bin dir sehr dankbar. Ich habe eine große Bitte an dich. Viel Zeit bleibt mir ja nicht mehr.«
»Schon erfüllt, wenn es in meiner Macht steht«, sagte Daniel.
»Du bist ein Menschenfreund. Du hast für alles Verständnis. Ich habe von deiner Insel der Hoffnung gelesen. Aber mir hätte dort auch nicht geholfen werden können. Mich hat das er-wischt, was ich meinen Patienten nur schwersten Herzens sagte, wenn es feststand.« Er atmete pfeifend. »Erinnerst du dich an Sabine?«
Daniel blickte auf, fast erschrocken, sich fragend, was diese Frage bedeuten könnte.
»Warst du nicht mit einer Sabine verlobt?« kam es zögernd über seine Lippen.
»Ja, die verdammte Eifersucht hat uns getrennt.Wir wollten heiraten. Sabine erwartete ein Kind. Aber dann sah ich sie mit einem anderen Mann, und ich drehte durch und bezweifelte, daß ich der Vater des Kindes sei. Ich vergesse nie ihren Blick. Sie ging, verschwand wortlos. Vor zwei Jahren habe ich sie wiedergesehen. Sie hat mich nicht erkannt. Ich war da schon sehr verändert und wußte, daß es keine Rettung für mich gibt, wenngleich ich mich an den berühmten Strohhalm klammerte.«
Und nun klammerte sich sein Blick hilfesuchend an Daniels Gesicht.
»Sie hat diesen Mann geheiratet«, fuhr Victor flüsternd fort. »Manfred Mainhard heißt er. Aber es ist mein Kind, Dan. Ich habe es gesehen. Ich weiß, daß ich der Vater bin, und ich will, daß das Kind alles bekommt, was ich besitze. Du mußt mir helfen, du mußt Martina helfen. Meine Tochter heißt Martina. Sabine ist stolz. Ich hatte ihr damals geschrieben, aber ich habe keine Antwort bekommen. Für sie bin ich schon vor zwölf Jahren gestorben, und es war allein meine Schuld. Sie hat Manfred Mainhard erst ein Jahr später geheiratet, und sie haben zwei Kinder, die acht und sechs Jahre sind. Ich habe Erkundigungen eingezogen. Er ist Schriftsteller. Mein Gott, was verdienen die schon, wenn sie keinen Namen haben. Du wirst es ihr sagen, bitte, Dan, daß es mein letzter Wunsch ist, dem Kind und ihr zu helfen. Sag ihr, daß allein dieser Gedanke mich in Frieden sterben läßt. Du kannst das. Ich konnte es nicht schreiben. Du kannst so überzeugend sein. Weißt du noch, damals sagtest du mir, daß ich Internist werden solle, zum Gynäkologen oder Chirurgen würde ich nicht taugen. Ich wurde Internist. Ja, du kannst selbst Zweifelnde überzeugen, Dan. Bitte…«, seine Stimme erstarb, er nahm nochmals alle Kraft zusammen. »Mein Testament ist bei Notar Brandt. Versprich mir…« Nun hatte er keine Kraft mehr, er sah Daniel nur noch flehend an.
»Ich werde alles tun, was in meiner Kraft ist, Vic«, sagte Daniel. »Ich verspreche dir, daß dein Wille erfüllt wird.«
»Danke, Dan«, hauchte der Kranke, dann sank er in tiefe Bewußtlosigkeit.
Professor Strecker kam. »Er hat bald ausgelitten«, sagte er leise.
»Benachrichtigen Sie mich bitte«, sagte Daniel heiser.
»Ist selbstverständlich. Wenn meine Zeit hier vorbei ist, werde ich mich auf Ihrer Insel erholen. Ist doch zu machen?«
»Aber gewiß.«
»Es bleibt nichts in den Kleidern hängen«, murmelte der Professor. Er seufzte schwer. »Da draußen wartet wieder jemand auf Sie.«
Claudia Fiebig und ihr kleiner Daniel waren glücklicherweise gut davongekommen. »Papa schümpft«, plapperte der Kleine.
Davor schien auch seine Mutter Angst zu haben. »Mein Mann regt sich schnell auf«, sagte sie entschuldigend. »Er hat viel Ärger im Büro, und wenn Föhn ist, leidet er unter Kopfschmerzen.«
Die Fiebigs wohnten in einem Neubau, der architektonisch recht ansprechend gestaltet war. Und Martin Fiebig hielt schon aufgeregt Ausschau nach Frau und Kind. Er war ein blasser, ziemlich hochaufgeschossener junger Mann, und in seinen Augen brannte Angst und Eifersucht. Daniel Norden war ein guter Menschenkenner. Die hübsche Claudia schien sich jedoch nicht bewußt zu sein, daß ihr Mann maßlos eifersüchtig war. Unwillkürlich dachte Dr. Norden an Victor Wagner, der sich auch aus Eifersucht ein we-
nigstens kurzes Glück verscherzt hat-te.
»Was soll das bedeuten, was ist passiert?« stieß Martin Fiebig hervor.
»Auto bumbum gemacht«, sagte der kleine Daniel.
Blasser konnte der Mann kaum noch werden, und schnell erklärte ihm Dr. Norden, was gerade geschehen war.
»Ihre Frau trifft nicht die geringste Schuld. Ich bin Zeuge«, sagte er, aber Martin Fiebig riß Frau und Kind in seine Arme und drückte sie fest an sich.
»Uns ist ja nichts passiert, Martin«, sagte Claudia atemlos und doch glücklich.
»Aber was hätte passieren können!« stöhnte der Mann.
»Er macht sich immer zuviel Gedanken«, sagte Claudia zu Dr. Norden.
»Und ich mache meiner Frau auch oft unbegründete Vorwürfe«,