Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
das schon, damit wir bald Bescheid wissen und etwas unternehmen können.«
Ein wenig ungläubig, daß ihm tatsächlich geholfen werden konnte, war Martin Fiebig wohl immer noch, aber er sah Dr. Norden mit einem so dankbaren Blick an, daß man ihm glauben konnte, wie sehr er diesem Arzt vertraute. Und als er gegangen war, rief Dr. Norden sofort Claudia Fiebig an und bat sie um zusätzliche Auskünfte. Da erfuhr er dann noch, daß Martin Fiebig liebend gern Jura studiert hätte und daß ihr Vater Direktor an einer Maschinenfabrik sei. Doch der sei in zweiter Ehe verheiratet und hatte noch zwei unversorgte Kinder, und außerdem wolle er nicht zum Großvater gestempelt werden.
Was es denn mit ihrem Chef auf sich hätte, fragte Dr. Norden auch.
Claudia schien verblüfft. »Er verläßt sich ganz auf mich«, erwiderte sie. »Er ist so kurzsichtig, daß er auch mit Brille nicht mehr richtig sieht, doch keiner soll es merken. Er will nicht vorzeitig in Pension gehen. Das ist alles.«
Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft, dachte Dr. Norden wieder einmal. Und diesem an sich doch recht netten Martin Fiebig schien es sehr an Selbstbewußtsein zu mangeln.
Es waren nicht immer organische Leiden, die die Menschen quälten, den seelischen war oft noch schwerer beizukommen.
Immerhin konnte sich Dr. Norden aber schon ein Bild von dem Patienten machen. Und Martin Fiebig war der letzte an diesem Tag gewesen. Drei Krankenbesuche mußte er noch machen, dann begann auch für ihn der Feierabend.
*
Drei Tage später wurde Dr. Victor Wagner beerdigt. Mit Daniel und Fee Norden standen noch einige frühere Patienten und auch der Notar Dr. Brandt an seinem Grab. Eine Todesanzeige war nicht in der Zeitung erschienen, und ein Nachruf wurde auch nicht gehalten. Ein schlichtes Begräbnis war es für einen so reichen Mann, aber so hatte es Victor selbst verfügt.
Es war reiner Zufall, daß Sabine von seinem Tod erfuhr. Die Mutter von Axels Lehrerin, Frau Kreibel, war gestorben, und Sabine hatte erfahren, daß sie in München beerdigt werden sollte. Sie mochte diese junge Lehrerin und wollte ein paar Blumen zu der Beerdigung schicken, und deshalb sah sie die Todesanzeigen durch. Sie hatte Zeit an diesem Vormittag, denn Manfred war nach München gefahren, um sein Manuskript abzuliefern. Sie hatte sich schon gewundert, daß er es diesmal persönlich tun wollte, aber er hatte ihr nicht verraten, was er sonst noch vorhatte.
Sabine fand die Todesanzeige von Irene Kreibels Mutter, aber wie von ungefähr fiel ihr Blick dann auch auf die Beerdigungsliste dieses Tages, und da sprang ihr der Name Victor Wagner in die Augen. Sie wollte es nicht glauben, aber alles stimmte. Alter achtunddreißig, Dr. med. Internist. Die Zeitung entglitt ihren Händen, und sie sah ihn unwillkürlich vor sich, mit seinem jungenhaften Lächeln, immer zu einem Scherz aufgelegt.
So hatte sie ihn kennengelernt, als er in ihr Schreibbüro kam. Und sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt und er sich in sie. Sie waren oft beisammen, bald täglich, und sie hatten auch von einem gemeinsamen Leben gesprochen. Die Heirat war geplant, als sich das Baby ankündigte, aber sie wollte ihre Stellung noch behalten, bis Ersatz für sie gefunden war. Und dann war Manfred ins Schreibbüro gekommen, dieser stille, schüchterne Mann, der mit dem Pfennig rechnen mußte, und mit dem sie zuerst so viel Mitgefühl hatte, daß sie in ihrer Freizeit fünfzig Seiten umsonst für ihn schrieb. Gesagt hatte sie ihm das nie. Und einmal hatten sie sich rein zufällig auf der Straße getroffen, und da hatte auch der üble Zufall mitgespielt, daß Victor sie beisammen gesehen hatte.
Es fröstelte Sabine, als sie an die harten, bösen Worte dachte, die sie zu hören bekommen hatte. Daß sie ein Flittchen sei und wohl nur einen vermögenden Vater für ihr Kind haben wolle, und daß er froh sei, noch rechtzeitig dahintergekommen zu sein, daß sie sich mit anderen Männern herumtreibe.
Nein, jungenhaft froh war Victors Gesicht da nicht gewesen, sondern verzerrt und böse. Und sie war bis ins Innerste verletzt und wie gelähmt gewesen. Ihre Stellung hatte sie schon gekündigt gehabt. Sie hatte ihre Koffer gepackt, ihre kleine Wohnung gekündigt und ihre Ersparnisse von der Bank abgehoben. Fleißig gespart hatte sie gehabt, um auch etwas in diese Ehe mitzubringen. Und ausgerechnet Manfred war ihr dann im Bahnhof in den Weg gelaufen, so, als hätte es so sein müssen. In ihrer Verzweiflung hatte sie ihm alles erzählt. Manfred hatte sie gefragt, was sie nun tun wolle. Sie hatte nur die Schultern gezuckt. Sie hatte da ja noch nicht einmal gewußt, wohin sie fahren wollte.
Manfred mußte in den Harz fahren, um einen Reisebericht zu schreiben. Ohne zu überlegen, hatte er sie gefragt, ob sie nicht mitkommen wolle, um sich erst einmal auf andere Gedanken zu bringen. Und sie war mit ihm gefahren. Sie hatten dort lange, tiefsinnige Gespräche geführt. Er hatte sie sogar zu überreden versucht, eine Aussprache mit Victor herbeizuführen, aber Sabine hatte schon damals gewußt, daß sie immer jene abfälligen Worte in den Ohren haben würde, selbst wenn Victor von sich aus einen Versöhnungsversuch machen würde. Und sie war voller Dankbarkeit gewesen, in Manfred einen so aufrichtigen Freund zu finden.
Vor der Geburt des Kindes hatte er sie dann sogar gefragt, ob sie ihn nicht heiraten wolle, damit das Kind einen Vater bekäme, aber sie hatte gewußt, wie hart er sich tat, mit welchen finanziellen Schwierigkeiten er zu kämpfen hatte. Aber er hatte sich viel vom Munde abgespart, um ihr kleine Geschenke für das Baby machen zu können. Er hatte Martina als erster gesehen. Er hatte alles getan, um das zarte kleine Geschöpf über die Anfangsschwierigkeiten hinwegzubringen. Nach dem Tode seiner Mutter waren sie dann zusammengezogen in die Dreizimmerwohnung. Manfred versorgte das Baby mit einer Engelsgeduld und arbeitete dennoch wie ein Wilder. Und dann hatten sie geheiratet, und Sabine war sich gewiß gewesen, daß sie es nie bereuen würde.
Nein, sie hatte es nie bereut. Sie war überzeugt, daß sie mit Victor niemals so glücklich geworden wäre. Nie hatte sie ein böses oder auch nur ein gereiztes Wort von Manfred gehört. Und nie, wirklich niemals, hatte sie an Victors Vermögen gedacht.
»Nun ist er tot«, sagte sie leise vor sich hin. Vielleicht hatte er den Keim dieser Krankheit schon damals in sich. Vielleicht wollte er deshalb alles auf einmal haben und in vollen Zügen genießen.
Seltsam war es, zu denken, daß Victor nicht mehr lebte, doch beruhigend war es für sie, daß sie es Martina nicht sagen mußte. Martina wußte es nicht anders, als daß Manfred ihr Vater war, daß sie, Axel und Kathrin den gleichen Vater hatten.
Ob Victor verheiratet war, überlegte Sabine dann auch. Vielleicht hatte er Kinder, die nun Halbwaisen geworden waren. Und sie erinnerte sich auch daran, daß er ihr einmal einen Brief geschickt hatte, aber den hatte sie gar nicht geöffnet. In ihrem glücklichen Leben mit Manfred hatte kein Gedanke an den lebenden Victor Platz gehabt. Warum also sollte sie jetzt über ihn nachdenken, da er tot war? Aber es war fast unheimlich, wie gegenwärtig er ihr plötzlich wieder war. Und er war auf dem gleichen Friedhof begraben worden, wo sich auch das Grab von Manfreds Eltern befand.
Nicht die leiseste Ahnung kam Sabine, welche entscheidende Rolle der tote Victor Wagner noch in ihrem Leben spielen sollte. Wie sollte es auch möglich sein.
*
Manfred Mainhard war zum Verlag gefahren und hatte sein Manuskript abgeliefert. Anstelle des alten Lektors hatte er einen jungen vorgefunden, der ihn kritisch gemustert hatte.
»Warum schreiben Sie eigentlich nur so nüchternes Zeug, Herr Mainhard?« fragte der zu Manfreds Überraschung. »Sie verstehen es zwar, sehr ausdrucksvoll und lebendig zu schildern, aber Sie haben doch einen solchen Wortschatz, daß Sie sich auch mal an einen Roman wagen könnten.«
»Sie kennen meine Bücher?« fragte Manfred zurückhaltend.
»Ich habe einige mit großem Interesse gelesen. Um Ihnen reinen Wein einzuschenken: Ich bin der Neffe des Chefs, und ich habe mir zum Ziel gesetzt, einen frischen Wind in den Verlag zu bringen.«
»Doch nicht ausgerechnet mit mir«, sagte Manfred.
»Warum nicht?« Ein flüchtiges Lächeln legte sich um schmale Lippen. »Ich bin für Offenheit. Sie sind nicht clever, ich bin es. Sie sind creativ, das bin ich nicht. Jeder hat seine Stärken und seine Schwächen.«
»Ausgerechnet