Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Manfred.
*
Ja, es war eine lange Zeit; und darüber wurde gesprochen, bevor Daniel Norden dann über seinen Besuch bei Victor sprach.
»Er ist sich bewußt gewesen, wie tief er Sie verletzt hat, Sabine. Ich denke, er war schließlich ein sehr einsamer Mensch. Er hat mit dem Gedanken gelebt, etwas gutmachen zu müssen, und er ist mit dem Gedanken gestorben, daß sein Letzter Wille erfüllt wird. Er hat Ihnen und dem Kind sein gesamtes Vermögen hinterlassen.«
Sabine starrte ihn an und hob abwehrend die Hände. »Nein, ich will es nicht«, rief sie aus. Dann griff sie nach Manfreds Arm. »Das ist Martinas Vater, sie kennt keinen anderen, und sie soll niemals etwas anderes erfahren.«
»Das braucht sie doch nicht«, sagte Daniel Norden ruhig. »Victor hat kei-nerlei Bedingungen gestellt. Er hat tiefe Reue empfunden.«
»Er hat mir nichts mehr bedeutet, seit ich Manfreds Frau bin. Ich liebe meinen Mann, und er liebt Martina. Und ich will nicht, daß ihre Geschwister jemals erfahren, daß sie einen anderen Vater hat.«
»Wir kommen auch so zurecht. Wir brauchen das Geld dieses Mannes nicht«, warf Manfred ein. »Ich werde es auch so schaffen, daß Martina operiert werden kann. Ich will die Liebe dieses Kindes ganz einfach nicht verlieren.«
Und da stand die kleine Martina im Türrahmen. Riesengroß schienen die dunklen Augen in dem kleinen, blassen Gesicht.
»Das wirst du auch nicht, Papi«, sagte sie. »Entschuldigung, daß ich fast alles gehört habe. Ich wollte eigentlich zu den Kindern gehen.«
»Geh zu den Kindern, Kleines«, sagte Sabine bebend. »Was wir hier sprechen, hat nichts mit dir zu tun.«
»O doch, Mami«, sagte Martina. »Ich habe es ganz richtig verstanden, denke ich. Ich weiß auch, daß die Operation viel, viel Geld kosten würde Aber ich möchte gern gesund sein.«
Fee preßte die Lippen aufeinander. heiße Tränen stiegen ihr ebenso in die Augen wie Sabine, aber sie konnte sich beherrschen.
»Ich will auch nicht, daß Papi nur für mich arbeitet. Axel und Kathrin sind doch auch da«, fuhr Martina fort, und dann sah sie Dr. Norden an. »Ist es so viel Geld, daß man damit die Operation bezahlen kann?« fragte sie leise.
»Ja, ich denke schon«, erwiderte er ausweichend.
»Dann mußt du es annehmen, Mami«, sagte Martina. »Meinetwegen. Ich möchte doch noch so gern bei euch bleiben. Ich habe euch so lieb. Sag du es, Papi. Sag, daß Mami es nicht ablehnt.«
Und sie ging zu Fee. »Und Sie sagen es bitte auch. Wenn ich gesund werde, könnte ich studieren und auch Arzt werden und anderen Menschen helfen. Das wünsche ich mir so sehr.«
»Du hast es nie gesagt, Tina«, flüsterte Manfred, während Sabine nun gewaltsam gegen die Tränen ankämpfen mußte.
»Ich konnte nichts sagen. Ich weiß doch nicht, wie lange ich lebe. Darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht.«
Hilflos sah Fee ihren Mann an, wahrend Sabine und Manfred zu Boden blickten und den flehenden Kinderaugen auswichen.
»Du wirst leben, Martina«, sagte Daniel Norden. »Und du wirst bestimmt vielen Menschen helfen können mit dieser Einstellung. Wenn man schon in so jungen Jahren solch ein Ziel hat, wird Gottes Segen dich begleiten.«
Und wieder einmal waren ihm die richtigen Worte in den Mund gelegt worden.
Martinas Augen leuchteten auf. »Ja, daran glaube ich«, sagte sie. »Und jetzt gehe ich zu den Kindern. Die kleine Anneka ist so süß. Buben können nicht so gut mit einem kleinen Mädchen spielen. Ich habe ihnen schon ein bissel zugeschaut.«
Und gleich waren die vier Erwachsenen allein, und nun wanderten die Blicke hin und her.
Und wieder war es Daniel, der zuerst Worte fand. »Sie haben es gehört, Sabine. Victor wußte nichts von der Herzkrankheit des Kindes, aber was wissen wir von den Gedankengängen eines Kranken, der sein Ende vor sich sieht. Er hat Ihnen sehr weh getan, aber er wollte es gutmachen. Ich bin überzeugt, daß es ihn sogar beruhigte, daß Sie einen guten, fürsorglichen Mann gefunden haben. Ich weiß, daß er Ihnen all das schreiben wollte, aber dazu hatte er nicht die Kraft. Und er fürchtete, nicht die richtigen Worte zu finden. Martina ist ihm diesbezüglich voraus. Ich habe noch kein Kind kennengelernt, das in so jungen Jahren so viel Reife zeigt.«
»Sie liest viel«, sagte Manfred. »Wer weiß, was sie alles liest. Sie holt sich Bücher und stellt sie zurück. Sie darf ja keinen Sport treiben und herumtollen. Nun hat sie begriffen, daß ich nicht ihr Vater bin«, schloß er deprimiert.
»So dürfen Sie es nicht sehen. Ich meine, daß sie ziemlich deutlich sagte, daß sie Sie als ihren Vater betrachtet. Für sie existiert jetzt nur ein Toter, der ihr Geld hinterlassen hat. Sie braucht nicht zu erfahren, wieviel es ist.«
»Für mich ist es dennoch schwer, ja zu sagen«, murmelte Sabine.
»Sie tun es für Martina«, warf Fee ein. »Und warum fremde Menschen, der Staat oder irgendwelche Institutionen?«
»Kann es uns denn Glück bringen, da es sein Geld ist?« fragte Sabine. »Sie wissen nicht, wie sehr er mich gedemütigt hat.«
»Ich weiß es, Sabine«, sagte Manfred. »Aber ein kranker Mensch hat meist auch eine kranke Seele. Er war doch lange krank?« richtete er das Wort an Daniel.
»Ja, eine solche Krankheit kommt nicht über Nacht«, erwiderte Dr. Norden. »Anfangs macht sie sich sporadisch bemerkbar.«
»Er hat alles immer so leicht genommen«, sagte Sabine. »Er brauchte sich um seine Zukunft doch auch keine Sorgen zu machen.«
»Doch all sein Geld nützte ihm nichts«, sagte Fee verhalten. »Im Angesicht des Todes wird Geld bedeutungslos. Ewiges Leben kann sich niemand erkaufen und kein Arzt der Welt kann einem dazu verhelfen. Aber Martinas Leben soll alles unwesentlich erscheinen lassen, was in der Vergangenheit war.«
»Kann sie gerettet werden, Dr. Norden?« fragte Sabine.
»Welche Diagnose wurde erstellt?« fragte der Arzt.
»Wir verstehen nichts davon. Ich werde den Bericht holen«, sagte Manfred Mainhard mit fester Stimme.
Und dann las Dr. Norden. Sein Gesicht war sehr ernst. »Ich würde schnellstens zu dieser Operation raten, noch bevor die Pubertätsphase einsetzt, die sich bei Martina ja zum Glück verzögert hat. Überlegen Sie nicht mehr. Nehmen Sie das Geld.Tun Sie es für das Kind. Ich werde Ihnen gern behilflich sein, daß Martina von Professor Tucker selbst operiert wird.«
»Sie kennen diesen Arzt?« fragte Manfred.
»Nicht persönlich, seinen Ruf.«
»Paps kennt ihn«, warf Fee ein. »Sie können Martina begleiten. Sie wird nicht allein sein.«
»Und die beiden Kinder?« fragte Sabine.
»Die können Sie doch auch mitnehmen. Manchmal hat Geld auch seine guten Seiten. Zögern Sie doch nicht. Betrachten Sie alles als einen Fingerzeig Gottes.«
»Ja, er hat dir weh getan, Sabine, und dafür habe ich ihn tief verachtet«, sagte Manfred. »Ich weiß nicht, was geschehen wäre, hätte ich ihn zu Lebzeiten getroffen. Aber er hat sehr leiden müssen, und jetzt kommt durch ihn die Rettung für Martina, und wir können bei ihr sein. Sie braucht nicht zu entbehren, was sie liebt. Sie hat es uns doch zu verstehen gegeben, wie sie denkt und fühlt. Ich will gewiß nicht mehr, als das, was dem Kind hilft, und was darüberhinaus bleibt, soll für andere verwendet werden. Ich sage es hier vor Zeugen und gebe es schriftlich. Niemand soll denken, daß ich mich bereichern will. Martina ist das Kind, das ich am meisten liebe.« Seine Stimme bebte. »So wahr mir Gott helfe, es ist die Wahrheit!«
»Nun, Sabine?« fragte Dr. Norden nach einem langen Schweigen.
»Ich sage ja«, erwiderte sie und streckte ihm die Hand entgegen. »Sie verstehen ja alles, Daniel, auch die zerrissenste Seele.«
Ganz