Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Überraschungen nie sicher sein konnte.
Die Herz-Lungenmaschine wurde eingeschaltet. Nur mit dieser konnte diese Operation überhaupt durchgeführt werden, und zum ersten Mal war sie im Jahre 1954 angewandt worden, drei Jahre nach dem Herztod von Tuckers kleiner Tochter. Er warf einen kurzen, dankbaren Blick auf diese Maschine, die sieh bei ähnlichen Operationen nun schon so oft als lebensrettend erwiesen hatte, und die es ermöglichte, daß das Herz während der Operation selbst in seiner Tätigkeit ausgeschaltet wurde und der Kreislauf des Blutes dennoch aufrecht erhalten werden konnte.
Unendlich lange dauerte die Operation, doch Jonathan Tucker hatte jeden Zeitbegriff verloren. Er war konzentriert und gerade fanatisch in seiner Tätigkeit gefangen, denn unentwegt klang ihm Martinas Stimmchen in den Ohren: Ich drücke dir die Daumen.
Für Professor Tucker war es die bedeutendste Operation, die er in seinem Leben je ausgeführt hatte. Allerdings sollte diese später auch in die Geschichte der Medizin eingehen, als ihm und vielen anderen bewußt wurde, was er da durchgeführt hatte und was ihm gelungen war.
Ja, es war gelungen! Nach fünf Stunden konnte man es sagen. Nun kam es nur noch darauf an, wie der zarte Kinderkörper die Belastungen überstehen würde, wie groß der Lebenswille dieses kleinen Mädchens war.
*
Drei Stunden waren die Mainhards durch den Wald gewandert. Ein Bär war ihnen nicht begegnet, aber da auch Axel inzwischen wußte, wie gefährlich und aggressiv sie werden konnten, war er darauf wirklich nicht erpicht.
»Tina wird aber warten«, sagte Kathrin plötzlich.
»Sie wird doch operiert«, entfuhr es Sabine unbedacht, da sie gar nichts anderes denken konnte.
Die Kinder blieben stehen. »Heute schon? Warum habt ihr es nicht gesagt?« fragte Axel fast zornig. »Wir laufen hier herum, und Jonathan wird schwitzen.«
»Aber er macht unsere Tina gesund«, sagte Kathrin. »Er hat es mir versprochen.«
Und wenn es ihm nicht gelingt, dachte er, aber gleich schob er den Gedanken von sich. Es mußte einfach gelingen. Warum sonst war ihnen diese Chance für Tinas Leben zugespielt worden, warum war das Geld zur rechten Zeit gekommen, und warum hatten sie plötzlich so viel Hilfe von Dr. Norden und Dr. Cornelius gefunden und letztlich diese große Einsatzbereitschaft von Professor Tucker? Das alles konnte doch nicht umsonst gewesen sein!
»Ich will jetzt wirklich wissen, wie es Tina geht«, sagte Axel. »Wie lange dauert so eine Operation, Mami?«
»Das kann man vorher nie sagen«, erwiderte sie tonlos.
»Und was wird da überhaupt gemacht?« fragte Kathrin.
Daran wollten weder Manfred noch Sabine jetzt denken. Ohne wahnsinnige Angst konnten sie es sich gar nicht vorstellen, wie das Herz da freigelegt wurde und was damit geschah.
Axel preßte beide Hände auf die Stelle, wo sein Herz schlug.
»Richtig hören kann man, wie es klopft«, sagte er. Und schmerzhaft klopften auch die Herzen von Manfred und Sabine.
Ganz langsam gingen sie den Weg zurück. »Wir dürfen doch nicht gleich zu Tina«, sagte Sabine, als Axel immer wieder zur Eile drängte.
»Warum denn nicht?« fragte er.
»Wegen der Infektionsgefahr. Tina muß erst noch auf der Intensivstation liegen«, erklärte Manfred.
»Und was ist das?« fragte Kathrin.
»Da darf niemand zu ihr, außer den Ärzten und den Schwestern. Und wir dürfen sie nur durch das Fenster sehen.«
»Aber ich will meine Tina wenigstens durch das Fenster sehen«, murmelte Kathrin weinerlich.
»Heul jetzt nicht«, zischte Axel, »Mami und Papi regen sich eh schon auf.«
Eiskalt war Sabines Hand, als Manfred diese nun ergriff.
»Wir gehen erst nach Hause«, sagte sie leise zu den Kindern. »Ihr seid erhitzt und schmutzig.«
»Es ist aber nicht nach Hause«, sagte Kathrin jetzt ganz trotzig. »Bei uns ist es wirklich viel schöner, auch wenn wir keine moderne Küchen haben.«
Als sie dann, gewaschen und umgekleidet in der Klinik erschienen, war die Operation noch immer nicht beendet. Aber die Kinder stellten keine Fragen mehr. Kathrin lehnte sich an Sabines Schulter, Axel blätterte in einer Illustrierten. Manfred und Sabine sahen sich von Zeit zu Zeit an, Halt einander suchend.
Dann endlich kam Schwester Harriet. Ihr ergrautes Haar kräuselte sich feucht unter dem frischen Häubchen, das sie angelegt hatte.
»Die Operation ist gelungen, der Professor bleibt noch bei Tina«, sagte sie. »Sie gehen jetzt besser heim. Wir rufen Sie an, wenn Sie Tina sehen können.«
»Ich möchte hierbleiben«, sagte Sabine. »Geh du mit den Kindern heim, Manni.«
Er nahm die beiden bei den Händen. »Ich habe ein gutes Gefühl, Sabine«, sagte er leise, »ein ganz gutes.«
*
Harriet führte Sabine zum Schwesternzimmer. »Trinken Sie erst mal einen Tee, Mrs. Mainhard«, sagte sie.
»Sie sprechen sehr gut Deutsch, Schwester Harriet«, sagte Sabine geistesabwesend.
»War lange drüben nach dem Krieg. Hat mir gut gefallen. Jetzt sieht drüben aber alles schon besser aus, wie man so hört. Ist gut, wenn es keine so schrecklichen Kriege mehr gibt.«
»Meinen Sie, daß sie uns erspart bleiben?« fragte Sabine.
»So verrückt kann doch keiner mehr sein. Es gibt so genug Elend in der Welt. Aber jetzt entspannen Sie sich erst mal. Der Chef war großartig.«
»Es hat lange gedauert«, sagte Sabine leise.
»Ja, das ist nun mal so, da muß man ganz genau sein.«
Sie brühte den Tee auf und füllte eine Keksschale mit Gebäck. Dann lächelte sie mütterlich. »Ist ja so ein liebes Kindchen, die Tina, und so gescheit. Mir würde es direkt bange werden, wenn ich so ein kluges Kind hätte.«
»Haben Sie Kinder, Schwester Harriet?« fragte Sabine.
»Keine Zeit dafür gehabt, als ich jung war, und dann war ich zu alt. Nun ja, wie es einem bestimmt ist.«
Dann wurde sie schon gerufen, und Sabine blieb allein. Eine junge Schwester kam herein, nahm sich Tee und Plätzchen und musterte Sabine unfreundlich, aber das merkte Sabine nicht. Und endlich kam dann Professor Tucker.
»Haben Sie nichts zu tun, Schwester Judy?« fragte er die junge Krankenschwester ironisch.
Sie verschwand errötend. »Mit den jungen Dingern kann man nicht viel anfangen«, sagte er zu Sabine. »Sie wollen sich meist nur einen feschen jungen Arzt angeln, aber davon gibt es nicht viele.«
»Wie geht es Tina?« fragte Sabine flüsternd.
»Wir können zufrieden sein. Ja, ich bin recht zufrieden. Sie hat mir fest die Daumen gehalten.«
Er setzte sich auf die Schreibtischecke und sah Sabine durchdringend an. »Sie will leben, und sie wird leben, Mrs. Mainhard.«
Sabine sprang auf und umarmte ihn spontan. »Oh, ich bin so glücklich, so dankbar, lieber Professor Tucker«, stammelte sie. »Ich finde keine Worte. Wie können wir Ihnen nur danken?«
»Geben Sie mir die Möglichkeit, Tinas Lebensweg weiter zu verfolgen«, sagte er verhalten. »Ich liebe dieses Kind.«
»Professor Tucker zur Notaufnahme«, rief eine Stimme aus der Sprechanlage, und so wurde Sabine einer Antwort enthoben, jedoch nicht ihren Gedanken.
Sie ging langsam den Gang entlang, folgte dem Schild, das zur Intensivstation wies, doch da gebot ihr eine verschlossene Tür Halt.
Schwester Judy kam des Weges. »Zutritt verboten«, sagte sie schnippisch.
»Da liegt mein