Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
drehte sich um und ging. Wie verschieden doch die Menschen sind, hier wie auch in der Heimat, dachte sie. Dann wanderte sie in dem Garten hin und her, bis es dunkel wurde. Sie ging wieder hinein. Schwester Harriet kam.
»Sie sind immer noch hier, Mrs. Mainhard? Gehen Sie doch nach Hause«, sagte sie freundlich.
»Kann ich Tina nicht wenigstens sehen?« fragte Sabine bittend.
»Na gut, einen Blick dürfen Sie auf ihr Bett werfen. Aber erschrecken Sie nicht vor den Schläuchen. Das muß sein.«
Da lag sie, die kleine Tina. Wie ein Baby kam sie Sabine vor, aber tapfer unterdrückte sie die Tränen.
»Es wird alles vergessen sein, wenn sie munter herumspringt«, sagte Schwester Harriet gutmütig. »Schlafen Sie sich aus, wir passen auf die Kleine auf. Für den Chef ist es allerdings ein anstrengender Tag. Zwei Herzinfarkte.«
»Wenn ich doch nur etwas tun könnte«, murmelte Sabine.
»Schlafen Sie«, sagte Schwester Harriet nochmals.
*
Es war still im Haus, als Sabine kam. Die Kinder saßen vor dem Fernsehapparat. Zu Hause hatten sie keinen, hier waren sie damit abzulenken.
»Ich habe Tina kurz sehen dürfen«, sagte Sabine mit erstickter Stimme, als Manfred sie in die Arme nahm. »Professor Tucker ist sehr zufrieden.«
»Wir müssen ihm sehr dankbar sein«, sagte Manfred.
»Er ist vernarrt in Tina«, fuhr Sabine schleppend fort.
»Was machst du dir für Gedanken, Liebes?« fragte er bestürzt.
»Er will sie uns wegnehmen.«
»Mein Gott, denk doch nicht so was. Deine Nerven sind überreizt, Liebes. Ich mache uns einen Glühwein. Es ist ganz schön kühl geworden.«
Sie lehnte sich in einen weichen Sessel zurück und schloß die Augen. Bilder kamen und gingen, und auch Victor huschte schnell an ihren Augen vorbei.
Dann läutete das Telefon, zum ersten Mal, seit sie hier waren, und es war ein fremdes, erschreckendes Geräusch.
Sabine sprang auf, aber Manfred nahm schon den Hörer ab.
»Dr. Norden!« rief er fassungslos aus. »Woher wissen Sie die Nummer?«
»Von der Klinik«, tönte Dr. Nordens Stimme durch den Draht. »Wir haben gehört, daß die Operation geglückt ist und freuen uns mit Ihnen. Und wir freuen uns auf das Wiedersehen.«
Es war ein kurzes Gespräch, aber es sagte ihnen, daß auch in der Heimat an sie gedacht wurde. Sabines müde Augen leuchteten auf.
»Wir haben Freunde, Manni«, flüsterte sie.
Er nahm sie in die Arme und streichelte ihren Rücken. »Es wird alles besser werden, Liebste, alles. Ich habe plötzlich so viele Ideen.«
»Dann schreib doch«, sagte sie. »Hier ist das Papier billiger als bei uns.«
*
»Mainhard ist nicht zu erreichen«, sagte Jochen Burger unwillig.
»Warum liegt dir so viel daran?« fragte seine Frau Gundula.
»Ich will seinen Roman so bald wie möglich herausbringen, aber er soll eine Fortsetzung schreiben. Das wird ein Knüller, Gundi, und ich kann Onkel Franz beweisen, daß ich einen guten Riecher habe.«
»Was mußt du Onkel Franz schon beweisen«, sagte sie leichthin. »Er kann doch nichts mitnehmen. Gib mir mal das Manuskript.«
Seine Augen verengten sich. »Es könnte nicht schaden, wenn du es liest«, sagte er mit einem seltsamen Unterton.
»Also dreht es sich um eine Frau, um die ideale Frau«, stellte sie mit spöttisch gekräuselten Lippen fest. »Aber es kommt immer darauf an, mit welchen Augen man solche Frauen sieht. Manche können sich ja wirklich mit einem Heiligenschein umgeben.«
»Mami, kommst du?« ertönte ein bittendes Stimmchen, und schon eilte Gundula hinaus, zum Kinderzimmer, das eigentlich das schönste im ganzen Haus war.
Zwei viel zu kurze Ärmchen streckten sich ihr entgegen, aber Gundula sah nur das süße Gesicht des kleinen Mädchens.
»Kann meine Evi wieder mal nicht einschlafen?« fragte sie zärtlich.
»Du hast mir noch keine Geschichte erzählt, Mami, und du kannst so schöne Geschichten erzählen. Viel schönere, als in den Büchern stehen. Warum druckt Papi sie nicht?«
»Weil sie nur uns gehören, Evi«, sagte Gundula, »dir und mir.«
»Aber ich hätte es gern, wenn auch andere Kinder so schöne Geschichten lesen könnten, Mami. Ich denke mir auch selbst welche aus, aber leider kann ich so schlecht schreiben.«
Gundula schluckte den quälenden Schmerz hinunter, als sie auf die verkrüppelten Händchen blickte.
»Nun, du könntest sie dem Tonband erzählen, mein Liebling«, sagte sie. »Ich stelle es dir ins Zimmer und zeige dir, wie man es bedient. Das kannst du bald. Du kannst so viel, Evi. Es kommt doch gar nicht so sehr darauf an, was Hände vollbringen können, wenn man einen klugen Kopf hat und ein großes Herz.«
»Du bist die allerliebste Mami von der ganzen Welt«, sagte die Kleine. »Ich möchte nur ganz gern auch so hübsch sein wie du.«
»Du bist viel hübscher, Evi. Und nun leg dich hin. Ich erzähle dir eine Geschichte.«
Ganz weich war ihre Stimme. So weich war sie nie, wenn sie mit ihrem Mann sprach, und zum ersten Mal wurde sich Jochen Burger dessen bewußt, weil er an der Tür lauschte, die Gundula in der Eile nicht fest ins Schloß gezogen hatte. Und er stand noch da, als sie herauskam.
Sie lehnte sich an die Wand. »Evi schläft«, sagte sie tonlos. »Was machst du hier?«
»Ich habe gelauscht, Gundi. Und jetzt weiß ich, warum du keine Kinder mehr haben willst«, sagte er heiser.
»Warum wohl nicht?« fragte sie sarkastisch.
»Weil sie sich nicht zurückgesetzt fühlen soll.«
Er streckte die Hände nach ihren aus und zog diese an seine Brust. »Ich liebe dich doch, Gundi, und ich liebe Evi, willst du das nicht begreifen?«
»Ich bin schuld, daß sie nicht vollkommen ist«, schluchzte sie auf. »Ich habe die Tabletten genommen, ich hätte es nicht tun dürfen. Mein Gott, warum konnte ich diese lächerlichen Schmerzen nicht ertragen. Warum muß das Kind ein Leben lang darunter leiden?«
»Du bist nicht schuld, Liebste, du nicht. Der Arzt hat dir die Tabletten verschrieben. Und schuld sind nur die, die sie auf den Markt gebracht haben. Wir lieben unser Kind dennoch, Gundi. Andere Eltern haben ganz andere Sorgen um ihre Kinder. Schau, es ist ja nicht so, daß ich Mainhards Buch so schnell auf den Markt bringen will, weil ich es gut finde. Er hat ein schwer herzkrankes Kind, das operiert werden muß und dafür braucht er viel Geld.«
»Und warum gibst du es ihm nicht, Jochen?«
»Das kann ich nicht, wenn Onkel Franz nein sagt, und er will für sein Geld etwas haben. Er verschenkt nichts. Er will verdienen.«
»Gib mir das Manuskript. Ich will es lesen.«
Er holte es. Gundi gab ihm einen Kuß. »Ich weiß jetzt, daß wir doch zusammengehören«, sagte sie leise.
»Erst jetzt?« fragte er bestürzt.
»Weil du begriffen hast, wie sehr uns Evi braucht.«
*
Sie las bis tief in die Nacht hinein, und bevor ihr fast die Augen von selbst zufielen, blätterte sie noch einmal zurück bis zu der Stelle, die da lautete: Ich wußte, daß das Leben des Kindes an einem hauchdünnen Faden hing, aber ich wollte, daß es am Leben bleibt, um jeden Preis, denn es hatte uns zusammengeführt.
Als Jochen am Morgen aus seinem Zimmer kam,