Die Welt verdient keinen Weltuntergang. Peter Hamm

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Gedicht des andern wollte objektiv überzeugen und entwickelte, unter Verzicht auf alle Metaphorik eine lakonische und epigrammatische Didaktik, die von Simplizität manchmal kaum zu unterscheiden war. Hermetismus und ›Offenheit‹ standen sich also in der westdeutschen Nachkriegslyrik ziemlich unversöhnlich gegenüber, fast so unversöhnlich wie die beiden deutschen Teilstaaten, und im Grunde sind bis heute diese Gegensätze in der deutschen Lyriklandschaft nie ganz verschwunden.

      Die beiden B – Benn und Brecht – blieben für die jüngeren Dichter die großen Barrieren, die es irgendwie zu überwinden galt. Nur ganz wenigen gelang so etwas wie eine Synthese und damit eine Überwindung der unfruchtbaren Gegensätze von monologischem und appellativem lyrischen Sprechen. Jene beiden Dichter, denen es sicher am überzeugendsten gelang, kamen auffallenderweise von den Rändern des deutschen Sprachraums und setzten sich west- oder ostdeutscher Staatsrealität so gut wie nie aus: Paul Celan, 1920 in der Bukowina am Rande Osteuropas geboren, lebte nach dem Krieg ununterbrochen in Paris, Ingeborg Bachmann, 1926 in einem an Slowenien grenzenden Kärntner Tal geboren, lebte die längste Zeit ihres Lyrikerlebens in Italien, wo sie auch starb. Als sie 1953 mit ihrem ersten Gedichtband, »Die gestundete Zeit«, debütierte, da war – wenigstens in den besten Gedichten ihres Bandes – zum ersten Mal nach 1945 eine wirklich völlig neue, völlig eigene Stimme vernehmbar, deren Reinheit ebenso verzückte wie ihre Unbedingtheit beeindruckte und verstörte. Eines der Gedichte dieses Bandes bestach vor allen anderen durch seine kühne Dialektik und sein unterkühltes Pathos und wurde zu so etwas wie dem lyrischen Manifest der jüngeren Generation (die sich noch viel später, 1968, als die APO die erstarrten politischen Strukturen des deutschen Staatswesens erschütterte, auf dieses Gedicht berief). Während Wiederaufbau, Wiederbewaffnung – kurz: Restauration – auf dem Programm standen, betrieb dieses Gedicht die systematische Umwertung aller jener Werte, die überall noch oder schon wieder hochgehalten wurden, obwohl sie sich doch geschichtlich gerade noch so fürchterlich blamiert oder decouvriert hatten. »Alle Tage« heißt dieses Gedicht.

      Der Krieg wird nicht mehr erklärt,

      sondern fortgesetzt. Das Unerhörte

      ist alltäglich geworden. Der Held

      bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache

      ist in die Feuerzonen gerückt.

      Die Uniform des Tages ist die Geduld,

      die Auszeichnung der armselige Stern

      der Hoffnung über dem Herzen.

      Er wird verliehen,

      wenn nichts mehr geschieht,

      wenn das Trommelfeuer verstummt,

      wenn der Feind unsichtbar geworden ist

      und der Schatten ewiger Rüstung

      den Himmel bedeckt.

      Er wird verliehen

      für die Flucht von den Fahnen,

      für die Tapferkeit vor dem Freund,

      für den Verrat unwürdiger Geheimnisse

      und die Nichtachtung

      jeglichen Befehls.

      Auch in anderen Gedichten ihres Debütbandes rief Ingeborg Bachmann in beschwörendem Ton zur Lösung des Menschen aus allen bestehenden und wertlos gewordenen Bindungen auf, der johanneische Anruf »Du musst dein Leben ändern« schwingt sozusagen in allen diesen Gedichten mit.

      Gibt es in der »Gestundeten Zeit« aber auch noch manches Angelesene und Modische (wie etwa den Gebrauch ungewöhnlicher Genitivmetaphern), so hat Ingeborg Bachmann mit ihrem 1956 publizierten zweiten (und leider auch letzten) Gedichtband, »Die Anrufung des Großen Bären«, vollends zu sich gefunden, nahezu jedes der Gedichte dieses Bandes ist ein Wunder an lyrischer Erfülltheit und Vollkommenheit. Dabei ist die Sprache oft sogar eigentümlich schlicht, allerdings stets durchpulst von sinnlicher Energie: Hier spricht sich rückhaltlos ein weibliches Ich aus, dessen Glücksverlangen grenzenlos und dessen Verletzlichkeit explosiv ist. So leidenschaftlich Ingeborg Bachmann klagen kann, so lauter und ungestüm kann sie auch rühmen. Seit Rilke hat jedenfalls niemand mehr in deutscher Sprache auf eine legitime Weise feierlich gesprochen wie Ingeborg Bachmann, ihr Preisgedicht »An die Sonne« ist ein strahlender Beweis dafür. Und seit der Droste hat keine andere Dichterin Geheimnis und Gewalt des Eros in so vollendet schöner Strenge, in so gemeisterter Verzweiflung beschworen wie Ingeborg Bachmann in ihrem wohl bekanntesten Gedicht »Erklär mir Liebe«. Allein mit diesen beiden Gedichten hat Ingeborg Bachmann dem deutschen Gedicht noch einmal eine Klassizität erobert, die nach 1945 angesichts einer total verheerten Welt niemand mehr für möglich gehalten hätte.

      Dass ein so reiner und hoher Ton, wie er mit Ingeborg Bachmann in die Welt kam, nicht lange durchzuhalten sein würde, war von Anfang an zu ahnen – und wusste die Dichterin selbst, die ab ihrem dreißigsten Lebensjahr nur noch Prosa schrieb (mit dieser aber nie mehr die Strahlkraft ihrer Poesie erreichte). Im Herbst 1973 starb sie an den Folgen einer Brandverletzung, die nicht so schwer war, dass man ihren Tod nicht mit ihrem Selbstvernichtungstrieb hätte in Verbindung bringen müssen. »Der ich unter Menschen nicht leben kann«, so lautet die Schlüsselzeile ihres Gedichts »Exil« (das zu den wenigen lyrischen Nachzüglern gehört, die nach dem Gedichtband »Die Anrufung des Großen Bären« noch entstanden). Ingeborg Bachmann reiht sich hier in die Schar jener ganz und gar Untröstlichen ein, für die es auf Erden nirgendwo Heimstatt gibt.

      Zu dieser Art von existenziell Exilierten zählte auch Paul Celan, dessen Aufstieg in der Nachkriegs-Literaturszene nicht ganz so kometenhaft begann wie der Ingeborg Bachmanns (der sogar »DER SPIEGEL« eine Titelgeschichte gewidmet hatte), dessen absolute Ausnahmeerscheinung innerhalb der deutschen Lyrik sich aber jedem Lyrikkenner bereits mit seinem ersten, 1952 erschienenen Gedichtband, »Mohn und Gedächtnis«, ankündigte. In Czernowitz geboren, war Paul Celan, der eigentlich Antschel hieß und einer jüdischen Familie entstammte, die dem Holocaust nicht entkommen konnte, über Bukarest und Wien nach Paris gelangt, wo er an der École Normale Supérieure Deutsch unterrichtete und daneben Verse in deutscher Sprache schrieb, von deren rätselhafter Fremdheit magische Anziehungskraft ausging.

      Ganz offensichtlich waren Celans frühe Gedichte vom französischen Surrealismus (der ja bis Prag und Bukarest ausgestrahlt hatte) beeinflusst, aber dieser Einfluss konnte ihnen nichts anhaben. Celans Sprachmagie war gespeist aus weit älteren Quellen, zurück über Rilke, Trakl, Mallarmé und Hölderlin, die chassidische Mystik (wie sie durch Martin Buber im deutschen Sprachraum vermittelt worden war) bis zu den jüdischen Psalmisten, deren Ton auch Nelly Sachs wieder aufgenommen hatte (an die Paul Celan später eines seiner eindringlichsten Gedichte richten sollte). Es ist aber vor allem anderen doch die Last des Entsetzens, aus der diese Gedichte geboren wurden und die zu tragen sie auf sich nahmen, welche sie mit einer solchen Aura des Unausweichlichen umgab, dass selbst noch Leser, die sich vergeblich mühten, in Celans Gedichtgeheimnisse einzudringen, doch keinen Augenblick lang deren Authentizität zu bezweifeln vermochten. Und auch jene, die an Celans Gedichten zunächst nur das Äußerliche, das Artifizielle oder Artistische, wahrzunehmen in der Lage waren und Celans Anspruch und öffentlichen Auftritt als unschickliches Hohepriestertum missverstanden, konnten sich doch seiner Ausstrahlung und der Beschwörungskraft seiner Verse auf Dauer nicht entziehen. Unübersehbar war ja zudem, dass Celans Gedichten Zweifel und Selbstzweifel tief eingegraben sind und sie unentwegt ihre eigene Möglichkeit oder Unmöglichkeit reflektieren.

      Paul Celans lyrische Rede ist stets ein Sprechen in Widersprüchen, »das vor der Scheidung in Affirmation und Negation halt macht und nicht auf den glatten Aussagesatz hinauswill, sondern sich das volle Spektrum der Unentschiedenheit vor den Gegensätzen zu bewahren sucht« (Beda Allemann). Die Gleichzeitigkeit von Ja und Nein, von Schrecken und Schönheit, von Leben und Tod, von Gottferne und Gottnähe ist innerster Beweggrund dieser Gedichte, was schon im Titel von Celans erstem Gedichtband, »Mohn und Gedächtnis«, anklingt, der die Antinomie des Verlangens nach Vergessen (Mohn) und der Unmöglichkeit, vergessen zu können (Gedächtnis), metaphorisch verklammert.

      Paul Celan bestand stets darauf, kein hermetischer Dichter zu sein. Tatsächlich ist


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