Der neue Sonnenwinkel Staffel 3 – Familienroman. Michaela Dornberg
Ihr wurde bewusst, wie gut sie es doch hatte, und da sie ein warmherziges Mädchen war, bekam sie auch sofort Mitleid mit Maren und Tim.
»Ach, Mami, das ist ja ganz schrecklich. Ich bin nicht mehr böse auf sie und will alles vergessen. Ich habe die beiden bestimmt auf dem falschen Fuß erwischt.«
Sie dachte nach, blickte ihre Mutter an.
»Weißt du, was ich komisch finde, Mami«, sagte sie nach einer Weile des Nachdenkens. »Ricky und Fabian waren in diesem Haus so glücklich. Dann kamen die Köhlers, und ihr hat es nicht gefallen, sie wollte unbedingt nach Berlin zurück. Hätte er nicht diesen Job in Singapur bekommen, hätten sie sich bestimmt scheiden lassen. Zum Glück gefällt es Frau Köhler dort, denn sonst würden wir nicht all die schönen und bunten Ansichtskarten aus Singapur bekommen. Und danach, ich habe sie ja nicht persönlich kennengelernt, weil ich da noch in Australien war, zog diese Frau Schulz mit ihrer Tochter ein, die überhaupt nicht ihre Tochter war, sondern die sie geklaut hat. Das war auch ohne Happy End, und die Bredenbrock-Kinder sind schon unglücklich, ehe sie im Haus wohnen. Ach, Mami, das kann ich überhaupt nicht verstehen. Es gibt doch keinen schöneren Platz auf der ganzen Welt als unseren Sonnenwinkel. Ich gehe hier niemals weg. Am besten kaufen wir Rickys Haus, und ich ziehe dann später dort ein. Da kann ich immer in der Nähe von euch sein und von Omi und Opi.«
Pamela hatte einen so verzückten Gesichtsausdruck, dass Inge es nicht fertigbrachte, ihre Jüngste daran zu erinnern, dass kein Mensch das ewige Leben hatte, dass sich fortwährend alles veränderte und dass dazu auch die Verluste von Menschen gehörten, die man über alles liebte. Außerdem würde Pamela nach dem Abitur den Sonnenwinkel verlassen, um irgendwo zu studieren. Sie war ein sehr kluges Mädchen, davon war also auszugehen.
Nein!
Warum sollte Inge ihrer Tochter jetzt das Herz schwermachen? »Liebes, das ist eine sehr gute Idee, über die wir nachdenken sollten, der Papa und ich.«
Pamela strahlte ihre Mutter an, dann trank sie ganz genüsslich den letzten Rest ihrer heißen Schokolade. Von dem anderen Schokolade war leider nichts mehr da. Sie würde ganz gern noch etwas davon essen, weil sie eine große Naschkatze war, doch sie würde ihre Mutter nicht danach fragen. Man sollte sein Glück nicht herausfordern.
»Mami, ich geh hinauf in mein Zimmer und versuche, mit Manuel zu skypen.«
Sie stand auf, umarmte ihre Mutter heftig. »Ich habe dich so lieb, du bist die allerbeste Mama von der ganzen Welt«, dann ging sie, gefolgt, wie konnte es auch anders sein, von Luna.
Inge blickte ihrer Tochter nach, dann stand sie auf, um das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler zu räumen. Sie war glücklich. Es war zwischen ihnen so wie früher, die Schatten der Vergangenheit hatten sich verzogen, und Inge schwor sich, dass es so etwas auch niemals mehr geben würde. Noch einmal könnte sie das nicht durchstehen. Deswegen war sie auch froh, Pamela nichts vorgemacht zu haben, was die Bredenbrocks betraf.
So etwas war eine bittere Wahrheit, das berührte emotionale Menschen, und dazu gehörte Pamela, ganz besonders. Aber das Leben war kein Wunschkonzert. Kein Leben plätscherte gleichmäßig dahin, es gab Höhen und Tiefen, mit denen man fertigwerden musste. Wichtig war doch, dass man gefestigt war, innerlich stark und gefestigt genug, um auch zerstörende Stürme zu überstehen, immer mit dem Wissen, dass nichts so blieb wie es war und dass Regen immer Sonnenschein folgte.
Inge war längst aufgefallen, wie sehr ihre Jüngste unter der Trennung von Manuel litt. Sie fand, dass Pamela ganz gut damit umging, und ein bisschen traurig sein, das durfte jeder, das gehörte dazu.
Egal, ob es nun vernünftig war oder nicht. Jetzt kochte sie sich doch noch einen Kaffee. Sie musste nachdenken, und das konnte sie bei einem starken schwarzen, köstlich duftenden Kaffee am besten.
*
Roberta hatte einen wunderschönen Abend mit Roberto Antoni und seiner Susanne verbracht, und allein der Anblick der kleinen, so wunderschönen Valentina reichte aus, um Sehnsüchte in Roberta zu wecken.
Ihre biologische Uhr tickte noch nicht, doch ihr Wunsch nach einem eigenen Kind wurde immer größer. Vielleicht war er auch dadurch angefacht worden, dass Lars ihr diese wunderschönen roten Rosen geschickt hatte. Rote Rosen, das Zeichen für eine tiefe Liebe. Doch die wären überhaupt nicht nötig gewesen, seine liebevollen Zeilen hätten gereicht.
Er liebte sie, sie liebte ihn …
Was sprach gegen ein gemeinsames Leben?
Auch Abenteurer und Weltenbummler wurden älter. Sehnte sich im Alter nicht jeder nach einem sicheren Hafen?
Sie ja, und sie konnte es sich auch ganz wunderbar vorstellen. Doch Lars? Sie glaubte, den Mann ihrer Liebe zu erkennen, doch da gab es ein paar Seiten an ihm, die ihr verschlossen blieben. Würde sich das irgendwann einmal ändern?
Sie konnte nichts tun, sie musste abwarten. Sie hatte wirklich keine andere Wahl, denn sie konnte ihm nicht die Pistole auf die Brust setzen und ihn auffordern, sie zu heiraten, mit ihr eine Familie zu gründen.
Es war schon verrückt. Lars Magnusson mit den unglaublich schönen blauen Augen, bei dem ihr Wunsch nach Ehe und Familie beinahe schon pathologisch war, und ausgerechnet er verweigerte sich.
Roberta zwang sich, nicht weiter an Lars und ihre unerfüllten Wünsche zu denken. Es gab doch auch einen Wunsch, sich zu freuen.
Ihre Befürchtung, Roberto und Susanne könnten das gemeinsame Essen dazu nutzen, ihr zu erzählen, dass sie den ›Seeblick‹ verkaufen und nach Italien gehen würden, hatten sich nicht bewahrheitet. Für die beiden war es nicht mehr als ein sehr angenehmes, kurzweiliges Zusammensein unter Freunden gewesen. Und Roberta hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, sie darauf anzusprechen. Lieber in Ungewissheit leben, als vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Der Weggang von den Münsters, von Marianne von Rieding und ihrem Carlo Heimberg hatte eine Lücke in Robertas Leben hinterlassen. Und das nicht, weil sie dadurch Patienten verloren hatte. Über mangelnde Patienten durfte sie sich nicht beklagen, im Gegenteil. Manchmal wünschte sie, nicht so viel in ihrer Praxis zu tun zu haben.
Nein, sie fehlten ihr als Menschen, zu denen sie eine sehr herzliche Verbindung hatte. Auch als man da oben die großen Feste nicht mehr ausgerichtet hatte, hatten gesellige Zusammenkünfte im kleinen Kreis stattgefunden, und Roberta hatte dazugehört und hatte es sehr genossen.
Roberta zwang sich, wieder daran zu denken, dass sie nicht vor sich hinträumen durfte, sondern dass sie in ihrer Praxis saß, in der das Wartezimmer voll war.
Sie bat ihre Ursel Hellenbrink, ihr die nächste Patientin zu schicken, und auf die freute Roberta sich.
Mühsam auf eine Gehhilfe gestützt, betrat Sophia von Bergen den Behandlungsraum.
Sie strahlte über das ganze Gesicht und rief voller Stolz: »Frau Doktor, von diesem Augenblick habe ich geträumt, zu Fuß zu Ihnen in die Praxis zu kommen. Bis zur Tür musste ich den Rollstuhl nehmen, doch dann kam ich mit der Gehhilfe zurecht. Es ist ein Glück, dass Sie neben Ihrer Treppe auch einen Weg für Behinderte gebaut haben, denn sonst wäre das nicht möglich gewesen.« Sie hörte nicht auf zu strahlen. »Ach, Frau Doktor, Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Gefühl für mich ist. Nach dem Unfall hatte man mich abgeschrieben, mein Exschwiegersohn wollte mich sogar in ein Heim abschieben. Und nun das.«
Roberta freute sich mit der Patientin.
»Frau von Bergen, das alles haben Sie Ihrem eisernen Willen, Ihrer Energie zu verdanken. Von nichts kommt nichts. Ich freue mich so sehr für Sie.«
Sophia schüttelte den Kopf, dann sagte sie leise: »Nein, Frau Doktor, in erster Linie verdanke ich das meiner Angela, die sich für mich aufgeopfert und auf ein eigenes Leben verzichtet hat, und dann natürlich Ihnen, nicht zu vergessen dem Physiotherapeuten, den Sie mir besorgt haben, dem unvergleichlichen Herrn Kuhlmann. Es geht wieder aufwärts mit mir. Heute am Nachmittag holen mich die von Roths ab. Sie werden mich mit dem Rollstuhl zum See fahren und dort, an meiner Lieblingsstelle, werde ich mit dem Rollator ein paar Schritte machen. Sie glauben nicht, wie sehr ich mich darauf freue.«
»Das