DAS EXPERIMENT (ein Whitney Steel Roman). Kim Cresswell

DAS EXPERIMENT (ein Whitney Steel Roman) - Kim Cresswell


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hell scheinende Mond beleuchtete die schaumgekrönten Wellen, die gegen das Ufer brachen. Wellen kräuselten sich entlang des Strandes und durchnässten Whitneys Leinenschuhe.

      Nach einem längeren Telefonat und einem Schwall von Fragen, hatte George sich widerwillig dazu bereit erklärt, ihr den Schlüssel zu schicken.

      »George, bitte mach mir das nicht schwerer als nötig. Schick mir den Schlüssel. Du hast die Adresse.«

      »Hey, du hast eine Spur. Das kann ich fühlen. Ist es was Großes? Wann wirst du mich einweihen?«

      Sie hörte die Aufregung in seiner Stimme. »Noch nicht. Aber du wirst der erste sein, der davon erfährt. Schick mir bitte den Schlüssel. Ich brauche ihn, am besten schon gestern.«

      »Wieso die Eile? Warum ist er in dieses … Tuch gewickelt? Was ist das da drauf?«

      Einige stille Momente vergingen.

      »Das willst du nicht wissen, George.«

      »Doch, das will ich.« Seine Stimme klang leise, gepresst. »Worum zur Hölle geht es hier, Whitney? Hast du irgendwelchen Ärger am Hals?«

      Sie schob sich die Haare aus ihrem Gesicht zurück. Nachdem ihr Vater gestorben war, hatte George es auf sich genommen, ihre selbsternannte Vaterfigur zu werden. Die meiste Zeit machte es ihr nichts aus, weil es sich gut anfühlte, jemanden zu haben, dem man wichtig war.

      »George, ich verspreche dir, bei mir ist alles in Ordnung. Du schickst mir den Schlüssel, richtig?«

      Noch ein langer Moment der Stille. »Ich werde es tun. Aber ich möchte, dass du dich einmal am Tag meldest. Abgemacht?«

      Whitney lächelte. »Ja.«

      Worauf auch immer sie sich da einlassen würde, könnte nicht viel riskanter sein als die zahllosen gefährlichen Berichte, an denen sie in der Vergangenheit gearbeitet hatte.

      Der Unterschied zu diesem Mal: keine Kamerateams, keine Assistenten, keine Sicherheit. Sie war auf sich allein gestellt.

      Was war mit Blake Neely? Wie passte er in die ganze Situation? Wie viel wusste er über Nathan und das Kind? Konnte er ihr helfen? Würde er es tun? Konnte sie ihm vertrauen?

      Sie schob sich das vom Wind zerzauste Haar aus den Augen und schaute hinauf in den Himmel. Das diamantene Funkeln des nächtlichen Sternenhimmels schimmerte über ihr. »Wünsch’ mir Glück, Dad. Ich werde es brauchen.«

      Damit lief sie zurück zum Strandhaus. Ein langer Schatten erschien vor ihr im Sand. Ein weiterer Schatten kreuzte ihren Weg. Sie blickte zum Haus auf und fühlte alles Blut aus ihrem Gesicht entweichen.

      War jemand drinnen oder bildete sie sich das ein?

      Nachdem sie die Treppen zum Deck hinaufgestiegen war, lugte sie durch das Wohnzimmerfenster. Nichts. Vielleicht hatte sie es sich eingebildet? Sie griff nach der Klinke, öffnete die Tür und ging hinein. Ihr Blick huschte durch den beleuchteten Raum.

      Ein Knarzen. Schritte hinter ihr. Sie wirbelte herum.

      Eine schwergewichtige Person mit schwarzer Skimaske rannte auf sie zu und griff sie an. Alles, was sie sah, bevor sie auf den Teppich prallte, waren grüne Augen, groß, kalt. Ein schwerer Arm wickelte sich wie eine Schlinge um ihren Hals und zerrte sie auf die Beine. Eine Hand mit einem ledernen Handschuh hielt ihr den Mund zu. Ihr Puls blieb erstaunlich ruhig. Er fuchtelte mit einem großen Messer vor ihrem Gesicht herum und befahl ihr mit der Spitze der Klinge, sich auf den Stuhl neben sich zu setzen. Sie tat es.

      »Das Band, Schlampe.« Er nahm die Hand von ihrem Mund. »Wo ist das Band?«

      Sie schnappte nach Luft. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

      »Letzte Chance.« Der Mann beugte sich vor. »Wo ist es?«

      Sein feuchter Atem stank nach abgestandenem Bier und Zigaretten. Der Geruch ließ sie beinahe würgen.

      »Du hast fünf Sekunden. Sag mir, wo es ist, oder ich nehm’ dich auseinander, genau wie die andere Schlampe. Eins …«

      Ihr Herz setzte für einen Schlag aus. Das war der Mörder von Carmen Lacey. »Ich schwöre, ich habe es nicht.« Bleib ruhig.

      »Zwei … drei.«

      Sie musste die Kontrolle gewinnen, bevor es zu spät war. »Es ist … nicht hier. Es ist in einem Safe bei der Bank.«

      Er streichelte die Seite ihres Gesichts und senkte das Messer. »Du kannst dir den Atem jetzt sparen. Band oder kein Band – du warst schon tot als ich dieses Zimmer betreten habe.«

      Er hätte seinen Griff um sie nicht lockern sollen. Dieser Gorilla hatte es nicht kommen sehen. Whitney riss ihre Hände blitzschnell hoch in sein Gesicht und stach mit zwei Fingern in seine Augen. Der Double Dragon. Funktionierte jedes Mal.

      »Du dumme Schlampe. Ich bring’ dich um!« Er ließ das Messer fallen, um seine Augen zu bedecken, und versuchte rückwärts taumelnd, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Als er sich umdrehte, prallte sein Schienbein gegen die Ecke des gläsernen Wohnzimmertisches. »Du bist tot!«

      Heute nicht. Whitney nutzte die Situation voll und ganz aus. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und rammte ihr Knie mit so viel Kraft in seinen Schritt, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und auf den Boden stürzte.

      Der Mann quiekte vor Schmerz und griff nach seinen Eiern. Seine Knie gaben nach und er krachte bewusstlos auf den Teppich. Um sicherzugehen, dass er K.O. war, trat Whitney mit ihrem Fuß gegen seine Rippen. Nein. Der Typ würde nirgendwo mehr hingehen.

      ***

      Blake kam um zwanzig nach neun am zweistöckigen Strandhaus im Sea-Gull-Drive an. Er schaltete die Scheinwerfer aus, parkte den Mietwagen am Ende der Einfahrt und stellte den Motor ab.

      Nathan hatte alles ruiniert, als er ihn nach Florence schickte. Jetzt würde es noch mal mindestens eine Woche dauern, bis er ins Labor konnte. Die gesamte Mission hing in der Schwebe, weil Nathan sich in einer wilden Fantasie verloren hatte, in der er die Welt mit Klonen beherrschte. Als würde eine geistig gesunde Person überhaupt auf eine solche Idee kommen.

      Blake schlug mit einer Faust auf das Lenkrad. Er war so verdammt nah dran gewesen, diese Mission zu beenden. Er schnappte das Fernglas vom Beifahrersitz und richtete es auf das Haus.

      Ein silberner Geländewagen stand vor der Doppelgarage geparkt, im Haus war das Licht an. Die Brise schmeckte salzig. Es war lange her, dass er in der Nähe irgendeines Gewässers war, geschweige denn des Ozeans.

      Whitney sprach am Telefon, als sie die Küche betrat. Ihre Körpersprache, die Art wie sie hin und her schritt, indizierte einen Zustand der Unruhe. Der Moment, in dem sie auflegte, war sein Einsatz. Er warf das Fernglas auf den Beifahrersitz, sprang aus dem Auto und lief über den Gehweg auf die Haustür zu.

      Er klingelte.

      Ein paar Augenblicke vergingen. Er war sich sicher, dass er von der anderen Seite der Tür Bewegungen vernommen hatte. Was tat sie nur?

      Er klingelte noch einmal. »Whitney, ich weiß, dass du da drinnen bist.«

      Das Außenlicht ging an.

      »Wer ist da?«

      »Blake Neely.«

      Eine lange, stille Pause.

      »Was willst du?«

      »Kannst du wenigstens die Tür öffnen oder werden wir so miteinander reden?«

      Die Tür ging langsam auf.

      »Was machst du hier?«, fragte sie erstaunt.

      Er konnte sich diesen Kodak-Moment auf keinen Fall entgehen lassen. Er trat einen Schritt zurück, hielt die Kamera hoch und drückte den Auslöser. »Die hier hast du in meinem Truck vergessen.« Er reichte ihr die Kamera.

      »Gott, du bist die reinste Nervensäge.« Sie blinzelte, vom Kamerablitz geblendet. »Verschon’ mich. Du denkst doch nicht, ich glaube dir, dass du den ganzen Weg


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