TRAPPED - GEFANGEN. Michael Hodges
Tier tötet sie.
Jim: (kichert weiter) Woher wissen Sie das? Haben Sie Beweise?
Erickson: Mein Dad und ich, wir waren oben in den Hurons nahe Mill Bridge, um Beeren zu sammeln; wir fanden diese wirklich schönen Sträucher, die genug abwarfen, um alle unsere Eimer zu füllen. Dad ging den Hügel hinauf bis an den Rand des Felds, wo die hohen Hemlocktannen stehen. Dann schaute er hinab und schrie; so hab ich ihn noch nie erlebt.
Jim: (lacht) Und was war los, Erickson? Sah er Bigfoot oder die Reiter der Apokalypse?
Erickson: (keuchend nach langer Pause) Einen Elchkadaver. Der lag auf einem Ast 50 Fuß hoch im Baum. Jetzt sagen Sie mir, Jim, haben Sie je gesehen, dass ein Adler so etwas tut?
Jim: Nein, selbstverständlich nicht, aber in welche Richtung soll das hier gehen, Erickson? Falls Sie sich nur etwas ausgedacht haben, um Angst zu–
Erickson: Ich habe mir das nicht ausgedacht; es ist die Wahrheit, bei Gott, ich schwöre auf die Ehre meiner Mutter.
Jim: Hätte es kein Puma sein können? Die sind doch bekannt dafür, dass sie Beute auf Bäume ziehen.
Erickson: Hier gibt es schon seit 100 Jahren keine Pumas mehr.
Jim: So ungern ich es Ihnen gestehe, Erickson, aber ein Puma hört sich für mich vernünftiger an als alles andere. Sonst gibt es keine Erklärung.
Erickson. Ein Puma kann keinen Elch auf einen Baum ziehen. Nur ein Tier wäre dazu in der Lage – der Grizzly, doch den gibt es nur drüben im Westen. Kein Schwarzbär würde es schaffen, einen ausgewachsenen Elch 50 Fuß hoch auf einen Ast zu hieven. Das war ein schwerer Hirsch, Jim, und zu welchem Schluss gelangen wir, da es hier keine Pumas gibt?
Jim: Na, zu überhaupt keinem welcher Art auch immer. Aber noch mal, mein Freund: Wo bleibt der Beweis? Wir brauchen mehr als Ihr Wort. Sind Sie in Besitz einer Digitalkamera? Die hat doch heutzutage jeder. Konnten Sie das auf Video festhalten?
Erickson: Ich fuhr mit Pa zurück und borgte mir eine Kamera von John Lusten, der damit Videos für YouTube aufnimmt. Als wir zu dem Baum zurückkehrten, war der Kadaver weg.
Jim: Weg? Jetzt wollen Sie mir erzählen, dass ein toter Elch einfach so von einem Baum verschwindet?
Erickson: Erklären Sie mir, wie ein toter Elch überhaupt erst 50 Fuß hoch auf einen Baum kommt. Na los.
Jim: Mister, ich kann Ihnen sagen, wie ein toter Elch dort oben landen kann: durch Ihre Fantasie. Genau die hat ihn auf die Tanne gebracht. Vielen Dank, Erickson, dass Sie unseren Talk heute Abend mit Ihrer hanebüchenen Geschichte versüßt haben. Wer lieber Fakten erfahren möchte, schaltet am Dienstag zu unserem Interview mit dem Biologen Eggerts ein. Gleich geht's weiter bei Jim Gibbons, nachdem unsere lokalen Sponsoren Ihnen Verbraucherinformationen …
– Transkription Ende –
Der Trapper
»Pass auf, wem du hier Fallen stellst, Kumpel. Könnte sein, dass dir nicht gefällt, was du fängst.«
– Skeet Ackerson
Nach einem reichhaltigen Frühstück mit Pfannkuchen und Kartoffelpuffern fuhr Matt auf der Julip Road weiter nach Norden. In diesem Jahr hatten die Erdhobel Schwerstarbeit geleistet, um die Straße sogar noch breiter zu machen und zu begradigen, damit die Schlepper für die Holzabfuhr durchkamen. Der Boden war so weit abgetragen, dass an manchen Stellen beschädigte Baumwurzeln aus der sandigen Böschung hervorragten wie mit Wachstumshormonen gefütterte Regenwürmer. Dergleichen sah man hier häufig, eine unverhohlene Respektlosigkeit gegenüber der Natur und ihren wilden Bewohnern.
Die frische Morgenluft kräftigte Matt. Ein paar Jahre zuvor hatte er sich auf der Internetseite der amerikanischen Umweltschutzbehörde über die Luftqualität im Land erkundigt; die Northwoods waren der Klasse 1 zugeordnet worden – die bestmögliche Bewertung. Bundesstaaten mit größeren Städten schnitten am schlechtesten ab, vor allem, wenn sich diese in Industrienähe befanden.
Der Toyota rumpelte bergauf in Richtung oberer See, vorbei an durch ausgefahrene Reifenspuren entstandene Schneisen, die wider den Naturschutz geschlagen worden waren und sich durch den Wald der oberen Halbinsel zogen wie verirrte Arterien. Es gab kaum Stellen, wo kein Weg für Gelände- oder Holzlastwagen herführte. Man hatte die Wildnis längst weitgehend aus der Landschaft getilgt, wenn auch nicht in dem Sinn, wie die US-Forstbehörde sie definierte; in wahrer Wildnis gab es keine Straßen. Nun ja, einige wenige Orte waren übrig geblieben, und Matt kannte sie gut. Vom Büdchen aus war die Fahrt dorthin zwar beschwerlich, aber er suchte sie dennoch auf. Die Granithügel und Höhenzüge der Huron Mountains, die man von der Plantage aus sah, zählten dazu. Heute fuhr Matt in die entgegengesetzte Richtung, fort von den Hurons und hinunter zur Mündung des Black, wo er sein Glück beim Fliegenfischen versuchen wollte. Der Fluss war sauber und voller Forellen, stürzte jedoch mit aberwitzigem Gefälle von den Bergen in den oberen See. Er floss an der Ostgrenze des Grundstücks der Hütte vorbei, aber dieser Abschnitt lag weit oberhalb des einschneidenden Sturzes, der den Lachs daran hinderte, stromaufwärts zu schwimmen. Er hatte keine andere Wahl, als sich vor dem 30 Fuß tiefen Kliff zu sammeln. Unter dem Wasserfall rauschte ein eindrucksvolles Becken, das an drei Seiten von moosbewachsenen Vorsprüngen umgeben war. Diese ragten darüber auf, hier und dort gespickt mit einer stämmigen Hemlocktanne, die das Glück hatte, von der Axt verschont geblieben zu sein. Das Schieferbett machte Waten zu einer gefährlich rutschigen Angelegenheit, zumal das Gestein in gezackten Reihen aus dem Wasser stach wie die Knochenplatten eines Stegosaurus. An einigen Stellen zogen sich breite Rillen über 50 Fuß hinweg.
Matt träumte oft von diesem Ort.
Manchmal erinnerte er sich nur vage an die Landschaftsdetails, zu anderen Zeiten klarten sie so weit auf, dass er Tautropfen sah, die auf dem hellgrünen Moos zusammenliefen. Dann wiederum kam es vor, dass Menschen erschienen, die ihm etwas bedeuteten und oft knietief im Becken unter Black Falls standen. Für gewöhnlich rief er nach ihnen, doch sie reagierten einfach nicht: seine Mutter und sein Vater; Stacey, seine Schwester; Freunde von der Highschool.
Als er endlich den Highway 5 erreichte, bog Matt rechts ab und überquerte den Black River, dessen klare Wasser aus dem Waldland sprudelten und in der Sonne funkelten. Nach 100 Yards auf der Fernstraße stieß er rechter Hand auf einen unbefestigten Parkplatz.
Er stieg aus, drückte auf den Hebel hinterm Sitz und zog den Nylonschlauch heraus, in dem seine vierteilige Fliegenrute steckte. Dann zog er seine gelbbraune Angeljacke an, fuhr mit einer Hand in die vordere Tasche rechts und nahm seine Schnur heraus. Die Rute war ein Geschenk von Stacey zum Dank für einen Ausflug nach Montana gewesen. Matt drückte die Rolle zusammen, während er die Erinnerung an sie verdrängte.
Er zog die burgundrote Rute aus der Hülle und bewunderte die edle Verarbeitung. Als Nächstes befestigte er die Schnur am Rollenhalter und steckte den Blank zusammen, jedes Segment kleiner und leichter als das vorige.
Die Spitze fühlte sich in seiner Hand zerbrechlich an – ach was, in letzter Zeit kam ihm alles so vor. Er zog die Schnur durch die Rutenringe, wobei er darauf achten musste, dass sie nicht zurückrutschte. Als er sie durch den obersten geführt hatte, hielt er sie zwischen Daumen und Zeigefinger fest und straffte sie, sodass sich die Rolle abwickelte. Als das herausgezogene Stück lang genug war, knotete er ein Pattern daran, das sich in diesem Fluss bewährt hatte – eine Humpy mit rot-weißen Büscheln.
Seufzend verriegelte er den Pick-up und nahm den Pfad hinauf zu den Black Falls.
Der niedrig gelegene Wald am Huron bestand aus Birken, Espen und anderen Laubbäumen. Die meisten Bäume waren relativ klein, obwohl sie in Flussnähe üppiger wurden und ein großflächiges Laubdach bildeten. Blaubeersträucher und Frauenfarne besprengten den Waldboden. In der Vergangenheit hatten vor allem Weymouths- und Rotkiefern sowie Hemlocktannen in diesem Gebiet überwogen, gemischt mit vereinzelten Birken und Espen. Hier am Flussufer – jetzt vorm Abholzen geschützt – waren ein paar dieser großen Nadelbäume erhalten geblieben. Sie wirkten wie eine Laune der Natur, da ihre Stämme andere schmal erscheinen ließen und ihre Kronen weiter hinaufreichten als jene. Der erste dieser gewaltigen Bäume war eine 400 Jahre alte Hemlocktanne, die den Namen Lazarus erhalten hatte und den Beginn des Pfades durch den Black River Canyon markierte.