TRAPPED - GEFANGEN. Michael Hodges
im Wipfel schnatterte unsichtbar ein Eichhörnchen. Matt schmunzelte.
Dieser Pfad war ihm gewissermaßen seit seiner Kindheit heilig. Sein Vater hatte ihn unzählige Male mit hinauf in den Black Canyon genommen. Während jener Wanderungen waren ihm die Wände der Schlucht viel höher und das Wasser tiefer vorgekommen.
Während er höher hinaufstieg, achtete er darauf, wo er mit den Filzsohlen seiner wasserdichten Stiefel auftrat. Bald wurde der Pfad steiler, sodass Matt den Kronen der Bäume näherkam, die weiter unten am Hang standen. Ein Helmspecht hüpfte an einem Stamm hinauf und krallte sich an der Rinde fest, so elegant wie an einer senkrechten Startbahn.
Der rauschende Strom wisperte Matt von unterhalb zu. Rechts erhaschte er zwischen Urwaldhemlocks, die an den Steilwänden hochschossen, Blicke auf den glitzernden Wasserfall.
»Willkommen zu Hause«, sagte er zu sich selbst.
Die Landschaft hatte für den Rest seines Lebens Wurzeln in ihm geschlagen – tief greifend, unwiderruflich.
Die Klamm rechts wurde steiler, sodass weniger Licht einfiel als auf den Grat, den er erklomm. 50 Fuß voraus stand der gedrungene Stumpf eines abgebrannten Baumes, die Wegmarke für den Abstieg zu den Black Falls. Matt hielt einen längeren Teil der Fliegenrute hinter sich und die Spitze nach oben. Nun ging er halb in die Hocke und rutschte an der Steilwand hinunter, wobei die Sachen in seiner Anglerweste klimperten wie ein geschüttelter Weihnachtsbaum. Während er nach unten stieg, zogen seine Stiefel Furchen in den Sandboden, der mit einer Schicht Kiefernnadeln bedeckt war. Ab und an zeterte ein Eichhörnchen und versuchte, ihn mit Tannenzapfen zu bewerfen. Er lachte. Hinterhältige Giftzwerge. Seit jener Episode mit den beiden Eichhörnchen im Glacier-Nationalpark verlangte ihm die Intelligenz dieser Tiere Respekt ab.
Das Fallbecken schimmerte in der Tiefe, während die Rückströmung zwischen zwei Hemlocktannen schäumte und strudelte. Noch 100 Fuß weiter, und er erreichte die felsige Landzunge am Rande des Bassins.
Als er jünger gewesen war, war er manchmal mit seinem Vater darin geschwommen. Das Wasser war fast das ganze Jahr über klar, nur nicht während der Überschwemmungen im Frühling. Zwei glatte Baumstämme standen aufrecht am Fuß des Sturzes parallel zur Schieferwand und reichten bis knapp an den oberen Rand. So war es schon, seit er sich erinnern konnte. Das Wasser, das über die Kante sprudelte, floss schräg zwischen zwei ausgehöhlten Rinnen im Schiefer ab. Glänzende Felswände verjüngten sich an drei Seiten zum Becken hin, überzogen mit Kiefernnadeln und Moos. Ein steiler Pfad wand sich links am Sturz nach oben und weiter flussaufwärts. Um diesen Weg zu erreichen, musste man als Wanderer ein Stück weit über aufragende Schieferplatten am Rande des beinahe vertikalen Hangs balancieren: jene Formation, die an den Rücken eines Stegosaurus erinnerte. Matt hatte sich mehrere Jahre zuvor – er war zwölf, vielleicht auch schon dreizehn gewesen – mehr oder weniger vergeblich daran versucht. In den Black River Canyon zu gelangen und wieder heraus, war schwierig; wer herkam, wollte auch wirklich hier sein.
Dankbar dafür, wieder auf flachem Grund zu stehen, setzte sich Matt dort, wo das Wasser am höchsten stieg, auf den ausgetrockneten Stumpf einer Zeder. Er öffnete seinen Rucksack, trank einen Schluck Limonade und suchte an der Oberfläche nach hochkommenden Fischen.
Nichts.
Er stand auf, trat langsam an den Rand des Bassins und kniete sich hin. Dies war etwas, das er im Lauf der Jahre gelernt hatte: Man wollte sich den Fischen nicht preisgeben; denn bemerkten sie einen, konnte man die Fliegenrute einpacken und nach Hause fahren. Nachdem Matt den Köder von der Halterung gelöst hatte, zog er die Schnur noch etwas länger, schwang die Rute nach hinten und neigte sie dann vorwärts. Das wiederholte er so lange, bis 30 Fuß Schnur durch die Luft segelten. Dann ein letzter Hieb, und sie schnellte in einer wohlgeformten Schlinge nach vorne. Die rot-weiße Humpy flog gerade und zielsicher, kräuselte das Wasser beim Auftreffen kaum.
Matt beobachtete den haarigen Köder.
Immer noch nichts.
Er versuchte es weiter, doch kein Fisch biss an. Sogar den »Glücksspot«, wie sein Vater die Stelle genannt hatte, suchte er auf. Sie war am schwierigsten zu erreichen, eingeschlossen zwischen dem steilen Felsgefälle des Sturzes und den beiden aufragenden Stämmen. Die größeren Fische nutzten sie als Unterschlupf und zum Fressen. Kein Adler oder Bär würde versuchen, Forellen aus einer so riskanten Position zu schnappen. An diesem einen Tag verhieß der Glücksspot jedoch eher kein Glück. Andererseits spielte das aber auch gar keine Rolle, denn Matt war hingerissen vom Puls der Natur, vom rhythmischen Schwall des Wassers.
Auf einmal kreischte etwas hoch oben in den Wipfeln der Bäume und riss ihn aus seiner Ruhe – womöglich ein Streifenkauz, aber er konnte es nicht genau bestimmen.
»Ein schöner Tag«, sagte er zum Wald. Als er in das hypnotisierende Becken starrte, waren seine Gedanken unbeschwert und frei. Es gab nichts außer diesem Canyon und seiner Anmut … glaubte Matt zumindest.
»He da, hast du einen Angelschein?«, fragte eine unwirsche Männerstimme.
Matt zuckte zusammen, fuhr herum und bemühte sich, keine Angst zu zeigen, als er erkannte, dass es lediglich ein anderer Naturfreund war. Der Mann sah aus wie Mitte 50, hatte glattes, schwarzes Haar und ein schmales Gesicht mit langer Nase. Er trug eine orangefarbene Jagdweste und hielt in seiner rechten Hand mehrere Stahlfallen an ihren Ketten; die Bügel baumelten über den Steinen wie kleine Stahlteller. An der rechten Brusttasche der Weste zeichneten sich rund die Umrisse einer Dose Kautabak ab.
»Hast du einen Angelschein, Junge?«, wiederholte der Mann.
Matt räusperte sich. »Immer dabei. Wieso? Sind Sie Jagdaufseher?« Das bezweifelte er zwar, doch hier oben konnte man nie wissen.
»Ich frage, weil Angelscheine aus dem Fenster geschmissenes Geld sind, Junge«, antwortete der Mann lachend. »Mir ist schnuppe, ob du einen hast; aber pass auf, falls der Aufseher kommt, kriegst du Ärger. Dave und mich hat er letztes Jahr berappt. Das willst du bestimmt nicht. Also Augen auf, Junge.«
»Ich habe einen Schein«, betonte Matt.
Der Alte stutzte. »Und du stellst keine Fallen auf?«
»Nein.«
»Das tut hier oben jeder, Junge. Es wimmelt davon; man kann kaum zehn Fuß weit gehen und tritt in eine.«
»Ich achte darauf, wohin ich trete, danke.« Matt verspürte einen Drang, den Wald abzusuchen und jede Falle unschädlich zu machen, die er finden konnte. Die Pionierzeit war vorbei; der Mensch brauchte hier keine Kriechtiere mehr auf so grausame Weise zu töten, um den Winter zu überstehen.
»Fallenstellen gehört bei uns Yoopers zur Tradition, Junge«, erklärte der Mann mit Bezug auf den Spitznamen der Bewohner von Nordmichigan, während sein linkes Augenlid zuckte.
Der Geruch von schalem Bier – so breitete er sich auch auf Studentenpartys aus, je länger die Nacht wurde – wehte Matt entgegen. Er winkte, als könnte dies den Mann und sein Odeur vertreiben. »Gut, danke, aber ich habe kein Interesse am Fallenstellen.«
Der Mann verzog sein Gesicht und wurde rot. »Red keinen Unsinn, Junge – natürlich stellst du Fallen. Hast du keine in deinem Auto liegen? Hab es unten auf dem Parkplatz gesehen.«
Jawohl, so langsam wurde Matt ein wenig mulmig. Warum schnüffelte dieser Fremde an seinem Pick-up herum? Das war merkwürdig, geradezu beunruhigend. »Ich stelle keine Fallen«, bekräftigte er. »Hab es nicht vor, will nicht.«
Der Trapper bekam Schlagseite nach links und lallte beim Sprechen. Jetzt lachte er, sodass Matt hinten im Mund einen saftigen Priem Tabak sah. Schwarze Fasern klemmten in seinen Zahnlücken.
»Na gut, ob du es tust oder nicht: Pass auf, wem du hier Fallen stellst, Kumpel«, mahnte er. »Könnte sein, dass dir nicht gefällt, was du fängst.«
Matt stieß eine Stiefelspitze in den Kies. »Ich werde darauf achten.« Er schaute den Hohlweg hinauf und trat dann wieder in den Kies – eindeutige Gesten, die zeigten, dass die Unterhaltung für ihn beendet war. Musste er dem Kerl tatsächlich den Rücken kehren, damit er es kapierte?
Der Mann kniff die Augen zusammen. »Übrigens, Junge, wie heißt du eigentlich? Hab dein Nummernschild