Take Me Home. Carrie Elks
aus, dass du mittlerweile weißt, wer ich bin. Diese Finger sind mein Werkzeug. Wenn ich sie verliere, ist auch ein Haufen Geld weg.«
»Ein guter Grund für mich, nicht auf sie zu treten«, befand Cora Jean. »Und fürs Protokoll: Ich habe immer gewusst, wer du bist. Du hattest eine Mütze auf, keine Maske.«
»Na dann danke, dass du mir keine Sonderbehandlung hast zukommen lassen.«
»Ich habe dich vor den Eiern gewarnt«, zeigte sie auf. »Das finde ich schon besonders.«
»Ich verständige die Polizei!«, drohte Della von der Terrasse aus. »Das hier ist Privatbesitz!«
»Komm schon«, drängte Gray. »Verschwinden wir.«
Mit skeptischer Miene schob sie den Fuß in die Stufe, die er mit seinen Handflächen geformt hatte, und streckte die Arme hoch. Sich aufrichtend, drückte Gray Cora Jean hoch, bis sie die Oberkante der Mauer greifen konnte.
»Was jetzt?«, fragte sie. »Ich glaube nicht, dass ich mich rüberschwingen kann.«
»Halte dich einfach fest. Ich schiebe dich noch mal an.« Diesmal umfing er ihre Hüften. »Gleich«, warnte er sie vor. »Versuch, das Momentum zu nutzen.«
»Ich lasse die Hunde raus«, rief Della Thompson. »Fass, Dodger!«
»Dodger ist siebzehn Jahre alt und inkontinent«, murmelte Cora ihm zu. »Ignorier sie.«
Gray schob die Hände hoch, bis sie direkt unter der Wölbung ihres Hinterns lagen und gab ihr einen weiteren Schubs. Sobald sie durch den Schwung die Beine auf die andere Seite der Mauer bekommen hatte, ließ er los. Im letzten Moment wich er einen Schritt zurück, um einer Kollision mit ihrem Fuß zu entgehen. Dann hatte sie es über die Mauer geschafft. Anlauf nehmend, fasste er nach dem oberen Rand der Steine und zog sich mühelos hinauf, bevor er auf der anderen Seite landete.
»Bei dir sieht das so einfach aus«, murmelte Cora Jean. »Das ist nicht fair.«
Diesmal blieben sie nicht lange genug, um dem Hausbesitzer die Gelegenheit zu geben, ihnen die Hunde auf den Hals zu hetzen. Gray schnappte sich Coras Hand und sie rannten zum Tor auf der anderen Seite des Gartens. Ein Riegel war vorgeschoben und das Schloss rostig, aber mit einem Rütteln bekam er das alte Ding auf und überließ der Dame den Vortritt.
Sobald sie auf der anderen Seite waren, fing Gray an, zu lachen. Nicht nur, weil sich der ganze Morgen völlig absurd gestaltet hatte, sondern auch, weil das Adrenalin, das durch seine Adern pumpte, ihn sich ein wenig high fühlen ließ. Gegen den Zaun lehnend, richtete er den Blick gen Himmel, während die Belustigung in Form von lautem Gelächter aus seiner Brust drang.
»Das ist nicht komisch«, meinte Cora Jean, die so heftig lachte, dass sie ein paar Tränen vergoss. »Stell dir die Schlagzeilen vor: Gray Hartson bei Flucht aus Kirche von Höllenhunden zerfleischt. Das würde man dir nie vergessen.«
»Meinem Pressesprecher gefiele das«, bemerkte er. »Die Platten würden sich wie von selbst verkaufen.«
Eine weitere Träne rollte über ihre Wange. Ohne nachzudenken, streckte er die Hand aus, um sie wegzuwischen. Ihre Wangen leuchteten rosa, und der Anblick stellte irgendetwas mit ihm an.
Irgendetwas verdammt Gutes.
»Du bist wirklich hübsch«, sagte er mit sanfter Stimme und nahm ihren Anblick in sich auf. Hohe Wangenknochen, weiche Lippen, eine Nase, die so gerade war, dass er damit eine Linie hätte ziehen können ... Und diese verdammten Augen, die nicht mehr belustigt wirkten. Stattdessen starrten sie in seine.
Sie stand bloß einen Meter von ihm entfernt, aber die Distanz fühlte sich zu groß an. Mit einem Schritt überbrückte er den Abstand und strich mit dem Finger über ihre Wange zu ihren Lippen hinab, wo er den Bogen ihrer Oberlippe nachzeichnete, während ihr warmer Atem ihn traf.
Gott, sie war so süß und weich. Er legte eine Hand in ihren Nacken und neigte ihren Kopf zu ihm hoch. Dabei sagte sie kein Wort. Ihr Blick war abwägend, als wartete sie darauf, dass er den nächsten Schritt machte. Er beugte sich vor und ihr Atem stockte. Die andere Hand um ihre Taille gelegt, zog Gray ihren Körper an sich. Das Verlangen nach ihr pulsierte wie wild durch ihn hindurch. Begierde ersetzte das Adrenalin in seinem Blutstrom.
Cora blinzelte und er schwor, ihre Wimpern an seiner Haut zu spüren. Ihre Lippen waren bloß einen Atemzug von seinen entfernt, so nah, er konnte die Vorfreude schon auf seiner Zungenspitze schmecken. »Cora«, flüsterte er und senkte den Mund näher an ihren. »Was stellst du nur mit mir an?«
Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Sie zuckte zurück und kappte die Verbindung zwischen ihnen. Kopfschüttelnd leckte sie sich über die Unterlippe und machte einen Schritt von ihm weg. »Es tut mir leid. Du solltest ab jetzt alleine klarkommen. Ich muss los ...« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Nun war Gray an der Reihe zu blinzeln. Was zum Teufel war gerade passiert? In der einen Minute schien es unausweichlich, sie zu küssen. Und in der nächsten? Es war, als hätte ihn jemand mit einem Eimer voll kaltem Wasser übergossen.
Um ihr für ihre Hilfe zu danken, öffnete er den Mund, aber sie rannte bereits ohne einen Blick zurück auf den Stadtplatz zu. Gray beobachtete sie mit einem Seufzen. Diese Frau war höllisch faszinierend. Und falls sie dachte, ihm entkommen zu können, wusste er es besser.
Frühstück im Diner hatte er eben zu seinem neusten Lieblingszeitvertreib erkoren.
7. Kapitel
»Nie im Leben bist du durch fremde Gärten gerannt und über Zäune geklettert«, meinte Tanner kopfschüttelnd, nachdem Gray von seiner Flucht aus der Kirche berichtet hatte.
Gray war seit zwei Stunden zu Hause und Tante Gina hatte ihnen Lunch vorgesetzt. Er und Tanner waren dabei, die Küche sauberzumachen, während sie und Becca seinem Dad Gesellschaft leisteten. »Das erfindest du doch alles.«
»Tu ich nicht. Frag Cora Jean im Diner. Sie ist diejenige, die mir geholfen hat.«
»Cora Jean?« Tanner hob eine dunkle Augenbraue. »Du willst mir weismachen, Cora Jean wäre über eine zwei Meter hohe Wand gesprungen?« Er grinste. »Jetzt weiß ich, dass du lügst.«
»Warum sollte ich lügen?«, wollte Gray verwirrt wissen.
»Weil Cora Jean vierundsiebzig ist. Du erinnerst dich sicher noch an sie. Sie hat uns immer kleine Rabauken geschimpft, wenn wir als Kinder einen Saustall angerichtet haben.« Tanner zog die Stirn kraus. »Komm schon, du musst dich erinnern.«
Gray versuchte, sein Gehirn in Fahrt zu bringen. »Warte ... Meinst du etwa die Streitaxt?«
»Jepp.« Tanner nickte. »Winzige, alte Frau. Trägt ihr weißes Haar zu einem Knoten gebunden.« Er holte Luft. »Und scheinbar talentiert darin, sich über Mauern zu schwingen.«
Gray strich sich mit dem Daumen über die Unterlippe. »Sie war nicht alt«, erklärte er Tanner, dem ein selbstgefälliges Grinsen auf dem Gesicht stand. »Sie kann nicht älter als fünfundzwanzig gewesen sein.« Und ja, sie war jung und hübsch und brachte ihn auf eine Art zum Lachen, die er schon lange nicht mehr verspürt hatte. Er wollte sie so lange küssen, bis es ihnen beiden den Atem geraubt hätte.
»Sie meinte, ihr Name sei Cora Jean?«
»Jepp. Sie arbeitet im Diner.«
»Was soll ich dazu sagen?« Tanner zuckte die Achseln. »Die einzige Person unter fünfzig, die im Diner arbeitet, ist Maddie. Ich bin mir ziemlich sicher, du würdest sie erkennen, immerhin warst du drei Jahre lang mit ihrer Schwester zusammen.«
Grays Mund wurde staubtrocken. »Maddie Clark? Ashs Schwester?«
Tanner lachte. »Die habe ich gemeint.«
Maddie Clark war damals vierzehn Jahre alt gewesen und hatte eine Zahnspange getragen. Um seine Gedanken zu ordnen, schüttelte Gray den Kopf.
»Was ist mit Maddie Clark?«, wollte Becca wissen, als sie mit einem leeren Teller