Take Me Home. Carrie Elks
würde. Oh Gott, nicht auszudenken.
Kopfschüttelnd ärgerte sich Maddie über ihre Dummheit. Anfangs war es ihr lustig erschienen, so zu tun, als wäre sie jemand anderes.
»Warum lungern die jungen Leute bei der Kirche herum?«, fragte Cora Jean, während sie ihre Jacke neben dem Tresen aufhängte. »Seit das letzte Harry Potter-Buch rausgekommen ist, habe ich nicht mehr so viele Kinder auf einem Haufen gesehen.«
»Das war vor zehn Jahren«, bemerkte Maddie amüsiert.
»Ja, na ja, die Kinder sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Zu beschäftigt damit, Videos auf ihren Handys zu gucken und ihre Bleats zu schreiben, um sich noch für Bücher zu interessieren.« Cora Jean legte sich ihre Schürze um den Hals, ohne den adretten Haarknoten zu berühren. »Ich vermisse die Zeit, als ihr alle bloß nach dem Fernsehen süchtig wart.«
»Bleats?«, wiederholte Maddie.
»Du weißt schon, das Twitterding. Bleats. Sag nicht, du wüsstest nicht, was das ist?«
»Man nennt das Tweets. Tweet heißt zwitschern. So wie Vögel. Deshalb nennt man die App auch Twitter.« Maddie musste sich ein Lachen verbeißen. »Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Jugend das noch benutzt. Es dreht sich jetzt alles um Snapchat und Instagram. Egal. Warum sind denn so viele in der Kirche? Ist heute eine Taufe?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Cora Jean zuckte die Achseln. »Sie hocken alle auf der Treppe, als würden sie auf einen Bus warten. Die Handys kleben ihnen natürlich an den Pfoten.«
»Ich werde mal nachschauen.« Maddie starrte zur Tür heraus. Die First Baptist Church stand am anderen Ende des großen Grasplatzes und wurde teilweise vom Musikpavillon und den Eichen verdeckt, die sich an die Fassade schmiegten. Vergebens reckte Maddie den Hals. Sie konnte absolut nichts sehen.
»Ist es okay, wenn ich einen Moment abhaue?«, fragte sie Cora Jean, die mit einem Nicken zustimmte.
Draußen lief Maddie um den Platz herum und hielt auf der anderen Seite inne. Tatsächlich hatten sich mindestens dreißig Leute versammelt, die alle an den weiß getünchten Wänden des First Baptist Gebäudes hochlugten. Als sich die übergroßen Holztüren öffneten, fing die Menge an, regelrecht zu vibrieren. Diejenigen, die auf den Stufen saßen, sprangen auf und wogten wie einer Welle der offenen Tür entgegen. Bald aufholend bahnten sich auch die anderen mithilfe ihrer Ellenbogen einen Weg nach vorne und reckten die Handys in die Luft.
»Ist Gray Hartson da drinnen?«, schrie eines der Mädchen.
»Ja, wir wollen Gray!«
Der Lärm stieg rapide an. Wie angewurzelt stand Maddie da, ein wenig entsetzt, doch ebenso amüsiert.
War Gray wirklich in der Kirche? Was zum Teufel hatte er sich dabei gedacht? Hartson’s Creek mochte eine verschlafene Kleinstadt sein, aber sie lag nicht im Koma. Neuigkeiten verbreiteten sich hier ebenso schnell wie in L.A. und New York und welche Stadt ein Gray Hartson auch immer gewohnt war. Hier vermutlich sogar schneller. Gelangweilte Kleinstädter stürzten sich geradezu auf Tratsch.
Maddie entdeckte Reverend Maitland im Türbogen. Sogar von hier konnte sie die Verwirrung über das plötzliche Interesse der örtlichen Kids auf seinen Zügen erkennen. Er hielt die Hände hoch, und sie erwartete beinahe, dass sich die Menge teilen würde wie das Rote Meer. Stattdessen duckten sich zwei Mädchen an ihm vorbei und rannten ins Gebäude.
»Junge Damen!«, rief Reverend Maitland mit zusammengezogenen Brauen hinterher. »Die Messe ist vorüber.«
Maddie unterdrückte ein Lachen. Das war alles so absurd. Und so weit entfernt von der Normalität eines Sonntags in Hartson’s Creek.
Ein weiterer Teenager stieß gegen Reverend Maitland und das Lächeln fiel von Maddies Gesicht. Jemand würde sich noch verletzen. Der Reverend machte einen Schritt nach vorn, um das Gleichgewicht zu wahren, und der Platz, den er dabei freigab, wurde sofort von neuen Dränglern gefüllt.
Tief durchatmend ging Maddie auf die Kirche zu und zog die Brauen zusammen, als Reverend Maitland zwei weitere Stufen nach unten gezwungen wurde. »Hey!«, rief sie aus und versuchte, sich durch die Masse zu kämpfen. »Ihr müsst euch beruhigen. Hört auf zu schubsen.«
Es war, als hätte sie kein Wort gesagt. Alle schubsten sich weiterhin gegenseitig und drängten den Reverend dabei fort. Maddie musste die Leute mit den Ellenbogen aus dem Weg räumen, um zu ihm zu gelangen.
Sie fasste nach seinem Arm. »Sind Sie okay?«
»Ich bin okay«, bestätigte er ein wenig außer Atem. »Vielleicht mit ein paar blauen Flecken mehr. Aber da drinnen ist ein junger Mann, der viel schlechter dran ist als ich.«
»Ist Gray in der Kirche?«, fragte Maddie. Obwohl sie ihre Stimme gesenkt hielt, ließ die Erwähnung seines Namens die Menge erneut aufbrüllen.
»Ich fürchte, ja. Ich habe alle aufgefordert, sitzenzubleiben, während ich nachschaue, was hier draußen vor sich geht. Und jetzt komme ich nicht mehr rein.«
»Könnt ihr den Reverend bitte wieder in seine Kirche lassen?«, rief Maddie der Menge auf den Stufen zu. »Kommt schon, zeigt ein wenig Respekt.«
Doch Respekt schien eine Rarität in dieser Gegend. Ihrer Ellenbogentechnik gelang jedoch, was ihre Bitte nicht erreichen konnte, und irgendwie schaffte sie es mit Reverend Maitland zurück in die Kirche. »Sie sollten den Eingang verschließen«, riet sie ihm, als sie an den Türen ankamen. »Ich rufe die Polizei und sehe zu, dass diese Teenager nach Hause geschickt werden.«
»Der Einzige im Dienst ist Scott Davis. Den verschlingen diese Kinder zum Frühstück«, erklärte Reverend Maitland. »Wir müssen Gray Hartson hier rausbekommen. Das sollte ihnen den Wind aus den Segeln nehmen.«
»Wo ist er?«
»Zuletzt saß er noch in der dritten Reihe.« Reverend Maitland deutete in die Mitte der Kirche. Jetzt war dort niemand mehr. Die Schaulustigen lungerten alle herum und sprachen in schnellen Sätzen miteinander. Ihre Augen waren so groß, als wäre so ein Chaos noch nie in Hartson’s Creek vorgekommen.
»Ist der Hinterausgang offen?«
»Man muss nur gegen den Sicherheitsbügel drücken. Von dort kommt man allerdings nirgendwo hin, außer um die Kirche herum zum Eingang.«
Richtig. Die Hinterseite der First Baptist Church war von den Hinterhöfen der anschließenden Wohnstraße umringt. Und vor diesen Höfen lag der Bach. Ob man nun ging oder fuhr, der einzige Weg von hier fort führte über den Stadtplatz. »Ich überlege mir was«, murmelte Maddie. »Entweder das oder er wird den Löwen zum Fraß vorgeworfen.«
6. Kapitel
»Das ist dämlich«, informierte Gray seine Tante, während sie seinen Arm umklammert hielt. Er war genervt von all dem Trubel, der um ihn gemacht wurde. »Ich gehe einfach raus und lasse sie ihre Fotos schießen. Die langweilen sich in kürzester Zeit.« Er machte einen Schritt nach vorn, doch Gina ließ nicht von ihm ab. Es wäre eine Leichtigkeit für ihn, sich von ihr loszulösen, aber er wollte ihr auf keinen Fall wehtun.
»Bleib hier«, forderte sie bestimmt. »Reverend Maitland kümmert sich darum.«
»Es wäre für jeden einfacher, wenn ich das erledige. Ich will nicht, dass irgendjemand verletzt wird.« Er sah die Schlagzeilen schon vor sich. Und letztendlich war er erwachsen und in der Lage, auf sich selbst Acht zu geben.
»Reverend Maitland kommt zurück«, meinte die Frau, die neben ihnen stand. »Er wirkt nicht besonders glücklich.«
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Tante Gina, als der Reverend auf sie zukam. »Ist die Menge fort?«
Sie lockerte ihren Griff, und Gray nutzte die Gelegenheit, um seinen Arm wegzuziehen. »Das alles tut mir leid«, entschuldigte er sich bei dem Geistlichen. »Ich rede mit den Kids und bitte sie, zu gehen. So kann jeder mit seinem Tag weitermachen.«
»Das würde ich Ihnen wirklich nicht raten.«