Zwischen Gartenbau und Gartenkunst: Gärtner und Gartengestalter in Wien und Umgebung 1918–1945. Erika Karner
Die Anarchie der Produktion muß zum Niedergang, zur Verelendung des Erwerbsgartenbaues führen, wenn nicht rasch und energisch zur Abwehr geschritten wird. […] Die Regelung der Produktion ist die einzige Möglichkeit der Hilfe. […] Die Regelung der Produktion ist gleichbedeutend mit der Organisierung der Planwirtschaft und diese bedingt die Spezialisierung. […] Die Spezialisierung vereinfacht die Betriebsführung und verbilligt die Produktionskosten. Unter dieser Voraussetzung sichert die Spezialisierung dem Erzeuger die natürliche Monopolstellung seiner Spezialprodukte und diese natürliche Monopolstellung bietet den wirksamsten Schutz der produzierenden Erwerbszweige des Gartenbaues.“70
Diese Analyse und der Lösungsvorschlag wurden von konservativen Vertretern der Wiener Gärtnerschaft zurückgewiesen und als Panikmache abgetan, die Redaktion obiger Zeitschrift wurde aufgefordert, „vorläufig alle theoretischen Ausführungen auf diesem Gebiete zurückzustellen“, und schließlich der Vorschlag eingebracht, die Sektion I der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft und die Wirtschaftsvereinigung der Gärtner mögen einen Fachbeirat einsetzen, um sich mit der Materie näher zu befassen.71
Im Herbst 1929 kam es zur „Großen Notstandskundgebung“ der österreichischen Erwerbsgärtner in Wien, mit der diese auf ihre schwierige Situation aufmerksam machten und staatliche Hilfen einforderten.72 Anwesend waren über 1.000 Gärtner und Vertreter von Parteien und öffentlichen Körperschaften.73 Die Gärtnervertreter forderten unter anderem massive finanzielle Staatshilfe, nämlich „1,000.000 Schilling Staatskredite zu einem niedrigen Zinsfuß mit einer 15jährigen Laufzeit“, Steuererleichterungen, Einfuhrbeschränkungen und die Regelung der „Zugehörigkeitsfrage“.74 Der Redner Franz Josef Böhm – er war Erwerbsgärtner, Zollreferent im Finanzministerium und Mitglied der Sektion I der ÖGG – führte in seinem Impulsreferat den Zuhörern die gestiegene Konkurrenz innerhalb der Berufsgruppe und die schwierigen Absatzverhältnisse vor Augen:
„In Österreich sind zirka 3000 Erwerbsgärtner, die mit ihren Familienangehörigen und Angestellten zirka 18.000 bis 20.000 Seelen zählen. Ich setze voraus, daß es bekannt ist, daß in den Gärtnereien alles arbeiten muß, jung und alt. Durch die schlechten Verhältnisse in der Landwirtschaft haben sich nun seit Kriegsende sehr viele Landwirte in der Nähe der größeren Städte dem Gartenbau zugewandt, die meisten ehemaligen Herrschaftsgärtnereien betreiben heute in irgend einer Form Erwerbsgartenbau, so daß man ruhig behaupten kann, daß in Österreich zirka 25.000 Menschen von Gartenbau leben. Der Gartenbau des heutigen Österreichs hatte vor dem Kriege mit dem heutigen Neuausland regen Geschäftsverkehr, der seit der Schaffung der neuen Grenzen durch geradezu phantastische Zollmauern unterbunden ist.“75
Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, sprach eine Erwerbsgärtnerdelegation unter der Führung der christlich-sozialen Nationalräte Spalovsky und Volker beim Bundeskanzler Johann Schober vor und ersuchte um Unterstützung ihrer Anliegen, was dieser auch zusagte.76 Dieses Versprechen änderte aber nicht viel an der Lage der Gärtnerschaft.
Die hereinbrechende Weltwirtschaftskrise verschlechterte die ökonomische Lage der Gärtnereien zusehends.
Neben den steigenden Arbeitslosenzahlen im Gartenbau machte sich die Wirtschaftskrise auf Seiten der Arbeitgeber bemerkbar. Den Gemüseproduzenten fiel es schwerer, ihre Waren zu verkaufen, da die Zahl der potenziellen Kunden sank, eine Absatzkrise machte sich breit und trotzdem stiegen die Gemüseimporte aus den Nachbarländern – dies verschärfte die Lage für die heimischen Gemüsegärtner zusätzlich.77
Die Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre ging auch an den Gartenarchitekten nicht spurlos vorüber. Die Auftragslage war schlecht und viele der Gärtnereiinhaber und Gartenarchitekten mussten Ausgleich anmelden. Hier einige Beispiele von bekannten Gartenarchitekten:
Gartenarchitekt Wilhelm Debor:78
Ausgleich eröffnet: 09.12.1929 – beendet 30.04.1930
Ausgleich eröffnet: 04.05.1931 – beendet 12.10.1931
Gartenarchitekt Albert Esch:79
Ausgleich eröffnet: 26.09.1933 – beendet 19.02.1934
Gartenarchitekt Wilhelm Hartwich:80
Ausgleich eröffnet: 07.11.1931 – beendet 24.03.1932
Gartenarchitekt Wilhelm Vietsch:81
Ausgleich eröffnet: 26.10.1931 – beendet 23.03.1932
Selbst die weithin bekannte Rothschild-Gärtnerei in Wien litt an den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Baron Alfons Rothschild war nach der erzwungenen Übernahme der Boden-Credit-Anstalt und der darauffolgenden Insolvenz seines Bankhauses, der Creditanstalt, gezwungen, die Kosten der Erhaltung der Gärten herabzusetzen, er musste Gärtner entlassen und Teile seiner Anlage auf der Hohen Warte schließen.82 Ein bis zu diesem Zeitpunkt als Reservegarten zur Verfügung stehendes Gelände sollte parzelliert und verkauft werden.83
2.2.2 „Rotes Wien“ versus „schwarze“ Bundesländer
Wien hatte von 1918 bis 1934 eine wirtschaftliche und politische Sonderstellung inne.
Die Stadt war während der Habsburger-Monarchie aufgrund ihrer Funktion als zentrale wirtschaftliche Schaltstelle zum Angriffspunkt der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen geworden. Auf Wien lastete damit eine schwere Hypothek, zu der sich bald eine weitere – die der politischen „Andersartigkeit“ – gesellte.84
Nach dem Wahlsieg der Wiener Sozialdemokratie 1919 kam es alsbald zu großen Spannungen „zwischen dem „roten“ Wien und den „schwarzen“ Bundesländern.“85
Mit dem Beschluss der Loslösung Wiens von Niederösterreich am 29. Dezember 1921 und seiner Konstituierung als Bundesland mit 1. Jänner 1922 ergab sich für Wien eine spezielle Konstellation. Der Bürgermeister Wiens erlangte nun zusätzlich die Rechte eines Landeshauptmanns und konnte nun eine eigenständige Sozial- und Wirtschaftspolitik betreiben. Die „rote“ Sozialdemokratie hatte dadurch die Möglichkeit, einen mächtigen Gegenpol zur „schwarzen“ konservativen Vorherrschaft auf Bundesebene zu bilden.86
Wien erhielt ferner das nach der Verfassung den Ländern zustehende Steuerfindungsrecht. Ziel der Steuerpolitik des „Roten Wien“ war die Umverteilung von den oberen zu den unteren Einkommensschichten mittels der Besteuerung von Luxuskonsum.87
Diese Eigenständigkeit Wiens brachte aber nicht nur Vorteile, sondern führte zu einer zunehmenden ökonomischen und politischen Isolierung der Stadt innerhalb