Zwischen Gartenbau und Gartenkunst: Gärtner und Gartengestalter in Wien und Umgebung 1918–1945. Erika Karner
wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben der neuen Stadtregierung bestanden in der Belebung der Wirtschaft und der Linderung der Wohnungsnot durch die Bereitstellung gesunder und billiger Kleinwohnungen.
Die private Wohnbautätigkeit in Wien war nach dem Ersten Weltkrieg völlig zum Erliegen gekommen – dies gab den Anstoß zu den kommunalen Wohnbauprogrammen der Stadtregierung unter der finanzpolitischen Federführung von Stadtrat Hugo Breitner. Diese Programme bildeten den wichtigsten Nachfrageimpuls, für sie wurde vorübergehend mehr als ein Viertel der Gesamtausgaben im Stadtbudget bereitgestellt, sodass sie während der 1920er-Jahre den Schwerpunkt des Gemeindehaushaltes bildeten.89
Neben dem kommunalen Wohnungsbau bildeten die Schulreform unter Otto Glöckel und die soziale Fürsorgepolitik unter Julius Tandler die drei Säulen der sozialdemokratischen Politik in Wien.90 Darüber hinaus wurde diesen drei traditionellen Säulen der Arbeiterbewegung noch eine vierte, die „kulturelle Bildungsarbeit“, hinzugefügt.91 In seiner kulturpolitischen Dimension wies das „Rote Wien“ weit über die ursprüngliche Dimension eines wohlfahrtsstaatlichen und sozialpolitisch inspirierten Modells hinaus und sicherte sich so auch die Unterstützung der Intellektuellen.92
Während der Wirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre war der Haushalt der Stadt Wien mit bedeutenden Einnahmeverlusten konfrontiert und 1931 wurde zudem der Aufteilungsschlüssel der gemeinschaftlichen Bundesabgaben zum Nachteil Wiens geändert. Nach der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 setzte die Regierung Dollfuß die finanzielle „Einschnürung“ der Gemeinde Wien fort und entzog ihr die Steuereinhebung der Bundesabgaben. Verzweifelt versuchte die sozialdemokratische Stadtregierung das entstehende Defizit zu begrenzen, wodurch die Wohnbautätigkeit der Gemeinde völlig zum Erliegen kam.93
Die Historikerin Maren Seliger beschrieb zusammenfassend die Situation der Sozialdemokraten in Wien und deren Gegenmodell zur Politik der Bürgerblockregierung auf Bundesebene als Kulturkampf in dem „die laizistische Sozialdemokratie als Anwältin der Moderne“ galt und das bürgerlich-bäuerlich-feudal-katholische Lager eine in vormodernen Traditionen verhaftete antiliberale Bewegung darstellte.94
2.2.3 Sozialgesetzgebung
Die während der ersten beiden Jahre der Republik durch die Sozialdemokratie beschlossenen Sozialgesetze verbesserten nicht nur die ökonomische Situation der Arbeiterschaft deutlich, sondern führten auch zu einer machtpolitischen Besserstellung der Arbeiterklasse.
Der sozialpolitische Erfolg bis 1920 war beachtlich: In über 80 sozialpolitischen Gesetzen und Verordnungen wurden wichtige Materien wie Achtstundentag, Arbeitslosenversicherung, Mieterschutz, Verbesserung des Kollektivvertragsrechts etc. geregelt. Österreich hatte damit beinahe alle sozialpolitischen Forderungen, die auf der im Spätherbst 1919 in Washington stattfindenden ersten internationalen Arbeitskonferenz aufgestellt wurden, erfüllt.95
Der österreichische Sozialstaat rückte damit kurzfristig an die erste Stelle innerhalb Europas. Nachdem das Wirtschaftswachstum jedoch mäßig blieb, drängte die Unternehmerschaft auf Sozialabbau.96
Die neuen sozialpolitischen Gesetze hatten auch für die in gewerblichen Gärtnereien arbeitenden Gehilfen Gültigkeit und stellten, zumindest auf dem Papier, eine deutliche Verbesserung ihrer arbeitsrechtlichen Situation dar.
Auch bei den Gärtnern drängte die „Unternehmerschaft“ auf Sozialabbau, und zwar in Form der von vielen angestrebten Zugehörigkeit des gesamten Gartenbaus zur Landwirtschaft.97
2.2.4 Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosigkeit war ein die Erste Republik begleitendes Problem mit mehreren Ursachen. Zum einen gab es große strukturelle Schwierigkeiten, zum anderen trug die staatliche Wirtschaftspolitik zur niedrigen Beschäftigungsrate bei.98
War die Zahl der Arbeitslosen kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auf über 350.000 angeschwollen, so fiel sie in den beiden nachfolgenden Jahren deutlich auf 78.000 (1920) und 28.000 (1921). Diese sehr erfreuliche Entwicklung hielt jedoch nicht an und in den Jahren bis 1930 lag die Arbeitslosenrate zwischen 8,3 und 11,2 %, danach stieg sie sprunghaft an, lag 1932 bereits bei 21,7 % und erreichte 1933 ihren Höchstwert mit 26 %. Im Jahr 1937 lag die Arbeitslosenrate noch immer bei 21,7 % oder 464.000 Personen, von denen nur 231.320 Personen Arbeitslosenunterstützung erhielten – der Rest galt als „ausgesteuert“ und hatte somit keinerlei Unterstützungsanspruch.99
Tabelle 2: Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Österreich 1919–1937.100
Die starken Auswirkungen – Verelendung, Hunger, Armut – der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre auf die Bevölkerung lassen sich an diesen Zahlen sehr deutlich ablesen. Emmerich Tálos beschrieb diese Entwicklung:
„Die Konsequenz dieser Politik [Anm. der Einsparungsmaßnahmen] zeigt sich unter anderem daran, daß der Anteil der Unterstützten an der Gesamtzahl der Arbeitslosen merkbar schrumpfte: 1930 betrug dieser noch 86 %, 1933 60 % und 1934 nur noch 53 %. Dies erfolgte in einem Kontext, der durch eine rapide ansteigende Erwerbslosigkeit geprägt ist: 557.000 Arbeitslose im Jahr 1933 und 545.000 im Jahr 1934 entsprachen einer Arbeitslosenquote von 26 % bzw. 25,5 %.“101
Für die Arbeiter in den Gärtnereien kann eine ähnliche Entwicklung angenommen werden.
Im Gartenbau hatten die Verantwortlichen ebenfalls mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Im Mitteilungsblatt des Gehilfenausschusses der Gärtner und Naturblumenbinder fand sich im Jänner 1926 eine kurze Notiz, die die triste Lage der Wiener Gärtnereiarbeiter beschreibt:
„Bei der Krankenkasse wurden im November 146, vom 1. bis 28. Dezember 153 Kollegen als arbeitslos abgemeldet, zusammen innerhalb der letzten zwei Monate 299. Bei rund 1000 Gehilfen (nach Abzug der Lehrlinge, Hausgehilfinnen und Söhne und Töchter der Arbeitgeber) sind dies 30 Prozent der Arbeitnehmer in den Gärtnereien.“102
Die Situation der Beschäftigten im Wiener Gartenbau war dramatisch, die Arbeitslosigkeit griff aber auch in den ländlichen Gebieten um sich. In der Zeitschrift „Allgemeine Österr. Gärtner-Zeitung“ fand sich im März 1926 ein Artikel, in dem über die Arbeitslosigkeit und die Wirtschaftskrise berichtet wurde. Unter anderem war hier zu lesen:
„Während bis jetzt in der Landwirtschaft die Arbeitslosigkeit noch einigermaßen zurückgehalten werden konnte, zeigen uns die letzten Berichte der Industriellen Bezirkskommissionen aus den Provinzgebieten, daß die Wirtschaftskrise nun auch auf die Land- und Forstwirtschaft übergreift und die Arbeitslosigkeit auch dort sich erschreckend fühlbar macht. So lesen wir in einem Bericht […] folgende unseren Beruf streifende Randnotiz: ‚Während bis in die letzte Zeit in vielen landwirtschaftlichen Großbetrieben Gärtnereien als Nebenbetrieb