Die Muskatprinzessin. Christoph Driessen

Die Muskatprinzessin - Christoph Driessen


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auf Coens Seite lebte nur noch seine Schwester, die aus Hoorn angereist war – gaben sie sich ein feierliches Eheversprechen und tauschten Ringe aus, die von Coen bezahlt worden waren.

      Bis zur Hochzeit waren es nun noch acht Wochen.

      Eva war zutiefst niedergeschlagen, aber nur Gerrit schien sie zu verstehen. Alle anderen hielten es für selbstverständlich, dass sie ihren Lebensretter, der zudem so angesehen und reich war, nicht abwies. Der Druck war so groß gewesen, dass sie ihren Widerstand aufgegeben hatte. Wenn sie aber daran dachte, dass sie nun den Rest ihres Lebens mit einem Mann verbringen musste, den sie nicht liebte, ja noch nicht einmal mochte, war sie verzweifelt.

      Mitunter holte Coen sie nun zu Spaziergängen ab. Er zeigte ihr die Börse, die zur Handelszeit um die Mittagsstunde so voll besetzt war wie eine Kirche während des Ostergottesdienstes. Im Rathaus erklärte er ihr die Bedeutung der städtischen Wechselbank, in deren Keller Geld im Wert von mehreren hundert Tonnen Gold lagern sollte. Eva hörte nicht zu. Stattdessen sah sie einem Liebespaar nach, das ins Rathaus gekommen war, um seine Hochzeit anzumelden. All dies würde sie niemals erleben – das Schönste im Leben würde an ihr vorbeigehen. Ihr schossen Tränen in die Augen.

      Wenn halbwegs gutes Wetter war, wanderten sie über die Stadtmauer. Auf der einen Seite blickte man über die Giebel und Dächer der Stadt, auf der anderen Seite auf sumpfige Weiden. Hier oben hörte man nur das Ächzen und Surren der Windmühlenflügel. Wie kolossale Wächter umstanden die Mühlen die ganze Stadt und ruderten Tag und Nacht mit ihren Armen durch die Luft. Coen hatte auch sehr lange Arme … Bald würde er sie damit umschließen, dieser entsetzlich große Mann. Und dann … was dann geschehen würde, daran wollte sie lieber nicht denken.

      Jedes Mal war sie froh, wenn der Spaziergang endlich zu Ende war. Dann flüchtete sie nach Hause zu Gerrit. Ihr Bruder war der Mensch auf der Welt, der ihr mit Abstand am meisten bedeutete. Vom Tag der Hochzeit an würde sie zum ersten Mal, seit sie denken konnte, nicht mehr im selben Haus wie er schlafen.

      „Auf keinen Fall will ich ein Kind von diesem Mann“, sagte sie.

      „Dann halt immer schön die Beine zusammen“, feixte Gerrit.

      „Ich meine es ernst. Ich bin viel zu jung für Kinder.“

      „Er wird dich aber kaum in Ruhe lassen. Sobald ihr verheiratet seid, kannst du dich nicht mehr weigern.“

      „Das weiß ich. Aber es gibt doch zumindest Wege, eine Schwangerschaft zu verhindern.“

      „Und welche?“

      „Tu nicht so dumm!“

      „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

      „Genau weiß ich es auch nicht. Aber die Huren wissen alles darüber. Darum möchte ich, dass du hingehst und sie fragst.“

      „Was? Ich soll für dich zu den Huren gehen und sie bitten: ,Nun erzählt mir mal schön, wie macht ihr das, dass eure Kunden ihre schmutzigen Pinsel in eure Farbtöpfe stecken und ihr doch sauber bleibt?‘“

      „Was spricht dagegen? Du kannst ihnen Geld dafür bieten. Außerdem bist du doch bestimmt schon mal dort gewesen, oder?“

      „Nein, bin ich nicht!“ Gerrit schüttelte den Kopf, dass seine Locken hin und her wippten, aber Eva hörte an seiner Stimme, dass er log.

      „Ich weiß übrigens, dass du mit deinen Kumpanen neulich Rabatz gemacht hast. Ihr habt Blumenkästen umgeworfen und eine Scheibe zertrümmert.“

      „Was … woher …?“

      „Ich habe meine Zuträger in der Nachbarschaft, glaub mir. Natürlich habe ich Vater nichts verraten. Ehrensache. Aber ich frage mich, wieso du mir dann nicht diesen kleinen Gefallen erweisen kannst?“

      Gerrit stieß einen Seufzer des Missfallens auf, dann sprang er auf und zog sich das Wams gerade. „Also gut, ich gehe. Aber dafür schuldest du mir was.“

      Am Abend des übernächsten Tages kam er zu ihr ins Zimmer.

      „Ich habe was bekommen“, sagte er. Er öffnete ein kleines Säckchen und holte ein hauchdünnes Stofftüchlein hervor. „Das Ding ist mit allem möglichen Zeug präpariert. Akazie, Koloquinte, und den Rest hab ich vergessen. Das musst du dir in dein Schatzkästlein legen, und dann ist es wohl fast garantiert, dass du keine Kinder bekommst. Die, die mir’s gegeben hat, scheint eine absolute Kennerin zu sein. Sie sagt, sie experimentiert mit so vielen Kräutern, dass man zwei Wiesen damit füllen könnte.“

      Eva war sehr erleichtert, als sie das Tüchlein in ihrer Leinentruhe verstaute. Sie hatte das Gefühl, dass sie der Hochzeitsnacht nun nicht mehr wehrlos entgegensehen musste. Sie war gewappnet.

      Die Zeit bis zu ihrem großen Tag verging schnell. Es gab viel zu tun: Sie musste die Einladungen schreiben und verschicken, das Aufgebot bestellen, das Brautzimmer schmücken und die Heirat im Vorhinein der städtischen Kommission für Eheangelegenheiten melden. Und dann musste sie natürlich das Hochzeitskleid auszusuchen. Sie entschied sich für ein vorne offenes Übergewand aus glänzendem Seidendamast und einen weit abstehenden Rock. All dies war in vornehmem Schwarz gehalten. Dadurch wurde der Blick des Betrachters wie von selbst auf das spektakuläre Brustmieder gelenkt, das unter dem Übergewand hervorschaute: Es war von oben bis unten in einem komplizierten Blumenmuster mit Gold- und Silberfäden durchwirkt und mit Perlen bestickt. Dazu trug sie einen blütenweißen Mühlsteinkragen, dessen gefältelter Stoff ausgebreitet über alle Stockwerke des Weißen Adlers gereicht hätte. Als sie all das zur Probe angelegt hatte, gaben sich der französische Schneider und seine beiden Gehilfen schier fassungslos und sprachen von einem der schönsten Brautkostüme, das sie je hergestellt hätten. Eva ärgerte sich nur darüber, dass der Schneider beim Anprobieren der Haube die Bemerkung fallen ließ, dieser Kopfputz sei auch deshalb so wunderbar für sie geeignet, weil er ihre feuerroten Haare vollkommen verberge.

      Einige Tage vor der Hochzeit feierte Eva mit ihren besten Freundinnen ihren Junggesellinnenabschied. Sie verzierten den Weißen Adler gemäß alter Tradition mit grünen Zweigen – die zu dieser Jahreszeit nicht leicht zu bekommen waren – und aßen und tranken zusammen in der Taverne Im Äffchen. „Du kannst so stolz sein“, sagte ihre alte Schulfreundin Feyntje zu ihr. „Ein solcher Fang, wie du ihn gemacht hast, wird keiner von uns je gelingen.“ Fast begann sie selbst zu glauben, dass alles gar nicht so schlimm war.

      Die letzte Nacht in ihrem Elternhaus verbrachte sie bei Gerrit. Wie selbstverständlich kroch sie zu ihm ins Bett und umarmte ihn von hinten, wie früher, als er noch klein gewesen war und sie ihn in dieser Haltung geschützt hatte. Noch einmal versuchte sie, im gleichen Rhythmus zu atmen wie er, aber Gerrits Brust hob sich jetzt viel langsamer als ihre.

      Dann kam der Tag. Morgens wurde Eva von zwei befreundeten Nachbarinnen geweckt, die ihr beim Ankleiden und Herrichten halfen. Bis zur Trauzeremonie am Mittag mussten sie dann noch einige Stunden überbrücken. Einige Freunde und Verwandte trafen ein, um sie vorab zu bestaunen. Gerrit hatte sich aus gegebenem Anlass goldene Ohrringe zugelegt und Schönheitsflecken auf sein Gesicht aufgemalt. Allerdings hatte er es damit übertrieben, sodass es nun aussah, als hätte er die Pocken. Jasper trug eine goldene Schleife um den Hals.

      Als sie gegen ein Uhr mittags zur Kirche gingen, konnte Eva kaum glauben, wie viele Leute dort schon standen, allesamt in Samt und Seide gehüllt. Herren mit leuchtenden Schärpen um den Leib stemmten die Hand in die Hüfte, auf dass der Ärmelstoff prächtiger leuchte, und präsentierten den Federhut. Vorgestreckte Amtsbäuche und perlengeschmückte Frauenhälse wetteiferten um Aufmerksamkeit. Sie zweifelte nicht daran, dass dieser Auftrieb in erster Linie der Prominenz und dem Einfluss Jan Pieterszoon Coens geschuldet war.

      Beim Betreten des Kirchhofs wurde sie mit Hochrufen empfangen, dazu streuten junge Mädchen Blumen vor ihr aus. Dann sah sie ihren Bräutigam auf sich zukommen, alle anderen Menschen auf dem Platz um mindestens eine Haupteslänge überragend. Er trug eine kurze, eng taillierte Jacke, lediglich verziert durch Reihen kleiner Goldknöpfe. Das auffälligste Gewandteil waren die Ärmel, die mit leuchtenden Goldfäden bestickt waren. Dazu hatte er eine leger gefältelte Krause um den Hals und auf dem Kopf einen Hut mit breiter Krempe, die über


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