Die Muskatprinzessin. Christoph Driessen

Die Muskatprinzessin - Christoph Driessen


Скачать книгу
Bettvorhänge an zwei Seiten. Das Bett gefiel ihr gut, es war eine gemütliche Höhle, genau wie ihre alte Schranknische.

      Nun war im Kamin nur noch glühende Asche übrig. Finsternis legte sich über das Zimmer. Ein Nachtlicht konnte sie nirgends entdecken. Kam ihr Ehemann nicht mehr? War er zu erschöpft? Oder hatte er sich kurz ausruhen wollen und war dabei eingeschlafen? Sie verspürte Erleichterung, aber auch einen Hauch von Enttäuschung. Sie musste wirklich alles andere als begehrenswert sein, wenn ihr eigener Mann sie in dieser magischen ersten Nacht schon verschmähte.

      Allmählich wurde sie doch von Müdigkeit ergriffen und kämpfte gegen den Schlaf an. Morgen würde sie beim Wachwerden zum ersten Mal nicht die hölzerne Decke ihrer alten Bettstatt sehen, sondern den Tuchhimmel ihres neuen Schlafplatzes. Es war durchaus denkbar, dass sie ihre Nächte bis ans Ende ihres Lebens in diesem Bett verbringen würde. Vielleicht, so kam ihr in den Sinn, lag sie schon auf ihrem Sterbebett …

      Plötzlich schreckte sie hoch. Hatte sie geschlafen? Sie versuchte, etwas zu erkennen, aber die Dunkelheit war undurchdringlich. Nach einigen Augenblicken wusste sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie spürte die Nähe eines anderen. Sie hörte sein Atmen. Er stand neben ihr, und er war größer als sie. Viel größer. Stocksteif lag sie unter ihrer Decke und fühlte in sich das Stück Stoff, das sie schützen sollte.

      Neben sich nahm sie den Luftzug einer Bewegung wahr. Ein mächtiger Körper war jetzt über ihr. Er berührte sie nicht, aber sie spürte, wie er sich auf der Matratze abstützte, und sie roch ein Gemisch aus Schweiß und etwas Unbekanntem. So verharrte er über ihr, der Eindringling, der noch nicht einmal ein Schatten war, weil ihn die Dunkelheit vollständig verbarg. War sie ebenso wenig sichtbar für ihn? In jedem Fall wusste er genau, wo sie war. Ihr Gesicht war unter ihm, auf Höhe seiner Schultern. Sie konnte nichts tun. Ihn ansprechen, mit ihm reden? Unmöglich! Wie lange er auf diese Art über ihr lauerte, hätte sie nicht sagen können. Aber auf einmal kam der Angriff mit großer Vehemenz. Ruckartig wurde ihr die Decke weggezogen und das Nachthemd über den Kopf gerissen. Zwei große Hände fassten sie an, packten sie wie eine Puppe bei den Schultern und pressten sie in die Kissen. Im nächsten Moment drängte er ihre Schenkel auseinander und war in ihr. Sie lag da und fühlte, wie er sich in ihr regte, fühlte die tief in sie eingedrungene Waffe. Er nahm Besitz von ihr, wühlte ihr Innerstes auf, so tief, so verletzend, wie sie es sich niemals hatte vorstellen können. Sie ahnte, wie er es genoss, sie völlig zu beherrschen, auch wenn ihm dabei kein Ton über die Lippen kam. Sie dagegen konnte ein Wimmern nicht unterdrücken. Da wurden seine Bewegungen schneller, gewannen eine Heftigkeit, als wollte er sie aufspalten. Vor jedem neuen Stoß hatte sie das Gefühl, dieser nächste werde ihren Körper von der Mitte her zerreißen. Dann führte er einen letzten, gewaltigen Streich aus, einen Streich bis ins Herz, wie ihr schien. Sie schrie auf. Seine Lust blieb stumm, doch spürte sie in sich sein jähes Erschaudern. Er hatte sich mit ihr verbunden – endgültig und unwiderruflich. Im Vergleich dazu verblassten die Zeremonien des vorangegangenen Tages zur Bedeutungslosigkeit.

      So plötzlich wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. Sie blieb zurück wie ein verwundetes Tier. Das Laken war feucht – lag sie in ihrem Blut? Nach einiger Zeit probierte sie, ob sie das Tuch noch ertasten konnte, doch wusste sie schon, dass es fort war. Sie suchte in den darauffolgenden Tagen immer wieder danach, aber sie fand es nicht, weder in den Ritzen ihres Bettes noch in den Tiefen ihres Körpers.

      Während des Frühstücks bekam Eva von Coen noch ein Geschenk, zwei mehrreihige Perlenarmbänder. Die Ereignisse der vergangenen Nacht erwähnte er mit keinem Wort, sodass sich Eva kurzzeitig fragte, ob ein Einbrecher ins Zimmer geschlichen sein und sich an ihr vergangen haben könnte. Nach dem Essen spazierte sie mit Johanna hinüber zum Weißen Adler, um zusätzliche Kleidung zu holen. Als Tanneke öffnete, wirkte sie verstört.

      „Ich wollte Euch an diesem Tag nicht zu früh stören, aber ich bin sehr besorgt! Der Herr ist nicht da! Wisst Ihr, wo er stecken könnte?“

      Eva erschrak. „Nein, keine Ahnung. Aber frag doch bitte sogleich im Prinsenhof nach. Vielleicht war er am Ende nicht mehr in der Lage, den kurzen Weg nach Hause zurückzulegen, und hat sich dort für eine Nacht einquartiert? Wenn es nicht so ist, dann wissen sie dort vielleicht, ob er mit jemandem mitgegangen ist.“

      Nach einer halben Stunde war Tanneke zurück und berichtete: „Im Prinsenhof weiß niemand etwas. Übernachtet hat er dort jedenfalls nicht.“ Nun wurde die Magd zu Pieter Hasselaer geschickt. Sie brachte jedoch nicht mehr in Erfahrung, als dass Vater Ment als einer der Letzten gegangen sein musste. Und dass er zu dieser Zeit nicht mehr ganz nüchtern gewesen war. Als die Stunden vergingen und er auch am frühen Nachmittag noch nicht aufgetaucht war, beschloss Eva, selbst noch einmal zu Pieter Hasselaer zu gehen. Sie fand ihn in seiner Brauerei. „Onkel, ich habe wirklich Angst, dass ihm etwas zugestoßen ist – habt Ihr vielleicht die Möglichkeit, nach ihm suchen zu lassen?“ Hasselaer zögerte keinen Augenblick, sondern machte sich sofort auf den Weg zum Rathaus, um dort Erkundigungen einzuholen. Als Mitglied des Rats würden ihm die städtischen Beamten zu Diensten sein.

      Mit bangem Gefühl kehrte Eva in den Weißen Adler zurück. Mehrere Stunden vergingen mit Warten. Dann, um sechs Uhr abends, wurde der Türklopfer betätigt. Eva hastete durch den Flur, öffnete – und sah bereits am Gesicht ihres Onkels, dass sich ihre Befürchtungen bestätigt hatten. „Was ist geschehen?“, stieß sie hervor. „Lasst uns hineingehen“, sagte er. Sie setzten sich in das Zimmer neben der Vorhalle, in dem Coen um ihre Hand angehalten hatte. Auch Gerrit kam dazu.

      „Ich habe leider eine schlimme Nachricht für euch“, hob Hasselaer an. „Heute Vormittag ist in der Schleuse am Grimburgwal eine Leiche aus dem Wasser gefischt worden. Ich habe sie mir zeigen lassen. Es ist euer Vater.“

      Eva starrte ihn an. „Aber wie … wie …?“

      „Es sieht ganz danach aus, dass er heute Nacht auf dem Weg von der Feier nach Hause im Dunkeln in die Gracht gefallen und ertrunken ist. Es tut mir sehr leid.“

      „Vater ist tot?“, fragte Eva. „Das kann doch nicht sein … das kann nicht sein …“

      Onkel Pieter nickte langsam. „Ich fürchte, es ist so. Bedauerlicherweise stürzen des Nachts immer wieder Leute ins Wasser, gerade wenn sie angetrunken sind.“

      Eva fühlte sich, als hätte sie einen Schlag mit einem riesigen Hammer bekommen. „Was für ein schrecklicher Tod! So plötzlich, so unerwartet. Von einem Moment auf den anderen, ohne vorhergehende Krankheit, ohne dass er Zeit hatte, sich vorzubereiten …“

      „Der Tod ist uns so nahe, dass stets sein Schatten auf uns fällt“, zitierte Hasselaer eine Redensart.

      Gerrit schwieg nur und sah auf den Boden.

      Nach einigen Momenten fragte Eva: „Kann ich ihn sehen?“

      „Der Leichnam wird noch heute Abend hierhergebracht. Dann könnt ihr von eurem Vater Abschied nehmen. Wenn es irgendetwas gibt, das ich für euch tun kann, dann sagt mir Bescheid.“ Damit erhob Hasselaer sich, setzte den Hut auf und ging.

      Eva schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich verstehe das nicht … Am Tag nach der Hochzeit. Gestern um diese Zeit haben wir noch mit ihm gefeiert, und jetzt soll er tot sein? Das muss eine Ursache haben.“

      „Was für eine Ursache?“, fragte Gerrit.

      „Es ist ein Fingerzeig Gottes“, sagte Eva. „Das ist doch offenkundig. Gestern haben wir meine Hochzeit gefeiert, heute wird Vater tot aus dem Wasser gezogen. Das steht miteinander in Verbindung. Gott hat Anstoß daran genommen, wie wir gestern Hochzeit gehalten haben … Und ich glaube, ich weiß auch schon, warum. Ich habe in der Kirche kein einziges Mal wirklich gebetet, ich habe nur daran gedacht, dass ich meinen Mann nicht wirklich liebe. Dies ist die Strafe. Vater musste büßen für meine Sünden.“

      „Ach, Unfug!“, entgegnete Gerrit. „Das weißt du doch gar nicht.“

      „Meinst du, es ist Zufall, wenn der Brautvater in der Hochzeitsnacht auf diese Weise umkommt? Das kannst du nicht ehrlich meinen! Einen solchen Zufall gibt


Скачать книгу