Die Muskatprinzessin. Christoph Driessen
gab er ihr einen scheuen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr zu: „Die schönste Madame von Amsterdam …“ Sie errötete. Dann hakte sie sich bei ihm ein, und gemeinsam schritten sie in die Kirche. Zwei Stühle mit Armlehnen standen für sie bereit.
Pfarrer Sylvius hätte angesichts von so viel eitlem Putz eigentlich sofort zu einer Strafpredigt ansetzen müssen, doch Eva hatte schon öfters bemerkt, dass gerade die strenggläubigen Geistlichen immer sehr genau wussten, mit wem sie sich gut stellen mussten.
So beschränkte er sich in seiner Ansprache darauf, Braut und Bräutigam zu Gottesfurcht und Treue zu ermahnen und die Braut außerdem zum Gehorsam.
Dann kam der Moment, in dem Sylvius sie fragte, ob sie Jan Pieterszoon Coen zu ihrem Mann nehmen und ihm treu bleiben wolle bis zum Tod. Eva sagte ohne nachzudenken Ja – es wäre auch undenkbar gewesen, in dieser Zeremonie vor den Augen aller Menschen, die sie kannte, etwas anderes zu antworten. Das Ja von Coen klang fest und klar, wie man es von ihm erwartete. Anschließend streifte Eva ihren rechten Handschuh ab und ließ sich von ihm den Ehering auf den Zeigefinger stecken. Für einen kurzen Moment sah sie sich um, weil sie Gerrits Gesicht sehen wollte, aber er wurde von einer Säule verdeckt.
„Der Himmel gebe“, sagte Sylvius, „dass, bis Euer Leben schließt, die Liebe lebe.“
„Die Liebe!“, dachte Eva. Die Liebe lebte nicht einmal jetzt. Als sie die Alte Kirche verließen, ging ein Blumenregen auf sie nieder. Coen gab ihr einen schnellen Kuss auf den Mund. Kurz danach stürzte Gerrit auf seine Schwester zu, riss sie an sich, umarmte sie stürmisch und küsste sie. Eva meinte aus den Augenwinkeln zu erkennen, dass Coen die Stirn runzelte, doch dann wurde er von Pieter Hasselaer in Anspruch genommen. „Ich hoffe, du vergisst mich nicht“, flüsterte Gerrit ihr ins Ohr.
Ihr Vater umarmte sie ebenfalls und drückte sie an sich, wie er es lange nicht mehr getan hatte. Schon seit Tagen wirkte er beflügelt. Die Aussicht auf die Hochzeit und damit auf das Ende seiner finanziellen Sorgen hatte eine große Last von ihm genommen. „Du wirst sehen, mein Kind, ihr werdet glücklich“, prophezeite er. „Sehr glücklich sogar.“
Eine lange Reihe von Kutschen fuhr vor, die meisten davon Mietkarossen. Die erste, die für das Brautpaar bestimmt war, wurde von sechs Pferden gezogen. Als sich die gesamte Kolonne in Bewegung gesetzt hatte, steckte Eva den Kopf aus dem Fenster und sah so weit, wie sie die Gracht überblicken konnte, nur die Kutschen der Hochzeitsgesellschaft. Leider dauerte die Fahrt nicht lange: gerade einmal eine Brücke, und dann den Oudezijds Voorburgwal hinunter. Am unteren Ende befand sich der Prinsenhof, wo die Hochzeit gefeiert werden sollte. Als sie vor dem stattlichen Backsteinbau vorfuhren, ergriff Coen ihre Hand. Sie stiegen aus, und er geleitete sie in den Gasthof.
Sie traten durch eine Laube aus Blattwerk. Der Zeremonienmeister begrüßte sie und setzte Eva die Brautkrone aus künstlichen Blumen auf. Der Saal selbst war mit Girlanden geschmückt, an den Wänden hingen Blätter mit Sprüchen und Rätseln. Für das Brautpaar standen zwei thronartige Sessel bereit. Nun kamen nacheinander alle Gratulanten zu ihnen und überreichten Geschenke, vor allem kleine Möbelstücke, Silberbesteck und Küchenzubehör. Gerrit übergab ihnen eine Creme, von der er sagte, dass sie sowohl mit Zucker wie mit Salz bestreut sei, was sie zu einem Symbol für die süßen und bitteren Stunden des Ehelebens mache.
Bei Einbruch der Dämmerung wurden die Kerzen entzündet. Nun begab man sich zu Tisch, und es wurde in schier endlosen Gängen aufgetragen: gegrillte Forelle mit Kapern, Lachs in Wein, gebackener Thunfisch in Zitronensauce, herzhafte Braten und überzuckerte Torten. Später am Abend – Pfarrer Sylvius war gegangen – wurden einige Tische beiseite geräumt, und dann wagten sich viele Gäste auf die Tanzfläche. Gerrit spielte auf seiner Fiedel und erntete endlich einmal keinen Tadel, sondern Lob. Er führte den Bogen so schnell, dass man die Bewegungen zuweilen nicht mit den Augen nachverfolgen konnte.
Coen erwies sich während des ganzen Abends als gewandter Gastgeber. Eva spürte zwar, dass er sich zum Scherzen und Schmeicheln erst überwinden musste, doch wenn er wollte, konnte er auch das. Seine Manieren waren tadellos, nie suchte er nach einem Namen oder machte eine spaßhafte Bemerkung, wo sie nicht angebracht war. Das Einzige, was ihm zum perfekten Gesellschafter fehlte, war Herzlichkeit. Seine Freundlichkeit wirkte eine Spur zu souverän, und selbst wenn er lachte, haftete ihm ein Rest von Reserviertheit an.
Mitternacht war längst vorüber, als Eva ihre Brautkrone in die Menge warf – die Nachbarstochter Aletta erhaschte sie, was der Überlieferung zufolge bedeutete, dass sie als Nächste heiraten würde. Die gesamte Gästeschar folgte dem Brautpaar nun mit Kerzen hinunter auf die Straße, nicht wenige nahmen Töpfe und Pfannen mit und schlugen darauf mit Kochlöffeln ein. Dazu wurden zweideutige Lieder gegrölt. Inmitten dieser Katzenmusik bestiegen Eva und Coen ihre Karosse und rauschten davon. Als der Kutscher links abbog, anstatt den Weg zum Weißen Adler einzuschlagen, glaubte Eva für einen kurzen Moment, er hätte einen Fehler gemacht, doch dann fiel ihr ein, dass ihr Zuhause jetzt ein anderes war.
Die Wohnung lag im Dunklen, doch als sie eintraten, bemerkte Eva, dass durchaus Vorkehrungen getroffen worden waren. Im Kamin brannte ein Feuer, ein Dienstbote war allerdings nicht zu sehen. „Ich möchte Euch etwas zeigen“, sagte Coen und öffnete die Tür zu einem Nebenzimmer. Dort war ebenfalls im Kamin vorgeheizt, zudem wurde der Raum von einem Dutzend Kerzen auf einem großen kupfernen Ständer erhellt. Die zuckenden Flammen beleuchteten ein Inventar, das offenkundig neu war. Das größte Möbelstück war ein Himmelbett mit Baldachin und Vorhängen. An der Wand stand ein massiver schwarzer Ebenholzschrank. Ein Tisch mit einer gewebten Decke, ein Wäscheschrank und zwei Armstühle vervollständigten die kostbare Einrichtung. „Ich habe mir erlaubt, Euer Zimmer schon einmal mit dem notwendigsten Mobiliar zu versehen“, erklärte Coen. „Ich hoffe, Ihr könnt Euch damit fürs Erste anfreunden.“
„Anfreunden? Das ist wunderschön! Und ein Zimmer nur für mich?“
„Ich dachte, die Umgewöhnung fällt Euch leichter, wenn Ihr mich nicht die ganze Zeit um Euch habt. Wir sind unterschiedlich alt, was allein schon dazu führen wird, dass wir in unseren Gewohnheiten und Ansichten nicht völlig übereinstimmen werden. Es ist gewiss nicht von Schaden, wenn Ihr einen eigenen Raum habt, in den Ihr Euch zurückziehen könnt.“
Eva wusste gar nicht, was sie darauf sagen sollte. Es war nicht üblich, getrennte Zimmer beizubehalten, wenn man verheiratet war, aber sie nahm es mit großer Erleichterung auf. Sein Verhalten war ausgesprochen rücksichtsvoll, das konnte man nicht anders sagen. Auch gefiel es ihr, dass er den Altersunterschied offen ansprach. „Ich weiß Eure Großzügigkeit sehr zu schätzen.“
Coen deutete eine Verbeugung an. „Bitte entschuldigt mich einen Moment.“ Er verließ den Raum und kehrte kurz danach mit einer jungen Frau zurück, die er Eva als seine Dienstmagd Johanna vorstellte. Sie sollte ihr beim Auskleiden helfen.
Johanna war ein noch sehr junges und schüchternes Mädchen; sie stellte keinerlei Fragen zur Hochzeit oder zu irgendeinem anderen Thema. Nur einmal schien sie zu staunen. Das war, als sie Eva die Haube abnahm und ihr die roten Haare auf ihre schneeweißen Schultern fielen.
Auf dem Bett lag das Hemd für ihre Hochzeitsnacht bereit. Eva betrachtete es eingehend und befühlte den anschmiegsamen, seidenen Stoff. Sie würde es in dieser Nacht tragen – und dann erst wieder auf ihrem Totenbett. So war es Sitte. Bevor Eva das Hemd anzog, bedankte sie sich bei Johanna und entließ sie. Dann blies sie die Kerzen aus und holte hastig das dünne Stofftuch hervor, das Gerrit ihr aus dem Bordell besorgt hatte. Um es nur ja nicht zu verlieren, hatte sie es in der Innentasche ihres Übergewands aufbewahrt und auf diese Weise während der gesamten Hochzeit unter ihrem Herzen getragen. Das Einsetzen des Tuches hatte sie mehrmals geübt. Es fühlte sich unangenehm an, und sie fragte sich, ob es ihrem Gatten nicht auffallen würde. Vermutlich hing es davon ab, über wie viel Erfahrung er verfügte. Dass sie nicht die Erste war, mit der er die Liebe betreiben würde, stand für sie fest. Es gab immer Frauen, die einem Mann in so hoher Position zu Diensten waren.
Eva legte sich ins Bett und wartete. Ihre Aufregung war größer als ihre Müdigkeit. Im Kamin knisterten die brennenden Holzscheite. Einmal glaubte sie, die Wohnungstür zu hören – war Johanna gegangen? Auf die Straße konnte man sie zu dieser nächtlichen