Die Muskatprinzessin. Christoph Driessen
werdet Ihr Euch vielleicht erinnern, dass auch er seine Leserinnen zu regelmäßigem Beischlaf ermuntert. Aus ärztlicher Sicht kann ich dies nur bestätigen.“
Danach war Eva beruhigt. Was blieb, war das Gefühl, mit zwei verschiedenen Menschen zusammenzuleben: einem für den Tag und einem für die Nacht. Manchmal dachte sie an das Paar von gegenüber, das sie immer von ihrem Fenster im Weißen Adler aus beobachtet hatte, Stephanus und Isabella. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Stephanus die Liebe mit seiner Isabella so betrieb, wie Coen es mit ihr tat. Sie stellte sich ihn zärtlich und rücksichtsvoll vor.
So ging die Zeit dahin, bis Coen eines Tages während des Mittagessens sein Messer zur Seite legte und ihr eröffnete, dass er etwas Wichtiges mit ihr besprechen müsse. Er kam auch gleich zur Sache: „Schaut Eva, ich habe die Möglichkeit, noch einmal als Generalgouverneur nach Ostindien zu gehen. Und zwar unter ganz anderen Bedingungen als beim ersten Mal.“
Eva stockte der Atem.
Coen fuhr fort: „Ich habe die Siebzehn … Ihr wisst, wer die Siebzehn sind?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Die Siebzehn sind die Mitglieder des Vorstands der Vereinigten Ostindischen Compagnie, siebzehn an der Zahl. Ich habe sie endlich davon überzeugen können, dass wir in Asien eine große Kolonie aufbauen müssen, so wie die Spanier das in Westindien – in Südamerika – getan haben. Ihr werdet jetzt vielleicht fragen, wo diese Kolonie sein soll? Nun, ich habe sie bereits gegründet. Es ist die Stadt Batavia auf der Insel Java. Nun geht es darum, sie wachsen zu lassen. Batavia muss der größte europäische Stützpunkt in ganz Asien werden. Eva, es kann in Ostindien etwas Großes verrichtet werden. Und Ihr könnt eine entscheidende Rolle dabei spielen.“
„Ich?“
„Ganz bestimmt. Wisst Ihr, zwar werde ich offiziell auch diesmal wieder den Titel eines Generalgouverneurs führen, aber in Wahrheit werde ich viel mehr sein. Ich werde herrschen wie ein Fürst, wie ein König, und Ihr werdet meine Königin sein. Die strahlende Herrscherin von Java, auf die einen Blick zu erhaschen man sich glücklich schätzen kann. Ihr könnt Euren Teil dazu beitragen, dass wir Niederländer endgültig zur stärksten Handelsnation in Asien aufsteigen.“
„Aber … wenn wir dorthin gehen … dann bedeutet das auch, dass ich Amsterdam verlassen muss. Kommen wir irgendwann zurück?“
Coen beugte sich über den Tisch, sodass er ihr ein Stück näher war. „Glaubt mir, Eva: Wir bauen uns in Batavia ein neues, ein besseres Amsterdam, in dem die erlesensten Früchte wachsen. Es liegt in einer Landschaft, die an den Garten Eden erinnert. Klingt das nicht faszinierend? Ein neues Leben an einer fremden Küste. Ihr werdet nicht mehr zurückkommen wollen.“
„Und Gerrit?“
„Ihr könnt ihn einladen mitzukommen. Wir brauchen dort junge Männer wie ihn.“
Als Eva nicht antwortete, erkundigte er sich: „Darf ich Euch noch etwas von dem Rebhuhn auflegen?“
„Nein, danke. Ich glaube nicht, dass ich noch etwas essen kann. Ihr werdet verstehen, dass diese Nachricht mich erschüttert. Ich soll meine Heimat verlassen und mit Euch ans andere Ende der Welt gehen … Ehrlich gesagt, hat mir schon der Umzug von der einen auf die andere Seite der Kirche zu schaffen gemacht.“
„Ihr werdet mit Eurer Aufgabe wachsen. Ich glaube an Euch. Denkt doch einmal daran, welches Leben Euch hier erwartet: Es ist ein Dasein, das schon jetzt in enge Bahnen gelenkt ist. Das Dasein einer holländischen Hausfrau. Nicht dass ich dies herabwürdigen will: Es ist die der Frau zukommende Aufgabe. Ihr aber seid zu Höherem berufen – zu weit Höherem! In Ostindien habt Ihr die Möglichkeit, Euren Namen in den Annalen der Menschheit festzuschreiben. Für immer. Eva Ment, die erste Fürstin von Batavia! Noch in vierhundert Jahren wird man sich Eurer erinnern. Der Name Ment kann unsterblich werden.“
Eva schaute ihn an. Warum hatte dieser Mann unter allen Frauen nur sie ausgesucht, um mit ihm die Welt zu verändern? Sie, die nichts weiter wollte als ihr kleines, privates Glück in ihrer vertrauten Umgebung?
„Denkt in Ruhe über alles nach“, versuchte er, sie zu beruhigen. „Nur eines noch: Ihr solltet wissen, dass ich die Möglichkeit meiner Rückkehr nach Asien im Gespräch mit Eurem Vater bereits angedeutet hatte. Er gab mir zu bedenken, dass Ihr noch sehr jung wäret, und riet deshalb dazu, lieber noch etwas zu warten. Auf der anderen Seite freute er sich sehr darüber, dass seine Tochter eine so großartige Möglichkeit zur Entfaltung all ihrer gottgegebenen Talente erhalten sollte. Ich weiß sehr wohl, dass Euer Vater für sich selbst größeren Erfolg in diesem Leben erwartet hatte. Gerade deshalb schien er glücklich über die Aussicht, seine Hoffnungen nun in Euch verwirklicht zu sehen. Leider ist er zu früh gestorben, um es noch mitzuerleben.“
Ein dumpfes Gefühl durchzog Evas Magengegend. „Und wann wollt Ihr … ich meine, wann würden wir …?“
„Jetzt, da ich die Unterstützung der Siebzehn habe, ist keine Zeit zu verlieren. Ich kann es noch nicht ganz genau sagen, aber nach Möglichkeit möchte ich noch im Februar aufbrechen.“
„Im Februar?“ Evas Stimme war plötzlich laut geworden. „Das wäre in noch nicht einmal zwei Monaten!“
„Kennt Ihr die Redensart Zu langem Abschied fühlt mein Herz zu tief? Wenn man doch Abschied nehmen muss, soll man es nicht zu lange hinauszögern.“
„Darf ich wenigstens meinen Kater mitnehmen?“
Coen lächelte. „Katzen kann man auf einem Schiff gar nicht genug haben. Sonst riskiert man eine Mäuseplage.“
Dann stand er auf und ging. Eva war wie betäubt. „Ich muss Gerrit sprechen“, dachte sie. Vielleicht fiel ihm noch ein Ausweg ein. Rasch lief sie zur Brauerei von Pieter Hasselaer, fragte sich zu Gerrit durch und bat ihn, sie auf einen kurzen Spaziergang zu begleiten. Als sie draußen standen, brach es sofort aus ihr heraus: „Ich muss mit ihm nach Ostindien!“
Gerrit blieb der Mund offen stehen. „Du musst … was?“
„Er geht als Generalgouverneur nach Ostindien zurück und will, dass ich mitkomme. Im Februar.“
„Das … das … darfst du nicht tun!“
„Und wie soll ich es verhindern? Wir sind verheiratet! Außerdem sagt er, Vater hätte gewollt, dass ich mitgehe.“
„Woher will er das wissen? Hat er mit Vater darüber gesprochen?“
„Offenbar.“
„Ach. Also wussten beide Bescheid, aber verraten haben sie dir nichts. Erst jetzt, da du unter der Haube bist und nicht mehr zurückkannst. Wenn du mich fragst: hundsgemein!“
„Vater soll ihm gesagt haben, vielleicht wäre es besser zu warten, bis ich älter bin.“
„Das hat er ja nun nicht getan. Er hat uns alle hinters Licht geführt, der Coen.“
Mit einem Mal kamen ihr die Tränen: „Gerrit, begreifst du, was das für uns heißt?“
Er starrte auf den Boden. Sie nahm ihn in den Arm.
„Das darf nicht sein“, sagte er leise. „Das darf er nicht tun.“
„Er hat gesagt, du könntest mitkommen.“ Sie ließ zwei Herzschläge verstreichen. Dann schloss sie an: „Aber das sollst du natürlich nicht. Du gehörst hierher. Und es wäre auch viel zu gefährlich.“
Gerrit sagte nichts.
So standen sie mitten auf dem Gehweg, während Männer und Frauen an ihnen vorbeihasteten. Jetzt, genau jetzt war der Moment, an den sie sich vielleicht ihr ganzes restliches Leben auf irgendeiner gottverlassenen Insel zurückerinnern würde. „Ich weiß noch“, würde sie denken, „wie wir da standen, kurz nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich weggehen würde.“
Sie musste sich alles einprägen: das leicht kitzelnde Gefühl seiner weichen Haare in ihrem Gesicht. Seinen Geruch, eine Mischung aus Rasiercreme und Seifenschaum, Kaminrauch und einer Sache, die sie nicht zuordnen konnte, aber an Karamell