Das armenische Tor. Wilfried Eggers

Das armenische Tor - Wilfried Eggers


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hat meist eine Scheißgegenwart und eine noch beschissenere Zukunft. Und Scharade bedeutet übrigens Schattenspiel, was soll das?

      Talaat

      Es macht mich traurig, dass du mich so beschimpfst. Ich versuche, objektiv zu sein. Die Briten haben auch versucht, Beweise für die angeblichen Kriegsverbrechen zu sammeln, damit ein Gerichtsverfahren eröffnet werden konnte. Zu jener Zeit waren die osmanische Hauptstadt Istanbul und andere wichtige Städte von den Entente-Mächten besetzt. Alle Archive des Osmanischen Reichs konnten von den Briten eingesehen werden. Trotzdem haben sie es nicht geschafft, Belastungsmaterial vorzulegen. Schließlich waren die Briten gezwungen, am 31. Oktober 1921 auch die letzten auf Malta festgehaltenen Türken freizulassen. (Ali Söylemezoğlu, türkischer Schriftsteller)

      Anape

      Ist das etwa eine verlässliche Quelle? Ich will mit Genozidleugnern nichts zu tun haben. Der Völkermord an den Armeniern ist eine Tatsache, die sich nicht leugnen lässt. Die Historiker sind sich einig, nur die Türken behaupten, die Armenier hätten selbst zu den Waffen gegriffen, es habe sich um eine Umsiedlungsaktion gehandelt mit ein paar unglücklichen Todesfällen, die Kurden seien leider etwas aggressiv geworden und so weiter und so weiter.

      Talaat

      Ich bitte dich, objektiv und sachlich zu bleiben und mich nicht gleich als Genozidleugner zu ächten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass bei solch einem umstrittenen Thema die Leugnung des Völkermords keine Straftat und kein Verbrechen ist. Ob tatsächlich ein Völkermord begangen wurde, ist unter 190 Staaten weltweit strittig. Das hat das Straßburger Gericht entschieden. Nur 20 Staaten gehen von einem Völkermord aus. Das Straßburger Gericht hat außerdem entschieden, dass man zwischen dem Holocaust an den Juden und der Umsiedlungsaktion der Armenier klar unterscheiden muss. Ein weiterer Umstand, der mich unglücklich macht, ist: Was habt ihr denn vorzuweisen, außer mir Nationalismus, Geschichtsklitterung und Genozidleugnung vorzuwerfen? Ich bin unglücklich darüber, dass du so mit mir umgehst und mich stigmatisierst. Man sollte eine Kommission einsetzen und alle Quellen prüfen und dann erst ein Urteil fällen.

      Anape

      Hast du nicht gelesen, was ich gerade geschrieben habe? Die Historiker sind sich einig!!!! Ich werde dir nicht mehr antworten!!!!! Nur noch eins: Nicht umsonst wollte der Regierungschef der Jungtürken damals die Versicherungsprämien für die ermordeten Armenier abkassieren – nämlich weil sie alle tot waren, umgebracht von deinen Großeltern oder von mir aus Urgroßeltern!!!

      Talaat

      Ich versuche, mit dir ein Gespräch über eine Frage zu führen, die man objektiv beantworten kann. Wir sind verschiedener Meinung, aber das ist kein Grund, mich zu beschimpfen. Wenn du mit mir hier nicht reden willst, habe ich fast Lust, dich einmal zu besuchen, damit wir das persönlich klären können. Ich weiß ja, wo ich dich finden kann.

      »Anape, das sind – Sie?«

      Die Frau nickte.

      »Und wer ist Talaat?«

      »Einer von denen. Sein Nickname.«

      »Sein was?«

      »Nickname. Das ist der Name, den man sich in Foren gibt. Mit dem man seine Posts kennzeichnet.«

      »Posts?«, fragte Schlüter.

      »Ja. Wenn man da was schreibt. Dann ist das ein Post.«

      »Also wenn der Absender etwas schreibt, dann gibt er sich dabei einen falschen Namen?«

      »Ja. Sozusagen.«

      »Warum das denn? Meine Post verschicke ich immer unter meinem richtigen Namen.«

      Die Frau zog hörbar die Luft ein und machte eine ausholende Bewegung mit der Hand. Egal, Schwachsinn, verstand Schlüter. Er war einer von denen, die zwar gelernt hatten, den Computer und das Internet zu nutzen, soweit es erforderlich war, er würde aber nie heimisch werden in der virtuellen Welt. So wie sein Vater nie gelernt hatte, ordentlich Auto zu fahren. Dafür hatte er mit Pferden gut umgehen können, denn er war Gastwirt in Husum gewesen, damals, als die Bierfässer noch vom Kutscher gebracht wurden.

      »Sagen wir Indianername dazu«, entschied Schlüter. »Man gibt sich einen neuen Namen, wenn man eine Heldentat verrichtet hat. Oder eine behauptet. Oder so ähnlich.«

      Die Mandantin verzog keine Miene. Aus ihren braunen Augen leuchtete eine dunkle Wut. »Talaat ist kein Heldenname«, sagte sie gepresst.

      »’tschuldigung.«

      »Und auch kein Indianername. Es ist ein Verbrechername, ein Name wie – Goebbels, Heydrich, Göring. Wenn Ihnen das was sagt.«

      »Das sagt mir was. Muss mir ja was sagen. Aber Talaat sagt mir nichts. Wer ist Talaat?«

      Talaat Pascha, so sein offizieller Name, erklärte die Frau mit monotoner Stimme, als halte sie einen Vortrag, den sie auswendig gelernt hatte, als habe sie diesen Vortrag schon oft gehalten, als sei sie müde, es wieder sagen zu müssen. Talaat Pascha sei der Innenminister des Osmanischen Reichs unter der sogenannten jungtürkischen Regierung gewesen, 1915, im Ersten Weltkrieg. Die Regierung habe damals beschlossen, die osmanischen Armenier auszurotten, und Talaat sei derjenige gewesen, der den Völkermord organisiert habe, dem 1,5 Millionen Armenier zum Opfer gefallen seien. Und er sei der einzige Massenmörder der Weltgeschichte, dessen Heimatland ihm Denkmäler setze, bis heute.

      Davon hatte er gehört. Von den Denkmälern nicht.

      »Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts«, warf Schlüter lehrbuchmäßig ein.

      »Nein«, korrigierte sie ihn. »Der erste war der deutsche Völkermord in Südafrika. An den Herero und Nama.«

      Davon hatte er ebenfalls gehört, wenn auch wenig. Deutsch-Südwest oder so. Windhuk oder Timbuktu oder wie das hieß. Schlüter wurde es ungemütlich. Diese Frau, die ihre Wurzeln offenbar in einem fernen Land hatte, hielt mit ihm deutschen Geschichtsunterricht ab. Musste sie so weit ausholen?

      »Aber was haben Sie mit …?«

      »Ich bin Armenierin! Verstehen Sie? Ich habe etwas dagegen, wenn sie an seinem Todestag in Berlin marschieren und in Istanbul an seinem Mausoleum Fahnen schwenken! Stellen Sie sich vor, es gäbe in Berlin ein Hitler-Mauseoleum und die Leute pilgerten hin zu Tausenden! Der Mann hat schon 1915 erklärt, niemals werde die Türkei zugeben, dass sie die anatolischen Armenier ausgerottet habe!«

      »Aber …«

      »Das hat er dem amerikanischen Botschafter ins Gesicht gesagt. Jedenfalls indirekt. Stellen Sie sich das vor!«

      »Woher …?«

      »Steht in den Memoiren des Botschafters. Henry Morgenthau. Man kann alles nachlesen …« In hastigen Worten referierte Anahid Bedrosian. Am 7. Juni 1915 habe Morgenthau den Innenminister aufgesucht. »Er ist hinbestellt worden, wegen – ach, das spielt keine Rolle, sonst sitzen wir morgen noch hier, wenn ich damit auch noch anfange. Jedenfalls hat Morgenthau ihm gesagt, die Osmanen machten einen fürchterlichen Fehler. Was sie den Armeniern antäten, das werde die Türkei in den Augen der Welt zerstören und das Land werde sich von dieser Schande nie wieder erholen. Und wissen Sie, was Talaat Pascha dazu gesagt hat?« Sie machte eine Kunstpause.

      »Nein. Woher soll ich das wissen?«

      »Talaat hat gesagt, die Osmanen würden niemals bereuen, was sie den Armeniern angetan hätten. Und kein Armenier könne je wieder ein Freund der Türken sein! Das hat er gesagt! Und genau so ist es gekommen, bis auf den heutigen Tag! Die Türken sind damals aus der Zivilisation ausgetreten. Und sie werden erst wieder eintreten, wenn sie endlich zugeben, was sie verbrochen haben!«

      Anahid Bedrosians zornige Augen hielten Schlüter hinter dem Schreibtisch fest.

      »Morgenthau hat die Türken übrigens für primitiv gehalten.«

      Schlüter machte ein fragendes Gesicht. Sollte er protestieren? Man konnte doch kein ganzes Volk als …

      »Und dafür hat er seine


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