Petra und der Reiterhof. Torbjörg Hagström
Mit weit aufgerissenen Augen und gespitzten Ohren galoppierte sie weiter und wartete darauf, daß sich plötzlich etwas Furchtbares ereignen würde.
Ein Stück entfernt vollführte Rex eine so heftige Kopfbewegung, daß Petra hochgerissen wurde. Sie kämpfte verzweifelt, um auf die Füße zu kommen. Da machte Rex plötzlich halt. Er war gereizt, weil er die Last nicht loswerden konnte, die da an seinem Zügel hing. Das gab Petra die Chance, aufzustehen.
Schon wollte der Hengst wieder losstürmen, doch Petra zog kräftig am Zügel, und Rex begann statt dessen im Kreis um sie herumzugaloppieren.
Petra war zugleich erschrocken und wütend. Sie hatte die größte Lust, Agneta anzuschreien, weil sie so leichtsinnig war, doch Agneta befand sich ja außer Hörweite. Petra war auch böse auf sich selbst, weil sie sich nicht im Sattel gehalten hatte, und auf Rex, der einfach nicht stillstehen wollte.
Nun lief das große Pferd in einem engen Kreis um sie herum. Der Abstand war gerade so groß, wie die Zügel es zuließen. Wie sollte sie dieses verrückte Untier nur endlich dazu bringen, stehenzubleiben, damit sie wieder aufsitzen konnte?
Währenddessen näherten sich die übrigen Reiter dem zweiten Graben. Im Gegensatz zu dem ersten war er sowohl tief als auch breit. Troll lief darauf zu, so rasch es ging, um nicht hinter den anderen zurückzubleiben. Polly raste mit gespitzten Ohren und voller Eifer. Sie wäre am liebsten noch rascher galoppiert; sie wartete nur auf das kleinste Zeichen von ihrem Reiter.
Klaus wurde vom Eifer seines Pferdes angesteckt. Warum sollte er, der so gut ritt, sich unbedingt hinter Agneta halten? Solche Regeln galten für Anfänger, aber er schaffte es auch allein! Ein Druck mit den Fersen – und Polly schoß wie ein Silberpfeil dahin! Sie heftete den Blick auf die Fuchsstute und jagte hinterher. Deshalb sah sie den Graben erst ziemlich spät. Fleur, die eine halbe Länge vor dem Schimmel war, setzte bereits in weitem Sprung über den Graben.
Polly folgte der Fuchsstute mit einem langen, gleitenden Sprung. Klaus stieß vor Begeisterung ein Keuchen aus. Doch der Schimmel sprang ein wenig schräg, so daß die beiden Pferde beim Aufsetzen gegeneinanderstießen. Beide schwankten und kämpften sekundenlang um ihr Gleichgewicht. Doch dank ihrer Geschmeidigkeit schafften es beide Tiere, sich wieder aufzurichten und den Fall zu vermeiden.
Nach ihnen war Ballade gesprungen. Beim Landen warf er sich zur Seite, um nicht gegen die beiden Vollblüter zu stoßen. Puppe befand sich gerade im Absprung, doch Ballade war ihr im Weg und landete genau dort, wo auch sie aufsetzen wollte. Die Stute versuchte abzudrehen, doch es war schon zu spät. Genau am Rand des Grabens glitt sie aus und vollführte einen gewaltsamen Purzelbaum in den Graben hinein. Lena flog wie eine Kanonenkugel durch die Luft und landete weich auf der anderen Seite.
Troll und Svala hielten unvermittelt an, als sie Puppe stürzen sahen. Und ehe Astrid wußte, wie ihr geschah, saß sie selbst zwischen dem Sattel und Svalas Mähne. Instinktiv stützte sie sich mit den Händen am Pferdehals ab und glitt rasch wieder in den Sattel zurück.
Doch unten im Graben zappelte Puppe, und Marie schrie wie am Spieß.
Das war zuviel für Svala, die bereits vor Anspannung zitterte. Das Pony machte unvermittelt kehrt und galoppierte am Graben entlang, fort von dem Geschrei. Astrid, die die Zügel losgelassen hatte, als sie aus dem Sattel gehoben wurde, hatte sie noch nicht wieder ergreifen können. Svala aber war an Petras leichten Griff am Zügel in jeder Lage gewöhnt. Daß die Zügel nun lose herabhingen, überzeugte das Pony davon, daß vom Reiter keine Hilfe zu erwarten war. Und das vergrößerte Svalas Schrecken nur noch.
Wo ist Astrid?
Endlich brachte Petra den Hengst dazu, einigermaßen stillzustehen. Doch der Steigbügel hing so hoch, daß sie es zweimal versuchen mußte, ehe sie den Fuß hineinbekam. Dann schwang sie sich hoch.
Gerade in diesem Moment des Aufsitzen hatte sie keine Kontrolle über das Pferd, und das wußte Rex. Petra war noch nicht im Sattel, da machte der Hengst kehrt und trabte in Richtung Graben davon, wo die übrigen Pferde waren. Petra verstärkte ihren Griff und versuchte sich weiter hochzuziehen. Als das große Pferd in Galopp fiel, lag sie quer über dem Sattel. Gerade als sie den rechten Fuß über den Pferderücken gehoben hatte, bekam sie vom Sattel einen scheußlichen Stoß in den Magen, doch sie biß die Zähne zusammen und versuchte es weiter. Endlich konnte sie sich aufsetzen und die Zügel richtig ergreifen. Während sie mit den Füßen nach den Steigbügeln angelte, sah sie sich um.
In weiter Ferne sah sie Agneta, Klaus und das Mädchen mit den Zöpfen auf ihren Pferden sitzen. Am Grabenrand stand Lena. Marie war abgestiegen und hielt ihr Pferd am Zügel. Doch von Astrid und Svala war keine Spur zu sehen!
Lagen sie im Graben? Petra merkte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Ihre Knie wurden weich, während sie Rex zügelte und neben Troll anhielt.
„Wo ist Astrid?“ rief sie und sprang vom Pferd.
„Sie ertrinkt!“ schrie Marie hysterisch.
„Wo? Wo ist sie?“
„Siehst du denn nicht, daß sie nicht mehr hochkommt?“ schluchzte Marie und deutete auf die braune Stute, die im Graben lag.
Obwohl der Graben oben sehr breit war, verschmälerte er sich nach unten zu. Puppe lag im Wasser; ihr Vorderteil war zwischen den Ufern des Grabens festgekeilt. Sie zappelte und spritzte im trüben Lehmwasser, schaffte es jedoch nicht, hochzukommen. Zwar hielt die Stute ihren Kopf noch krampfhaft über Wasser, doch es war klar, daß sie diese Anstrengung nicht mehr lange durchhalten konnte.
„Halte Rex“, sagte Petra kurz und streckte Marie die Zügel entgegen.
„Ich trau mich nicht“, schluchzte das Mädchen entsetzt.
„Freilich traust du dich. Nimm sie jetzt“, befahl Petra ungeduldig und ließ die Zügel los.
Marie griff ängstlich danach, und Petra sprang in den Graben. Sie landete vor dem Kopf der Stute und begann automatisch beruhigend auf Puppe einzureden. Dabei griff sie nach dem Kopf des Pferdes und hielt ihn hoch.
Da Astrid offenbar nicht im Graben gelandet war, hoffte Petra, daß sie bei den anderen war, die den Sprung geschafft hatten und weitergeritten waren. Svala konnte ja von den größeren Pferden verdeckt gewesen sein, als Petra sich vor kurzem umgesehen hatte.
„Lena, wo ist Astrid?“ rief sie zur anderen Seite des Grabens hinüber. „Hat sie den Sprung geschafft?“
„Ich hab’s nicht gesehen, sie war hinter mir. Hast du nicht beobachtet, wohin sie geritten ist?“ fragte Lena mit tränenerstickter Stimme.
„Nein, ich bin selbst abgeworfen worden.“
„Sie … sie ist in den Wald dort drüben galoppiert“, stieß Marie hervor.
„In den Wald?“ wiederholte Petra entsetzt.
Das Gehölz lag nur etwa fünfzig Meter entfernt, und der Boden war dort steinig und uneben. Petra wußte außerdem, daß jenseits des Waldes die Landstraße verlief. Sie mußte Astrid sofort nachreiten!
Doch Puppe, die da zitternd und mit wild aufgerissenen Augen im Graben lag – was sollte sie mit ihr machen? Sie einfach liegen lassen? In diesem Augenblick tauchten zwei Fuchsstuten und ein Schimmel auf der anderen Seite des Grabens auf.
„Svala ist mit Astrid durchgegangen – da, zum Wald hinüber!“ rief Petra. „Einer muß ihr nachreiten und sie suchen. Schnell, ehe ein Unglück geschieht!“
„Gut“, erwiderte Klaus knapp und ließ Polly wenden, um auf den Graben loszureiten.
„Nein, versuch nicht, zurückzuspringen!“ rief Petra erschrocken. „Polly ist doch noch nicht eingesprungen! Nimm statt dessen Rex. Marie schafft es sowieso kaum, ihn und Troll zu halten!“
Klaus machte ein zweifelndes Gesicht, doch gerade in diesem Moment vollführte Rex einen Satz, und Marie ließ die Zügel los. Der Hengst machte ein paar Sprünge, blieb dann jedoch wieder stehen. Das entschied