Petra und der Reiterhof. Torbjörg Hagström
„Sie steht ein paar Schritte rechts von dir. Svala hat angehalten, als du heruntergefallen bist. Du kannst sie also selbst wieder am Zügel nehmen.“
Astrid machte zwei unsichere Schritte, dann noch einen und streckte langsam die Hand aus. Dann berührte sie einen warmen Pferdekopf und den Rand des Woilachs. Svala drehte sich zu ihr um, und Astrid fühlte das Maul des Ponys an ihrem Arm. Sie tastete weiter und fand die Zügel, und zuletzt hatte sie auch den Steigbügel gefunden. Doch ihre Beine zitterten so, daß sie nur mit Mühe wieder in den Sattel kam.
Aber die Sache ist es wert! dachte sie plötzlich. Das Reiten ist so schön, daß man sogar ab und zu einen Sturz in Kauf nehmen kann!
„Na, dann machen wir gleich weiter“, sagte Petra ruhig. „Jeder fällt mal vom Pferd, auch ich.“
„Wirklich?“ fragte Lena.
„Na ja, nicht sehr oft. Es ist lange her, seit ich zum letztenmal heruntergefallen bin. Laß Svala jetzt wieder traben, Astrid.“
„Meinst du, daß sie das noch mal macht?“ erkundigte sich Astrid ängstlich.
Sie hatte sich zwar mit dem Gedanken vertraut gemacht, ab und zu einen Sturz zu riskieren, doch öfter als unbedingt notwendig sollte es nicht passieren.
„Treib Svala besser an – mit beiden Schenkeln“, riet ihr Petra. „Und wenn sie wirklich noch einmal ausbricht, mußt du ja nicht unbedingt gleich wieder herunterfallen.“
Doch Svala tat es nicht wieder. Es war, als hätte das Pony plötzlich verstanden, daß Astrid sich nicht wie Petra auf heftige Wendungen einstellen konnte. Nach diesem Vorfall bewegte sich Svala immer sehr vorsichtig, wenn Astrid im Sattel saß.
Am folgenden Abend bekam Petra einen Anruf von Karin.
„Es geht um die morgige Reitstunde“, sagte sie. „Rex lahmt etwas, so daß wir nur vier Pferde zur Verfügung haben. Könntest du diesmal auf Svala reiten? Du brauchst dann natürlich nichts für die Stunde zu bezahlen.“
„Ja, klar kann ich das. Was ist denn mit Rex passiert?“
„Ich glaube, er hat sich überanstrengt. Er braucht wohl mindestens eine Woche Stallruhe.“
„Oh, das tut mir leid!“
Petra ritt also in der nächsten Reitstunde ihr eigenes Pferd. Und Klaus bekam Polly, die sich bereits recht gut an das Reitschulleben gewöhnt hatte. Karin lieh Klaus ihre Reitkappe.
„Heute dürft ihr springen“, sagte sie.
Bei Polly wurden anfangs nur ein paar niedrige Bocksprünge daraus, da sie nie zuvor gesprungen war. Mit der Zeit wurde sie jedoch richtig eifrig und sprang höher als notwendig. Svala zeigte vor allem bei den weniger hohen Hindernissen ihr Geschick.
Nach der Stunde ritt Petra langsam durch den Wald nach Hause und träumte vom Springturnier bei der Einweihungsfeier.
„Svala, du bist wirklich große Klasse!“ sagte sie sanft und streichelte den Hals ihres Ponys. „Für mich bist du das beste Pferd der Welt. Und du springst geschmeidiger als alle anderen Pferde in der Reitschule. Sei nur so brav wie immer, wenn Astrid heute auf dir reitet!“
Am Spätnachmittag kam das blinde Mädchen zum Unterricht. Petra befestigte einen langen Halfterriemen an der Trense.
„Heute gehen wir von der Reitbahn weg und üben Klettern“, sagte sie. „Ich werde das Halfter halten, damit Svala nicht ausreißen kann.“
Astrid nickte nur und hoffte, daß Petra es wirklich richtig festhielt, doch sie sagte nichts.
Astrid ritt ziemlich langsam. Petra führte ihr Pony über mehrere Hügel in der Umgebung des Hofes, so daß sie fast ständig aufwärts und abwärts gehen mußten. Anfangs fand Astrid es unheimlich, wenn sich der Sattel plötzlich senkte, doch sie gewöhnte sich bald daran. Sie entdeckte auch, daß es besonders schön war, im Wald zu reiten. Dort war es kühler als auf der Reitbahn, und man hörte so viele Vögel singen und zwitschern.
„Hallo Petra! Ich habe gehört, daß du eine Reitschülerin hast“, sagte Karin. Es war ein paar Tage später, in der Reitschule. „Wie steht’s mit ihr?“
„Ach, darüber wollte ich gerade mit Ihnen sprechen. Ich glaube, Astrid ist bald soweit, daß sie einen Geländeritt unternehmen kann. Svala ist für einen Anfänger ein großartiges Pony, aber Astrid kann ja nicht allein ausreiten. Sie muß ein Pferd vor sich haben, dem Svala folgen kann. Deshalb wollte ich Sie fragen, ob sie vielleicht bei einer Gruppe der Reitschule mitmachen könnte.“
„Ja, das müßte schon gehen“, meinte Karin. „Du kannst ja selbst auch mitkommen und Astrid im Auge behalten. Laß mal überlegen. Lena und ihre Freundin Marie dürfen nächste Woche zum erstenmal ausreiten. Es würde gut passen, wenn Astrid auch mitmacht.“
Astrid war sehr überrascht, als Petra ihr sagte, daß sie an einem Geländeritt teilnehmen durfte. Sie schwankte zwischen Freude und Aufregung und fand es schön, daß sie gleichzeitig mit Lena ihren ersten Ausritt unternehmen sollte. Da hatte sie ihre Schwester ja beinahe eingeholt! Doch würde sie es im Wald schaffen, Svala unter Kontrolle zu halten, wenn Petra nicht nebenherging und das Pony am Zügel führte?
„Es klappt bestimmt, du wirst schon sehen“, versicherte Petra, ohne zu ahnen, was sie und Astrid erwartete.
Petra ritt den üblichen Abkürzungsweg durch den Wald zur Reitschule. Svala tänzelte vor Munterkeit und Lebensfreude hin und her und scheute spielerisch vor einem Busch.
Das würde sie mit Astrid im Sattel nicht machen, dachte Petra. Sie hatte bereits gemerkt, daß Svala einen Unterschied zwischen beiden Reiterinnen machte, und war sehr stolz auf die Klugheit ihres Ponys.
Trotzdem war es wohl am besten, wenn Svala sich ein wenig austobte, ehe Astrid sie ritt. Petra trieb das Pony auf dem weichen Waldpfad zum Galopp an, und Svala streckte sich willig und schoß wie ein Pfeil vorwärts. Pferd und Reiterin genossen den stürmischen Galopp mit ganzem Herzen.
Auf dem steinigen Hügel, der zur Reitschule hin abfiel, zügelte Petra ihr Pony. Die Reitbahn war leer, und das rote Stallgebäude lag in der strahlenden Morgensonne. Dort näherte sich Johansons Wagen. Astrid, Lena und Marie stiegen aus. Langsam ritt Petra den Abhang hinunter.
Diesmal sollte Agneta den Ausritt leiten, da Karin ihren freien Tag hatte. Petra brachte Svala in eine leere Box und ging zum Stallbüro, wo Agneta die Pferde verteilte.
„Lena, du nimmst Puppe, und Marie bekommt Troll. Willst du Ballade oder Polly haben, Klaus?“
„Polly, bitte.“
„Dann nimmt das Mädchen mit den Zöpfen Ballade, und Petra reitet Rex.“
„Er lahmt also nicht mehr?“
„Nein, aber er hat jetzt neun Tage im Stall gestanden. Ich vermute also, daß er ziemlich ungebärdig sein wird.“
Es war vorauszusehen, daß Rex das schwierigste Pferd auf diesem Geländeritt sein würde, da er so lange keine Bewegung gehabt hatte und so groß und stark war. Doch Petra nahm es nicht als Kompliment, daß gerade sie ihn reiten sollte. Sie hatte Agnetas schlecht verborgene Freude darüber, sie aufs Glatteis zu führen, sehr wohl bemerkt. Klaus interessierte sich offenbar nicht länger für Agneta und Charlotte, und die Zwillinge schienen Petra die Schuld daran zu geben.
Doch Petra ließ sich nicht anmerken, was sie dachte. Statt dessen beschloß sie, beim Ritt mit Rex wirklich ihr Bestes zu geben. Wenn Klaus sich nicht mehr um die Zwillinge kümmerte, hatte das bestimmt nichts mit ihr zu tun, und sie gönnte Agneta nicht das Vergnügen, sie vom Pferd fallen zu sehen.
„Ihr könnt die Pferde gleich satteln“, sagte Agneta in ihre Gedanken hinein.
Alle verließen das Büro, doch als Petra aus der Tür gehen wollte, wurde sie von Agneta zurückgehalten.
„Hör mal, Petra, soll Lenas Schwester