H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2. S. T. Joshi
die zu schrecklich sind, als dass das Grab sie bergen könnte. Hier hielt Satan Hof wie in Babylon, und im Blut fleckenloser Kindheit wurden die aussätzigen Glieder Liliths gebadet.« Was der Atheist Lovecraft unter »allumfassender Sünde« verstanden haben mag und warum er »Satan« aus dem Hut zaubert, wäre eine interessante Frage. Im Grunde geht es in dieser Passage, wie in der gesamten Erzählung, um die Furcht, von jenen Fremden überwältigt und »bastardisiert« zu werden, denen es auf wundersame Weise gelingt, all die standfesten, hochentwickelten Angelsachsen, die diese große weiße Nation begründet haben, mehr und mehr zu verdrängen. Lovecraft kann nicht anders, als die Erzählung missgelaunt und sentenziös – »die Seele des Tieres ist allgegenwärtig und siegreich« – und mit der durchsichtigen Andeutung zu beenden, dass das Grauen, das von der finalen Polizeirazzia scheinbar ausgelöscht wurde, zu einem späteren Zeitpunkt erneut sein Haupt erheben wird. In der Schlussszene wird Malone Zeuge, wie eine »dunkle, schielende Hexe« einem kleinen Kind jene Beschwörungsformel beibringt, auf die er bereits zuvor in den Riten der Red-Hook-Bewohner gestoßen ist. Dieser klischeehafte Schluss scheint durchaus passend für eine Erzählung, die praktisch nur aus Klischees besteht – sowohl was ihren offenen Rassismus als auch was ihre Verwendung unheimlich-phantastischer Motive angeht.
Wie einfallslos und schablonenhaft die Erzählung ist, zeigt sich exemplarisch darin, dass Lovecraft einen großen Teil der magischen Versatzstücke pauschal aus den beiden Artikeln »Magic« und »Demonology« der neunten Auflage der Encyclopedia Britannica übernahm, die er besaß. Ihr Verfasser war der berühmte Anthropologe E. B. Tylor, dessen Werk Primitive Culture (1871) ein Meilenstein in der Entwicklung der akademischen Ethnologie ist. Lovecraft machte aus den Übernahmen keinen Hehl. An Clark Ashton Smith schrieb er: »Ich würde gern weniger offensichtliche Quellen benutzen, wenn ich nur wüsste, welche ich anzapfen könnte.«64 Diese Bemerkung ist auch insofern interessant, als sie die immer wieder von okkultistischer Seite vorgebrachte Behauptung widerlegt, dass Lovecraft über ein umfangreiches esoterisches Wissen verfügte. Die meisten okkultistisch-magischen Anspielungen, die sich in seinen späteren Geschichten finden, sind Lewis Spences Encyclopaedia of Occultism (1920) entnommen, die sich in Lovecrafts Besitz befand.
Zu den direkten Übernahmen aus dem Artikel »Demonology« zählt das lateinische Zitat des frühneuzeitlichen Autors Martin Anton Delrio An sint unquam daemones incubi et succubae, et an ex tali congressu proles nasci queat? (»Hat es jemals Dämonen, Incubi und Succubi gegeben, und können aus einer solchen Verbindung Nachkommen hervorgehen?«) Aus dem Artikel »Magic« entnahm Lovecraft die Beschwörungsformel, die am Anfang und am Schluss der Erzählung vorkommt (»O, Freundin und Gefährtin der Nacht …«), und den griechisch-hebräische Zauberspruch, den Malone auf der Wand der in ein Tanzlokal umgewandelten Kirche findet. In einem späteren Brief versuchte Lovecraft sich an einer Übersetzung der Formel, wobei er einige peinliche Wissenslücken offenbarte – so schrieb er über den Begriff homousion, dass es sich »möglicherweise um einen dekadente Variante oder ein Kompositum handelt, in dem das griechische homou – gemeinsam enthalten ist«.65
Die Figur des irischen Polizisten Malone ist eine kurze Betrachtung wert. Sie ist wohl weniger als Selbstportrait Lovecrafts zu sehen, sondern vielmehr als eine – wenn auch oberflächliche – Hommage an seine beiden literarischen Lehrmeister Machen und Dunsany. Malones irische Herkunft, aber auch die Bemerkung, dass er »in einer Georgianischen Villa in der Nähe des Phoenix Park« geboren wurde, verbinden ihn mit Dunsany, der ebenfalls nicht in Irland, sondern in der Nähe des Regent’s Park in London zur Welt kam. Malones Mystizismus lässt sich hingegen als eine Verbeugung vor Arthur Machen lesen. Vielleicht schwebte Lovecraft vor, in »The Horror at Red Hook« New York mit einer ähnlichen Atmosphäre unheiliger Hexerei zu versehen, wie Machen es in The Three Impostors und anderen Texten mit London getan hatte.
Die Gestalt des Polizeidetektivs Malone ist nicht zuletzt im Hinblick auf die Entstehung und die spezifische Form der Erzählung interessant. Einige Zeit bevor er »The Horror at Red Hook« schrieb, hatte Lovecraft »The Shunned House« an DETECTIVE TALES geschickt, die Zeitschrift, die zeitgleich mit WEIRD TALES gegründet worden war und die noch immer von Edwin Baird herausgegeben wurde. Obwohl in DETECTIVE TALES ab und zu unheimlich-phantastische Geschichten abgedruckt wurden, hatte Baird die Erzählung abgelehnt.66 Ende Juli sprach Lovecraft davon, »einen Roman oder Kurzroman über die Schrecken von Salem zu schreiben, dem ich einen hinreichend ›detektivischen‹ Anstrich geben kann, um ihn an Edwin Baird für DETECTIVE TALES zu verkaufen«.67 Der Roman scheint jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht über das Ideenstadium hinausgekommen zu sein. All dies deutet jedenfalls darauf hin, dass Lovecraft versuchte, wie ungeschickt auch immer, sich neben WEIRD TALES weitere Publikationsmöglichkeiten zu erschließen, und sich dafür an den Mann wandte, der als Herausgeber von WEIRD TALES alle seine Erzählungen angenommen hatte. Anfang August erwähnt Lovecraft, dass er vorhat, »The Horror at Red Hook« an DETECTIVE TALES zu schicken. Falls er es tatsächlich getan hat, dann wurde die Geschichte allerdings abgelehnt.68 Später behauptete Lovecraft, dass er die Erzählung explizit für WEIRD TALES geschrieben habe,69 wo sie auch im Januar 1927 erschien. Malone ist jedoch zweifellos die orthodoxeste Detektivgestalt in Lovecrafts gesamtem Werk, und es scheint durchaus wahrscheinlich, dass er an DETECTIVE TALES dachte, als er sie konzipierte.
Ansonsten ist in »The Horror at Red Hook« vor allem ein gewisses Lokalkolorit bemerkenswert, das von Lovecrafts wachsender Vertrautheit mit Brooklyn zeugt. Das Vorbild der in ein Tanzlokal umgewandelten Kirche war sehr wahrscheinlich eine heute abgerissene Kirche in der Nähe der Kais von Red Hook, die tatsächlich eine Zeit lang diese Funktion gehabt hatte.70 Suydam wohnt in der Martense Street – und damit gleich um die Ecke von Sonias und Lovecrafts Wohnung in der Parkside Avenue 259 – in der Nähe der Dutch Reformed Church mit ihrem »von Eisengittern umschlossenen Kirchhof mit niederländischen Grabsteinen«, der Lovecraft bereits zu »The Hound« inspiriert hatte. Allerdings konnte ich in der Martense Street heute kein Haus mehr ausmachen, das mit der Beschreibung, die Lovecraft in »The Horror at Red Hook« gibt, übereinstimmt. Ein weiterer Verweis, der allerdings nichts mit Brooklyn zu tun hat, ist die Erwähnung der Yeziden, wenn Malone darüber spekuliert, dass die unguten Bewohner von Red Hook mongolische Züge haben und »irgendwo aus der Nähe von Kurdistan stammen«, wobei er nicht umhin kommt sich zu erinnern, dass Kurdistan das Land der Yeziden ist, »der letzten Überlebenden der persischen Teufelsanbeter«. Für dieses Detail bediente sich Lovecraft meiner Überzeugung nach bei E. Hoffmann Price, in dessen schöner Kurzgeschichte »The Stranger from Kurdistan«, die im Juli 1925 in WEIRD TALES veröffentlicht wurde, von der – angeblichen – Teufelsanbetung der Yeziden die Rede ist. Persönlich sollten Lovecraft und Price erst sieben Jahre später Bekanntschaft schließen.
Der kaum verhohlene Rassismus, der in »The Horror at Red Hook« immer wieder durchbricht, bietet einen guten Anlass, sich mit der Entwicklung – wenn von einer Entwicklung überhaupt die Rede sein kann – von Lovecrafts Haltung zu Rassenfragen auseinanderzusetzen. Es steht außer Frage, dass sein Rassismus – zumindest auf dem Papier – während seiner New Yorker Jahre virulenter war als zu jeder anderen Zeit seines Lebens. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass das scheinbare Paradoxon, dass der Antisemit Lovecraft eine Jüdin heiratete, sich auflöst, wenn man berücksichtigt, dass Sonia – wie auch andere Juden, zum Beispiel Samuel Loveman – aus seiner Sicht die Forderung, sich der weißen protestantischen Bevölkerung der USA zu assimilieren, vollständig erfüllt hatte. Nichtsdestotrotz äußert sich Sonia mehrfach zu Lovecrafts Haltung gegenüber Juden und »Fremden« im Allgemeinen. In ihren Erinnerungen schreibt sie: »Obwohl Howard einmal gesagt hatte, dass er New York liebe und dass es von nun an sein ›adoptierter Bundesstaat‹ sei, musste ich bald erfahren, dass er die Stadt und ihre ›fremdländischen Horden‹ hasste. Als ich ihm entgegenhielt, dass auch ich eine dieser Fremden war, erwiderte er, dass ich nicht länger zu diesen Bastarden gehörte: ›Du bist jetzt Mrs. H. P. Lovecraft aus der Angell Street 598, in Providence, Rhode Island‹.«71 Gehen wir darüber hinweg, dass Lovecraft und Sonia niemals gemeinsam in der Angell Street 598 gewohnt haben. Eine spätere Bemerkung Sonias ist vielleicht noch aufschlussreicher: »Kurz nachdem wir geheiratet hatten, bemerkte er mir gegenüber, er würde es bevorzugen, dass, wenn wir Gäste zu uns einlüden oder in Gesellschaft wären, die ›Arier‹ in der Überzahl wären.«72