Seewölfe Paket 27. Roy Palmer

Seewölfe Paket 27 - Roy Palmer


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den Seewölfen zuerst auffiel, waren Überreste von steinernen Bassins, die noch einwandfrei zu erkennen waren. Vor der Insel ragten aus dem Wasser schräg zwei eigenartig geformte Steine. Sie erinnerten entfernt an grobe menschliche Gestalten.

      Zu aller Erstaunen erhob sich die Prinzessin anmutig von der Ducht, blickte zu den Steinen und verneigte sich ehrfurchtsvoll mit über der Brust gefalteten Händen. Das tat sie dreimal hintereinander, ehe sie wieder Platz nahm.

      „Es sind zwei Frauen“, erklärte sie. „Oder anders gesagt, diese Steine waren vor langer, langer Zeit einmal zwei lebendige Frauen, wie die Sage erzählt. Der mächtige Gott Lepengo verwandelte sie in seinem Zorn in zwei Steine, weil sie vergaßen, ihm das fällige Speiseopfer zu bringen. Man nennt sie Tikitik-en-ani, es sind die beseelten Bilder hier anwesender Geister. Man muß ihnen stets mit Ehrfurcht begegnen, um vom Gott Lepengo nicht gestraft zu werden.“

      Hasard war heilfroh, daß Old O’Flynn nicht dabei war, sondern verdrossen an Bord hockte. Er hatte die ganze Zeit von Geistern gefaselt. Das hier hätte seine üppig wuchernde Phantasie noch mehr angeregt. Er hätte sie noch wochenlang damit genervt.

      Aber zum Glück hatte der alte Bursche nicht mitgewollt, weil es ihn insgeheim vor dieser Insel grauste.

      „Da gibt es auch wieder Überreste von Wasserbecken für Trinkwasser“, sagte Hasard, auf die lückenhaften Basaltränder deutend.

      Er mußte sich eines Besseren belehren lassen.

      „In diesen Becken wurden einst Schildkröten von den Priestern für religiöse Feiern und Rituale gezüchtet. Auch der Bezirk ist heilig.“

      Die üppig wuchernde Vegetation deckte auch hier mit Farnen, Büschen und einem Blütenmeer langsam aber sicher alles zu.

      Hin und wieder, so berichtete die Prinzessin, wurden besondere Leute ausgewählt, die tagelang auf Nan Madol dafür sorgten, daß der Dschungel nicht alles überwucherte. Aber in manchen Bezirken durften sie sich nicht aufhalten, und so blieb die Natur immer wieder Sieger.

      Der Dschungel sog die tote Stadt immer mehr in sich auf. Wie in einem Rausch umschlang er kleine Paläste, Tempel, Häuser und Wasserbecken. Ein Teil von Nan Madol befand sich bereits unter Wasser und war nur noch hin und wieder zu sehen. Die steinernen Schleusentore, die das Kanalsystem regulierten, waren die ersten Opfer gewesen. Mit ihrer Hilfe konnten die Saudeleurs das Straßennetz nach Belieben öffnen oder sperren und waren von Ebbe und Flut unabhängig.

      Hasard warf einen langen Blick zurück auf der „Straße der Krokodile“ und bewunderte die genialen Baumeister, die Nan Madol zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut hatten.

      Die Boote verließen früher die Stadt in südwestlicher Richtung durch eine enge Passage im Kanalsystem. Sie war nicht so stark ausgebaut und gesichert wie Nan Dowas im Osten, wo hohe Wälle aus Basaltblöcken die Lagune zu dieser Seite hin schützten. Der Wall bildete auch gleichzeitig den Rand der Insel Pahnwi, wo sie vorbeigekommen waren.

      Er drehte sich langsam um und blickte nachdenklich voraus.

      „Hinter Nan Dowas gibt es noch einen kleinen Hafen“, sagte Raia, die seinen Blicken gefolgt war. „Er ist von riesigen Stein- und Korallenbrocken sorgsam abgeschirmt. Dort schwächt sich die Brandung ab, die beim Außenriff auf die erste Barriere stößt. Am Rand der Insel Pahnwi gibt es auch noch weitere Grabkammern der Saudeleurs und der Nahnmwarki. Aber das Land ist tabu und wird gemieden.“

      „Wegen der Grabkammern?“

      Sie nickte nachdrücklich.

      „Sie lebten hier offenbar mit allem nur erdenklichen Komfort“, meinte Hasard. „Die Leute hatten einen ungewöhnlich hohen Lebensstandard. Es ist bedauerlich, daß es sie nicht mehr gibt.“

      „Es gibt sie nur noch als Sagen und Legenden, aber sie werden in unserer Erinnerung ewig weiterleben.“

      Auf dem Grund waren überall sorgsam behauene Basaltsäulen zu sehen. Das verwunderte hauptsächlich den Kutscher, der sich darüber Gedanken machte. Die Basaltsäulen hatten fünf- oder sechskantige Profile und waren unglaublich glatt geschliffen.

      Als er die Prinzessin danach fragte, erhielt er eine erstaunliche Antwort.

      „Man hat sie nicht bearbeitet. Die Kräfte der Natur haben die Säulen wie Balken zugeschnitten und gebündelt. Die Arbeiter mußten sie nur noch herauslösen. Auf Ponape gibt es diese Säulen auch heute noch in riesigen Bündeln.“

      „Und womit wurden sie weiter bearbeitet?“

      „Man benutzte dazu die harten Schalen der Tridacna-Muschel, das ist eine sehr riesige Muschel, mit deren Schalen die Rohlinge geglättet wurden. Nach der Bearbeitung rollte man die Blöcke auf einer schrägen Ebene aus glattgeschälten und eingeölten Baumstämmen ans Meer.“

      „Wirklich erstaunlich“, murmelte der Kutscher. „Vor allem muß doch der Transport übers Meer Schwierigkeiten bereitet haben.“

      „Es wurde alles von Ponape herübergeschafft“, sagte sie. „Mein Vater hat es mir erzählt, und der hatte es wieder von seinem Vater und so fort. Die Steine wurden auf Bambusflößen zur Ostküste von Nan Madol gebracht. Das ging nur bei ruhigem Wetter, trotzdem sind immer wieder Flöße gekentert, und ihre Last ist ins Meer gerutscht. Dort liegen die Säulen noch heute.“

      Raia blickte ins Wasser, wo auf dem Grund ganz deutlich Langusten und Seegurken zu sehen waren.

      „Hier könnte man herrlich baden“, schwärmte Don Juan. „Das Wasser ist unglaublich klar und rein. Aber da sind die Salzwasserechsen, und vor denen habe ich großen Respekt.“

      Die Prinzessin sah ihn fast entsetzt an.

      „Baden?“ fragte sie mit großen erstaunten Augen. „Hier darf man nicht baden, nicht bei Nan Madol. Die heiligen Wächter streifen pausenlos um die Inseln.“

      „Wer sind die heiligen Wächter?“

      „Seeschlangen, graugelbe Schlangen, die größer sind als ein Mann. Sie sind so giftig, daß das Opfer nach dem Biß schon stirbt, noch bevor es einmal tief Luft geholt hat. Es gibt kein Mittel gegen diese tödlichen Schlangenbisse.“

      „Das sind die Schattenseiten des Paradieses“, meinte Hasard.

      Er sah, daß die Ebbe einsetzte, und beugte sich über das Dollbord, um einen letzten Blick der Unterwasserwelt zu erhaschen.

      Der Meeresgrund gab erstaunlich viel her. Fasziniert betrachteten sie die Wunder der Unterwasserwelt.

      Unter ihnen befanden sich große Grasmatten, dazwischen ragten Reste von Basaltsäulen hervor. Pilzkorallen standen da wie kleine Wälder. Sie wechselten ab mit einer Kolonie dunkler Blattkorallen. Polypen leuchteten grellgelb wie Hunderte von Blumenblüten, Algen mit verkalkten Knospen blitzten wie Feuerwerk auf. Seeigel, Langusten, Schnecken und farbige Seesterne tummelten sich zwischen der Pracht, die kein Ende nahm.

      Da ragten farbige Fangarme aus den Korallen, und farbenprächtige Fische patrouillierten in den Wundergärten der Natur. Auch ein kleiner Hai durchstreifte das Revier der Korallen.

      Dann war da plötzlich ein fast zwei Yards langer graugelber Schatten, der sich zuckend durchs Wasser wand. Er verschwand mit seitlichen Wellenbewegungen in einer riesigen Koralle.

      „Das ist einer der Wächter“, erklärte Raia. „Sie sind überall, und sie sind auch sehr angriffslustig. Sie bewachen die Unterwasserfriedhöfe der Könige von Nan Madol. Man hat sie allerdings nie gefunden, aber die Sage berichtet davon, daß es unter der Wasseroberfläche Friedhöfe gibt.“

      Immer mehr Erstaunliches vernahmen sie über diese geheimnisvolle Inselstadt, und sie hörten schweigend zu, wenn die Prinzessin von den alten Sagen und Legenden berichtete.

      „Sobald wir an Bord sind, gehen wir in See und segeln nach Ponape hinüber“, sagte Hasard. „Der Häuptling wird sich um seine Tochter sorgen, daher wollen wir keine Zeit verlieren.“

      „Er wird sich freuen, wenn ich wieder zurück bin“, sagte Raia. „Er ist immer sehr


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