Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
besser als Trübsinn und maulende Kerle. Und der Profos würde wieder ein Weilchen auf Samtpfötchen wandern, allerdings aber auch die Lehre beherzigen, und seinem Sir Jöhnchen milde Flötentöne lehren. Was da wohl herauskommen mochte!
„Señores!“ rief Hasard. „Es bleibt also dabei! Wir sind spanische Handelsfahrer, Heimathafen Sevilla, erstmals in diesen Gewässern unterwegs, um im Auftrag eines Konsortiums von Kaufleuten aus Sevilla Gewürze einzukaufen. Bei einem möglichen Landgang bitte ich mir äußerste Zurückhaltung aus – keinen Streit, Señor Carberry! Und wenn man dir hundertmal auf die Zehen tritt, verstanden?“
„Verstanden, Señor Capitán“, versicherte der Profos. „Ich erhöhe freiwillig auf hundertzwanzigmal, aber dann kriegt der Zehentreter eine geschmiert, weil ich ein Spanier bin, der sich nicht alles gefallen lassen darf und für seine Ehre einstehen muß.“
„Vielleicht lasse ich dich besser an Bord“, sagte Hasard.
„Dann paßt keiner auf diese Bande auf, Señor Capitán“, erklärte der Profos, und – wie gehabt – hatte er den frommen Blick drauf.
„Wir werden sehen“, erwiderte Hasard etwas orakelhaft.
Es kam alles ganz anders.
Am Nachmittag törnte die „Santa Barbara“ bei leichtem Wind aus Westen auf den kleinen spanischen Stützpunkt Davao an der oberen Westseite des Golfes zu. Nur bei starken Winden oder Sturm aus Süden bis Südost würde der Golf zu einer Falle werden, wenn sich dort eine ruppige See aufbaute und ein Segler Gefahr lief, auf Legerwall zu geraten – so er sich nicht freikreuzen konnte.
Dan O’Flynns Navigation war trotz des mißweisenden Kompasses exakt gewesen. Zufall, sagte er selbst bescheiden, freute sich aber dennoch, als sie nach dem Passieren des Kaps dann beim weiteren Hineinsegeln in den Golf oben im Norden die beiden Inseln entdeckten, eine größere und westlich von ihr eine kleine – Samal Island und Talikud Island. Diese beiden Inseln lagen nach der Darstellung auf der Karte dicht vor Davao und schirmten den Hafen zusätzlich ab.
Der Golf war keineswegs unbelebt. Da waren Auslegerboote, besetzt mit halbnackten braunen Gestalten, die mit Netzen – zum Teil auch mit Speeren – fischten. Doch als sie die fremde Galeone entdeckten, flüchteten sie zur Küste, wo die Mannen Pfahlbauhütten am Ufer erspähten.
Hasard runzelte die Stirn. „Kein gutes Zeichen. Sie scheinen mit Menschen unserer Hautfarbe schlechte Erfahrungen gesammelt zu haben.“
Don Juan de Alcazar, neben Hasard am Schanzkleid stehend, nickte und sagte etwas verbissen: „Vermutlich mit meinen Landsleuten, was ja nichts Neues wäre.“
Hasard streifte das Gesicht des Mannes, der ihm längst zum Freund geworden war, mit einem Seitenblick und schüttelte den Kopf.
Er sagte: „Genausogut können sie an Portugiesen geraten sein. Oder an Engländer – mir ist bekannt, daß Drake bei seiner Weltumsegelung Mindanao berührt hat. Schließlich sind hier auch bereits die Holländer aufgekreuzt, und das nicht gerade zurückhaltend.“
„Du nimmst die Spanier in Schutz?“ fragte Don Juan erstaunt.
„Ich bin doch jetzt selbst Spanier.“
Don Juan lachte schallend.
Hasard blieb völlig ernst und sagte mit Würde: „Señor, Sie scheinen vergessen zu haben, daß ich der Sohn einer spanischen Edeldame bin, nicht wahr?“
„Oh, Entschuldigung! Das hatte ich wirklich vergessen, Señor de Villacorta.“ Don Juan verbeugte sich, lächelte und fragte: „Sag mal, als was fühlst du dich eigentlich – als Engländer, Deutscher oder Spanier?“
„Als weder noch, mein Freund“, erwiderte Hasard, „und das ist gut so, weil es mir Distanz verschafft, eine Art Neutralität, verstehst du? Da gibt es das französische Wort Chauvinismus, aber es gilt für die meisten europäischen Länder. Es meint Intoleranz, Unduldsamkeit, Fanatismus gegenüber anderen Ländern und seinen Bewohnern, wobei man selbst natürlich mit seinem Land in erhabener Größe weit darübersteht. Man selbst ist gut, die anderen sind schlecht, und weil die anderen schlecht sind, bekriegt und bekämpft man sie, unterdrückt sie, rottet sie aus. Kriege erklärt man sogar für heilig. Magellan rammte ein Kreuz in den Sand der Philippinen-Insel Homonhon im Golf von Leyte. Wenig später wurde er erschlagen. Was interessierte die Eingeborenen das Kreuz der Christen! Die sahen nicht das Kreuz, sondern das Schwert der Fremden – ein Kriegswerkzeug, wie sie sehr richtig erkannten. Und schon gibt es Mord und Totschlag. Für mich ist Magellan ein Chauvinist. Also, was bin ich? Ich möchte keiner sein. Das ist alles. Aber mir steigt schon die Galle hoch, wenn Menschen mir davonrennen, obwohl sie mich gar nicht kennen und folglich nicht wissen können, ob ich in friedlicher oder böser Absicht komme. Dieses große Segelschiff mit den drei Masten signalisiert ihnen Gefahr. Jetzt lautet die Frage, was sie unternehmen werden? Werden sie aggressiv, oder warten sie ab und bleiben defensiv? Oder ziehen sie sich ins Land zurück?“
„Glaube ich nicht, es sind Fischer, also Küstenbewohner“, sagte Don Juan nachdenklich und starrte hinter den Auslegerbooten her. „Sie gehen geschickt mit ihren Booten um. Vermutlich sind sie auch gute Seeleute.“ Er setzte den Kieker ans Auge und spähte zu den Pfahlbauhütten. Überrascht sagte er: „Da liegen auch größere Auslegerboote, die mittschiffs überdacht sind – sieht aus wie schwimmende Häuser.“
„Du meinst, sie wohnen auf diesen Fahrzeugen?“ Hasard blickte ebenfalls durch den Kieker.
„Warum nicht? Bei Gefahr im Verzug können sie sich absetzen und haben gleich ein Dach über dem Kopf. Auf ihre Pfahlbauten sind sie nicht unbedingt angewiesen. Vielleicht sind sie so eine Art Nomaden zur See.“
Don Juan wußte nicht, daß er den Nagel auf den Kopf traf. Bei den Eingeborenen, die zu den Pfahlbauten geflüchtet waren, handelt es sich um Angehörige des Völkchens der Badjao, deren Lebensraum sich von den Gewässern an der Ostküste Palawans – der westlichen Philippinen-Insel – bis zum Nordende der indonesischen Insel Celebes erstreckt, eingeschlossen die südlichen Gewässer um Mindanao, die über vierhundert Inseln des Sulu-Archipels sowie Sabah, den Nordteil Borneos. Man nannte diese Menschen später „Seezigeuner“ oder „Seenomaden“ und tatsächlich spielte sich ihr Leben mehr auf dem Wasser als auf dem Land ab.
Und Don Juan und Hasard wären noch erstaunter gewesen, hätten sie ein paar jener Badjao gesehen, deren Haare blond waren – eine Folge der ständigen Einwirkung von Sonne und Salzwasser, wie man heute weiß.
„Nomaden zur See“, murmelte Hasard. „Sind wir das nicht auch?“
„Nur zur Zeit.“
„Na ja“, meinte Hasard, „aber ich schätze, die Arwenacks und ich haben mehr Zeit auf See verbracht als an Land, und es war, alles in allem, kein schlechtes Leben bisher.“ Er lächelte verhalten. „Zumindest ein Leben in Freiheit und niemandem untertan.“
„Doch, nämlich der See und ihren Gesetzen.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Diesen Gesetzen sind wir nicht untertan, sondern beugen uns ihnen freiwillig und haben vor ihnen Respekt. Das ist ein Unterschied.“
„Hab’s verstanden – und allmählich begriffen, warum ihr so seid, wie ihr seid“, sagte Don Juan. Und er war einmal ausgezogen, um den Seewolf auf Befehl Seiner Majestät des Königs von Spanien zur Strecke zu bringen.
„Und wie sind wir?“ fragte Hasard.
„Na, zumindest ziemlich kompromißlos, wenn euch jemand auf die Füße steigt, aber Freiheit gibt es eben nicht umsonst.“
Hasard nickte, aber er hatte wieder den Kieker vor dem Auge und auf das Ufer an Backbord gerichtet. Die Pfahlbauten und Hausboote blieben Backbord achteraus zurück.
„Merkwürdig“, murmelte er, setzte den Kieker ab und schaute zu Gary Andrews im Großmars hoch. Der hatte auch den Kieker am Auge und spähte zur westlichen Küste hinüber. „Na, Gary?“ rief er hinauf. „Keine Meldung oder so?“
„Backbord an Land gefällte Bäume!“ brüllte