Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
soll mit den Bäumen sein?“ fragte Don Juan verwundert, nachdem er sie ebenfalls durch den Kieker betrachtet hatte. „Die hat irgendein Sturm umgelegt.“
„Ein feiner Sturm“, sagte Hasard etwas ironisch, „der Mangroven, Kokospalmen und andere Gewächse umgeht oder stehenläßt und nur ganz bestimmte Bäume umreißt, die noch dazu deutlich Axtkerben aufweisen. Trotzdem werde ich daraus auch nicht schlau. Das sieht aus, als habe dort jemand gewütet. Oder?“
Don Juan spähte wieder durch den Kieker. „Hm, die liegen kreuz und quer durcheinander, deswegen tippte ich auf einen Sturm. Aber die Axtkerben hatte ich nicht beachtet. Du hast recht, die Bäume sind gefällt worden, einwandfrei. Entästet hat man sie nicht. Was sind das für Bäume?“
Hasard ließ den Kutscher rufen. Er selbst wußte es nicht. Und warum hatte man schließlich den Kutscher an Bord, der seinen Namen beharrlich verschwieg, aber ein Kerlchen war, das über ein erstaunliches Wissen verfügte – von der ägyptischen Mumie bis zur Ratte, die Krankheiten übertrug. Von der Kunst, Knochenbrüche zu richten und Schußwunden zu heilen, ganz zu schweigen.
Der Kutscher starrte durch das Spektiv, das Hasard ihm übergeben hatte. Er schaute lange hindurch. Dann setzte er es ab und sagte: „Myristica fragrans.“
„Ah so, Myristica fragrans“, wiederholte Hasard. „Und was, bitte, ist darunter zu verstehen?“
„Das ist der Muskatnußbaum“, erwiderte der Kutscher, „so genannt nach seinem Samen, der als Muskatnuß im Handel ist und als Gewürz benutzt wird. Als ‚Semen Myristecae‘ dienen die Muskatnüsse in Pulver- oder Pillenform zur Anregung der – äh – Darmtätigkeit sowie zur Bereitung des Muskatnußöls. Als Gewürz ist Muskat sehr sparsam zu benutzen. Ich pflege es Gemüsen, Reis- und Fischgerichten beizugeben, wovon allerdings an Bord der von uns besegelten Schiffe noch nie Notiz genommen worden ist, weil alles nur schaufelt und schaufelt, statt zu kosten und zu schmecken und zu genießen – ähem! Ich habe mir im übrigen sagen lassen, daß unzüchtige Frauenzimmer die Muskatnuß ihren Liebhabern zu verabreichen pflegen, in der – äh – buhlerischen Absicht, deren Sinnenlüste zu steigern – ähem!“
Schweigen herrschte darauf, sowohl auf dem Achterdeck als auch auf der Kuhl. Dort stand Mac Pellew vor der Kombüse, und er hatte mit langem Hals und großen Ohren der Rede des Kutschers gelauscht. Carberry auch, und ebenso Old O’Flynn, Luke Morgan, Bob Grey, Sam Roskill – fast alle der ganzen Crew.
„Ogottchen!“ stammelte Mac Pellew erregt. „Das wußte ich ja noch gar nicht!“
„Reg dich ab, Mackilein“, sagte der Profos freundlich, eingedenk der Tatsache, daß sie vor kurzer Zeit ihre unauslöschliche Freundschaft beschworen hatten und durch dick und dünn gehen wollten. „Gegen die Räucherheringe deiner Svanhild aus Bornholm sind diese Muskatnüsse weiter nichts als Mäuseknödel. Und Mäuseknödel sind völlig ungeeignet, die Manneskraft zu steigern. Im Gegenteil, sie bewirken Schlafzustände mit gesteigerter Schnarchlust.“
„Ja?“
„Bestimmt, Mackilein“, versicherte der Profos. „Svanhild Räucherheringe stehen haushoch über diesen Mäuseknödeln, haushoch, sage ich. Und du kannst mir vertrauen. Der Kutscher redet mal wieder wie der Blinde von der Farbe. Er hat sich das sagen lassen, was bedeutet, daß er es selbst noch gar nicht ausprobiert hat.“
„Sehr richtig, Señor Carberry“, sagte der Kutscher sehr spitz und vom Achterdeck herunter. „Ich pflege ja auch keinen Umgang mit unzüchtigen Frauenzimmern – wie gewisse andere Señores, nicht wahr – ähem! Ich habe hier lediglich über das gesprochen, was die Muskatnuß und ihre Verwendung betrifft, dem ich hinzufügen möchte, daß man Muskatnüsse sogar als Beigaben in den Gräbern ägyptischer Pharaonen gefunden hat, was wiederum Rückschlüsse auf die weltweite Verbreitung dieses beliebten und teuren Gewürzes zuläßt. Aber vermutlich interessiert dich das nicht.“
„Oh, da gehst du aber fehl, mein liebes Kutscherlein!“ tönte der Profos. „Ich bin ein sehr interessierter Mensch. Meinst du, ob Sir Jöhnchen gern Muskatnüßchen frißt? Das würde mich wirklich interessieren.“
„Wieso das?“
„Es interessiert mich eben.“
Der Kutscher kniff die Augen zusammen. „Ich kenne dich doch, alter Freund. Du peilst mit deiner Frage was ganz Bestimmtes an, und ich schätze, ich weiß auch, was das ist. Du willst die Wirkung der Muskatnuß bei Sir John ausprobieren, um festzustellen, ob ihn das anregt, einen Harem zu gründen! Genau das ist es, was dich interessiert!“
„Ts-ts!“ äußerte der Profos und tat, als könne er kein Wässerchen trüben. „Ich muß mich doch sehr wundern. Du hast wirklich eine ausschweifende Phantasie, Kutscherlein. Aber das muß ja nicht gleich ein ganzer Harem sein, nicht? Das ist eine ganz üble Unterstellung, zumal jeder hier an Bord weiß, wie anspruchslos das kleine Sir Jöhnchen ist, jawohl, anspruchslos und bescheiden, ein Eremit in klösterlicher Abgeschiedenheit, fern von den Verlockungen buhlerischer Papageien-Frauenzimmer …“
„Jetzt hör aber auf!“ fauchte der Kutscher und war richtig wütend. „Wer hat denn diesen Schreihals an Bord geschleppt – ich vielleicht? Dann entlaß ihn doch an Land, wenn du seine klösterliche Abgeschiedenheit bejammerst! Was meinst du, was wir aufatmen, nicht mehr den ganzen Tag das Geplärre dieses anspruchslosen und bescheidenen Eremiten hören zu müssen! Gib ihm von mir aus einen ganzen Sack voller Muskatnüsse zu fressen, damit er sich im Dschungel amüsieren kann, verdammt noch mal!“
Der Profos stand völlig perplex da, weil sich der Kutscher so aufregte.
Dafür schrie Smoky: „Um Himmels willen, wenn der Geier ’nen ganzen Sack voller Muskatnüsse frißt, dann schleppt der uns ein Riesengeschwader dieser Schreitanten an Bord! Aber dann steige ich aus – wir sind ein Schiff, kein Dschungelrevier für liebestolles Papageienvolk!“
„Richtig, Smoky!“ Auch Old Donegal wollte es dem Profos heimzahlen und ihm Zunder geben. „Die versauen das ganze Schiff und bekacken es von oben bis unten! Bei jedem Schritt tritt man in die Haufen und muß noch befürchten, auszurutschen …“
Hasard donnerte die Faust auf den Handlauf der Achterdecksbalustrade. Es wurde Zeit, den Disput zu beenden.
„Ruhe jetzt!“ sagte er scharf. „Wir haben noch etwas anderes zu tun, als über die Muskatnuß als Liebesmittel zu diskutieren und herumzupalavern – ihr quasselt in letzter Zeit überhaupt ein bißchen viel und meistens ziemlichen Unsinn. Vielleicht sind die Señores so freundlich, die Leinen zum Vertäuen allmählich klarzumachen und Großmars- und Großsegel zu bergen. Ich schätze, daß wir in einer knappen halben Stunde den Hafen von Davao erreichen.“
Damit war das Muskatnußthema zunächst einmal „vom Tisch“ – meinte Hasard. Doch das erwies sich als Irrtum, allerdings in einem anderen Zusammenhang, der nichts mit „unzüchtigen Frauenzimmern“ oder „buhlerischen Absichten“ zu tun hatte. Die Wirklichkeit war viel realer und handfester.
Im übrigen entdeckten die Mannen auf dem Achterdeck durchs Spektiv noch mehr Stellen am westlichen Ufer des Golfes, wo Muskatnußbäume gefällt worden waren. Dieses Fällen schien Methode zu haben, obwohl es vorerst keinen Sinn ergab.
5.
Der Kommandant des kleinen spanischen Stützpunktes Davao am gleichnamigen Golf im Südosten von Mindanao hieß Don Alonso de Figuiera, und Hasard atmete ein bißchen auf, als er ihn kennenlernte. Nein, das war keiner von den knarschen Typen, den Wichtigtuern, die sich für Gott hielten und deren Aufgeblasenheit zumeist im krassen Mißverhältnis zu ihren sonstigen Fähigkeiten stand.
Don Alonso bekleidete den Rang eines Capitáns, wobei er zugleich Polizeichef und Bürgermeister von Davao war, was er selbst jedoch bezüglich seiner drei Ämter als Witz empfand. Seine „Truppe“ bestand aus ganzen zehn Mann, als „Hafenflotte“ verfügte er über zwei Einmast-Schaluppen, im „Gefängnis“, einem fensterlosen Zimmerchen in der Kommandantur, hatte noch nie jemand eingesessen, was