Seewölfe Paket 27. Roy Palmer
„Welche Kerle?“ fragte Hasard.
„Die Holländer!“
„Die Holländer?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nicht, Señor Capitán. Wieso die Holländer?“
„Sie haben sich auf den Molukken festgesetzt, diese Brüder“, erwiderte Don Alonso. „Und es sieht ganz danach aus, als seien sie scharf darauf, das Gewürzmonopol an sich zu reißen. Sie gehen mit teuflischer Schläue vor. Dort, wo spanische oder portugiesische Gewürzbesitzungen sind, fallen sie über die Plantagen her und zerstören Pflanzen und Ernte. Damit nicht genug, sie überfallen auch unsere kleineren Handelsfrachter, die Gewürzladungen von den Molukken hierher nach Davao bringen, verprügeln Kapitäne und Mannschaften oder töten sie, wenn sie sich wehren, oder verschleppen sie auf ihre Plantagen, wo sie Frondienste leisten müssen.“ Don Alonso hob sein Rotweinglas und trank.
Hasard dachte: Na so was! Fast hätte er gelacht, und er sah, daß es zumindest Ben und Dan nicht anders erging. Sie hatten Mühe, ihre Heiterkeit zu verbergen. Nur Don Juan runzelte die Stirn.
Nun ja, welchen Nichtspanier erheiterte es nicht, wenn er hörte, Spanier müßten „Frondienste“ leisten. Gemeinhin war es ja umgekehrt, nicht wahr? Wenn Hasard an die Hölle von Juchitán dachte, wo seine Mannen und er, an Ketten gefesselt, Zwangsarbeit hatten leisten müssen – und unter was für Bedingungen! –, dann war verständlich, daß sie jetzt fast so etwas wie Schadenfreude empfanden.
Und doch – und doch! Etwas störte Hasard und ihm wurde im ersten Moment nicht bewußt, was es war.
Don Alonso setzte sein Glas ab und sagte erbittert: „Auch bei uns schlagen sie zu – im wahrsten Sinne des Wortes: Sie schlagen mit der Axt zu! Sie fällen die Muskatnußbäume an der Westküste unseres Golfes, Muskatnußbäume, die wir bisher abernten konnten. Wissen Sie, Señores, daß diese Bäume an die neun bis zehn Jahre brauchen, um zu wachsen und dann die kostbare Muskatnuß als Frucht hervorzubringen? Neun bis zehn Jahre! Können sie ermessen, was es bedeutet, wenn solche Bäume brutal gefällt werden?“
„Ah!“ sagte Hasard gedehnt. „Ich beginne zu verstehen. Die spanische oder portugiesische Konkurrenz im Gewürzhandel, speziell der Handel mit den Muskatnüssen, wird auf diese Weise abgewürgt – mit einem Schaden, der neun bis zehn Jahre braucht, um ihn zu beseitigen.“
„Genauso ist es“, sagte Don Alonso dumpf. „Sie wollen den europäischen Markt beherrschen, diese Mijnheers, und sie schrecken nicht davor zurück, mit den Äxten einen Kahlschlag zu betreiben. Sie vergreifen sich an dem, was Gott hat wachsen lassen. Sie begnügen sich nicht mit dem, was sie auf ihren Plantagen erwirtschaften, sondern legen auch Hand an das an, was wir ernten wollen – damit sie die Preise in Europa bestimmen können.“
„Warum stellen Sie keine Wachen bei den Muskatnußbäumen an der Küste auf, Señor Capitán?“ fragte Don Juan.
„Ich sagte doch, daß ich hier nur über einen Trupp von zehn Mann verfüge“, erwiderte Don Alonso gepreßt. „Soll ich den vielleicht verheizen? Und soll ich den Angehörigen in Spanien dann schreiben, ihr Vater, Bruder oder Sohn fiel in treuer Pflichterfüllung, weil er einen Muskatnußbaum verteidigte? Es sind an die vierzig, fünfzig Kerle, die mit schnellen, wendigen Schaluppen an der Küste landen und über die Bäume herfallen. Sie kommen nachts. Aber meine zehn Männer können nicht Nacht für Nacht an der Küste Wache schieben, das geht über ihre Kräfte. Sicher, ich könnte auf die männlichen Zivilisten zurückgreifen, aber das sind Tischler, Schuster, Schneider – eben Handwerker, aber keine Soldaten.“
Hasard starrte in sein Rotweinglas. Einiges ging ihm durch den Kopf. Merkwürdig war nur, daß seine Schadenfreude verflogen war. Irgend etwas stieß ihm gallebitter auf. Plötzlich sah er wieder die gefällten Bäume vor seinem geistigen Auge. Bäume, die neun bis zehn Jahre brauchten, um Früchte zu tragen. Gott hat sie wachsen lassen, hatte der Capitán gesagt. Jetzt lagen sie dort, kreuz und quer durcheinander wie Soldaten auf einem Schlachtfeld – Gefallene. Nie mehr würden sie Frucht tragen.
Was maßen sich diese Holländer an? dachte Hasard. Und er dachte an gewisse Feudalherren, die es spaßig fanden, durch die Felder der Bauern, zu reiten und das Korn niederzutrampeln. Und der Bauer, der sich empörte, weil man das vernichtete, was durch seine Hände Arbeit entstanden war, diesen Bauern züchtigte man mit der Peitsche, hohnlachend und die Macht des Zwingherren auskostend. Er konnte sich ja nicht wehren, dieser miese Winzling von Schollenbrecher, dieser Rübenbauer, dieser Hungerleider – hahaha!
Hasard hob die Augen und begegnete dem Blick Ben Brightons. Es war ein sehr nachdenklicher Blick. Eine stille Frage lag darin. Oh, dieser Ben Brighton! Der schien mal wieder sehr genau zu wissen, was seinen Kapitän beschäftigte.
Seine stille Frage lautete: Packen wir’s an, Sir?
Und was antwortete Hasard stumm? Mann, mach mich nicht wild! Geht uns das was an, wenn die Mijnheers den Dons den Muskatnußhandel abwürgen? Sollten wir nicht froh sein, daß sie’s tun? Die kämpfen eben auf ihre Art gegen die Spanier, von denen sie ja auch lange genug gezwiebelt worden waren. Denk mal an den Herzog von Alba, mein lieber Ben, an diesen Tyrannen, der Hunderte von Niederländern dem Schafott ausgeliefert hat!
Und Ben fragte stumm: Würden wir Muskatnußbäume bei unserem Kampf gegen die Spanier umlegen, Sir?
„Nein, verdammt noch mal!“ sagte Hasard laut und wütend.
Nur Ben lächelte. Don Juan, Dan und der Capitán schauten Hasard verwundert an.
„Wie bitte?“ fragte Don Alonso.
„Ach, nichts“, murmelte Hasard, „mir ist das so herausgefahren.“
Ben Brighton, dieser Schurke, sagte mit undurchdringlichem Gesicht: „Mein Kapitän ärgert sich über die gefällten Muskatnußbäume, Señor de Figuiera, und da bin ich ganz seiner Meinung. Wir haben die Zerstörungen an der Küste übrigens gesehen, als wir Davao ansteuerten. Ein übles Bild. Dort ist meiner Meinung nach etwas Sinnloses geschehen. Mir ging eben durch den Kopf, was wohl wäre, wenn man nicht Muskatnußbäume vernichtete, sondern – nun – Tiere, die man abschlachtet, weil man nicht will, daß sie einem Land Gewinn bringen, den man aber selbst kassieren möchte.“ Ben räusperte sich. „Zum Beispiel Schafe, von denen wir Fleisch und Milch erhalten, aber ganz besonders Wolle. Das wäre dann Tiermord, nicht wahr? Aber ich kann das noch überspitzen und das, was ich meine, auch auf den Menschen selbst beziehen. Das wäre dann Völkermord. Was ich damit sagen will: verwerflich, ja verbrecherisch ist alles Tun, das aus niederen Motiven heraus etwas Lebendes abtötet oder vernichtet. Wir hatten allerdings Ratten an Bord, denen wir versuchten, den Garaus zu bereiten, weil sie die Eier unserer Bordhühner gefressen und ein Huhn totgebissen hatten.“
„Na, na, na“, sagte Dan O’Flynn, „das geschah bei uns aber nicht aus niederen Motiven oder um Gewinn zu erzielen. Wir haben damit auch niemanden geschädigt, aber damit rechnen müssen, daß die Ratten weiterhin Eier vertilgen oder gar an die Hühner herangehen. Ich schätze, das ist ein ziemlicher Unterschied zu den zitierten Beispielen Muskatnußbaum, Schaf und Mensch.“
Ben Brighton lächelte still vor sich hin. Dann sagte er: „Ich wollte nur andeuten, daß wir uns verdammt hüten sollten, anmaßend zu sein – als Menschen – und darüber zu befinden, was leben und was nicht leben darf. Wer sind wir denn? Etwa die Herren über diese Welt, die nicht wir, sondern ein Schöpfer geschaffen hat? Trotzdem nehmen wir uns heraus, über Tod und Leben zu entscheiden oder alles auszubeuten, was uns nützlich erscheint. Dabei steckt in der Nützlichkeitserwägung unter anderem der hemmungslose Wunsch, sich auch zu bereichern. Das trifft nun keinesfalls auf unseren Feldzug gegen die Ratten zu. Aber was die Holländer mit der Vernichtung der Muskatnußbäume betreiben, das ist Mord an der Natur aus eigensüchtigen Motiven.“
„Wollen Sie mir gegen die Kerle helfen?“ fragte Don Alonso aufgeregt.
Ben Brighton war ein Fuchs. Er erwiderte: „Das müssen Sie meinen Kapitän fragen, Señor de Figuiera.“
Eine paradoxe Situation! Da verlangte dieser schlitzohrige Ben Brighton – schlitzohrig,