Makabrer Augustfund im Watt. Manfred Eisner

Makabrer Augustfund im Watt - Manfred Eisner


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ist ein gewisser Aristides Marinakis. Wir haben allerdings bisher nichts weiter unternommen.«

      »Gute Arbeit, Kollegen«, lobt Nili, »vielen Dank! Warten Sie bitte auf uns, wir kommen noch heute zu Ihnen, dann können wir besprechen, wie wir es am besten angehen lassen. Tschüss, bis später!« Sie wendet sich an ihr Team: »Übrigens, wie weit sind Sie mit den drei Fallanalysen?«

      Margrit hebt bedauernd die Schultern. »Wir sind noch nicht ganz fertig, Nili, sorry!«

      »Mir zwoa san scho fast durch, ned wahr, Timo? Aba ois zamaschreibn müsst ma scho no!«

      «Okay, Timo, übernehmen Sie bitte diese schriftliche Arbeit? Und Ferdl, ich würde Sie dann bitten, mich nach Elmshorn zu begleiten!« Sie deutet auf den vom Amtsgericht unterschriebenen Haftbefehl, den Hausbote Hugo Treumann soeben hereingebracht hat. Dann geht sie zum Waffenschrank und schnallt sich das Holster mit ihrer Dienstpistole um.

      *

      Der Streifenwagen mit den beiden Elmshorner Polizisten an Bord hält an der Zapfsäulenreihe an. Kurz danach folgen Nili und Ferdl im X3. Sie steigen aus und begrüßen sich; Nili kennt die beiden Beamten von einem früheren Einsatz 12 und stellt ihnen Ferdl vor. Anschließend begleitet Polizeimeisterin Lotte Hansen Nili in den Laden, während Ferdl und POM Thor Heymann zur Rückseite des Gebäudes gehen, wo sich die Werkstatt befindet. Vor deren Einfahrt parkt ein etwas ramponierter weißer Opel Transporter, im Inneren schraubt eine in einen Blaumann gehüllte Figur am Ölfilter des auf der hochgefahrenen Hebebühne stehenden VW Golf. Ferdl erkennt in ihm den Mann von dem Fahndungsfoto. Dieser hat ihr Herankommen nicht bemerkt »Des is unser Kasperl, packman?«, murmelt Ferdl dem Kollegen ins Ohr.

      Polizeiobermeister Heymann nickt kurz und betritt die Werkstatt, die rechte Hand auf dem Griff seiner Dienstwaffe.

      »Mihalis Marinakis? Polizei! Wir haben hier einen Haftbefehl gegen Sie. Sie sind vorübergehend festgenommen wegen des dringenden Verdachts, eine Minderjährige entführt zu haben. Bitte legen Sie das Werkzeug aus der Hand und kommen Sie mit erhobenen Armen zu uns!«

      Mit überraschter Miene wendet sich Marinakis ihnen zu. Er zuckt kurz mit den Schultern und lässt den Maulschlüssel fallen. Dann kommt er der Aufforderung nach und tritt den Beamten widerstandslos entgegen. Ferdl legt ihm Handschellen an und sagt: »Gemma, Burschi, das wär’s dann für di gwesn!« Er führt den Festgenommenen zu ihrem Dienstwagen.

      Im selben Moment treten Nili und Lotte Hansen aus dem Laden.

      »Prima, dass Sie ihn gefasst haben!«, sagt die Polizeiobermeisterin.

      Nili ergänzt: »Er ist der Bruder des Tankstelleninhabers und ist bei diesem nach seinem Konkurs untergekommen. Der arme Kerl hat alles verloren. Bis auf die nackte Haut haben die Bänker ihn gerupft!«

      »Hättns bittschön die Nummer der SpuSi, Frau Chefin?« Schmunzelnd deutet Ferdl in Richtung der Werkstatt: »Sei oide Kraxn steht da vor der Garaschn!«

      Nili ruft selbst an und bittet schließlich die beiden Kollegen, die Überführung des Transporters zur Itzehoer KTU durch einen lokalen Abschleppdienst in die Wege zu leiten, denn die dortige SpuSi befinde sich gerade in einem Großeinsatz.

      *

      Als sie später auf dem Weg nach Itzehoe sind, versucht Ferdl mit dem neben ihm im Wagenfond sitzenden Festgenommenen ins Gespräch zu kommen. Marinakis wiederholt allerdings stets nur das Wort »Anwalt«.

      Nili interveniert: »Lassen Sie’s gut sein, Ferdl. Der Mann hat zwar schwere Schuld auf sich geladen, aber irgendwie kann ich ihn sogar verstehen. Bedauerlicherweise hat er sich dabei an einem vollkommen unschuldigen Mädel vergriffen. Das war eine üble Tat, für die er büßen muss. Andererseits sitzt er tief in der Scheiße und der Mitschuldige an seiner Misere sonnt sich in Saus und Braus. Sie hätten den Kotzbrocken erleben sollen!« Dann richtet sie sich an den Festgenommenen: »Hören Sie, Herr Marinakis: Ich kann Ihnen eine sehr gute Anwältin besorgen, die mit Sicherheit dazu beitragen wird, dass Ihre Bestrafung so mild wie möglich ausfällt. Sie könnte Ihnen vielleicht sogar dabei helfen, etwas von Ihrem verlorenen Geld zurückzubekommen. Sind Sie einverstanden?«

      Marinakis dankt ihr mit Tränen in den Augen. »Das Ganze tut mir ja so leid, Frau Kommissarin! Ich wollte dem Mädchen nichts Böses tun, bitte glauben Sie mir!«

      Über die Sprechanlage des Dienstwagens lässt sich Nili mit ihrer Freundin Kitt Harmsen verbinden. Sie erklärt ihr kurz den Sachverhalt. Kitt verspricht, die Akte anzufordern und sich am nächsten Morgen mit dem Festgenommenen zu treffen.

      *

      Große Genugtuung ist auf ihren Gesichtern abzulesen, als sie Mihalis Marinakis im Büro des Leiters der Bezirkskriminalinspektion persönlich abliefern. Kriminaloberrat Stöver ist hocherfreut, dass Nili und Ferdl ihnen die Arbeit abgenommen haben, seine beiden Kommissare Westermann und Steffens hätten doch gerade alle Hände voll mit einem in letzter Nacht entdeckten Tötungsfall zu tun: Ein Familienvater habe seine beiden Kinder und die von ihm getrennte Ehefrau erstochen und sich danach selbst gerichtet.

      »Das war äußerst flotte und sehr gute Arbeit, Frau Masal! Ihnen und Ihrem Team herzlichen Dank!«, lobt Staatsanwältin Doktor Bach, die ein ausnahmsweise gut gelaunter ›Hein Gröhl‹ herbeigebeten hat. Da Marinakis auch ihr gegenüber bis zur Ankunft seiner Rechtsanwältin schweigen möchte, übergibt sie ihm eine schriftliche Rechtsbelehrung und lässt ihn bis zu deren Eintreffen in eine Zelle abführen. Morgen soll er dann einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden. Dann fragt die Staatsanwältin: »Sind Sie inzwischen mit den anderen Fällen weitergekommen, Frau Masal? Doktor Kramer berichtete mir bereits, dass Sie einige Cold Cases von vermissten Minderjährigen aus unserem Gerichtsbereich wieder aufnehmen wollten.«

      »Insoweit ja, als wir uns gegenwärtig der intensiven Aktenstudie widmen, um daraus weitere Aktionen ableiten zu können. Zudem läuft unser Antrag beim Oberstaatsanwalt, um die Genehmigung zur Wiedereröffnung der Akten zu erhalten. Wir halten Sie selbstverständlich auf dem Laufenden.«

      *

      Es ist schon etwas spät an diesem Donnerstagnachmittag, als Nili und Ferdl das Polizeihochhaus in der Großen Paaschburg verlassen. Nili verspürt überhaupt keine Lust, jetzt im Hauptverkehr nach Kiel zurückzufahren. Nachdem sie in den Dienstwagen eingestiegen sind, hat sie eine Idee. »Haben Sie an diesem Wochenende etwas Besonderes vor, Ferdl?«

      »Na, i ned, Frau Chefin, warum?«

      »Mein Vorschlag wäre, es hier auf dem Lande zu verbringen? Wir würden jetzt nach Oldenmoor fahren. Bestimmt können Sie wieder bei Onkel Oliver und Tante Madde auf dem Holstenhof übernachten. Morgen Vormittag unternehmen wir dann eine kleine Pirschfahrt zu den drei Orten, von denen die Kinder verschwunden sind. Wie ich Sie kenne, haben Sie längst die Fallakten auf Ihrem heiligen Notebook gespeichert. Was halten Sie davon?«

      »I bin dabei, Frau Chefin! Ist mir immer wieder ein Pläsier, bei Ihrer lieben Familie zu Gast zu sein.«

      Nili öffnet die Fahrertür, steigt aus, geht um den Wagen herum und öffnet die Beifahrertür: »Fahren Sie bitte? Ich muss alle anrufen, um sie vorzuwarnen.«

       3. Aus Nilis Tagebuch

       Donnerstagabend. Obwohl wir Polizisten fast täglich mit vermissten Personen zu tun haben, konnte ich mir niemals vorstellen, wie ein lebendiger Mensch so einfach verschwinden kann, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Es mutet doch wie ein Science-Fiction-Film an, in dem plötzlich vor ihm ein Ufo mitten in Niemandsland landet und er, von Aliens entführt, auf Nimmerwiedersehen im Weltall entschwindet. Aber gerade so sieht es in den drei Fällen von abgängigen Kindern aus, die wir uns jetzt vorgenommen haben. Keins von ihnen hinterließ irgendeine Fährte. Und so handelte es sich eben nur um eine kärgliche Vermutung, mit der ich unseren Boss und den Oberstaatsanwalt mühsam davon überzeugen konnte, dass es vielversprechend ist, die Fälle wieder aufzunehmen. Vorhin wurde ich von Ferdl gefragt, warum ich mich überhaupt auf so zerbrechliches Eis begebe, denn auch das akribische Studium der Fallakten hätte nichts wirklich Handfestes ergeben, was


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