Grundriss Schopenhauer. Peter Welsen

Grundriss Schopenhauer - Peter Welsen


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[…] aus bloßem Gefühl und unbewußt, ja instinktmäßig« (W I 298). Unter der Voraussetzung, daß sich die Kunst nicht Begriffen, sondern Ideen verdankt, ist es auch verständlich, daß sie nicht etwa erstere, sondern letztere darstellen soll. So lehnt Schopenhauer den Versuch einer allegorischen Darstellung von Begriffen in den bildenden Künsten ab (vgl. W I 299 ff. u. W II 497). Umgekehrt ist er sich darüber im klaren, daß Ideen in der Sprache nur mit Hilfe von Begriffen ausgedrückt werden können. Angesichts dieser Schwierigkeit macht er geltend, daß Ideen unerschöpflich sind und nicht in Begriffen aufgehen (vgl. W II 479 u. 482). Diesem Umstand könne man dadurch gerecht werden, daß man den Begriff in einem bildlichen, übertragenen Sinne gebrauche, um die Phantasie »auf das Anschauliche zu leiten« (W I 303).37 Dazu erklärt Schopenhauer: »Solches geschieht schon in jedem tropischen Ausdruck, und geschieht in jeder Metapher, Gleichniß, Parabel und Allegorie, welche alle nur durch die Länge und Ausführlichkeit ihrer Darstellung sich unterscheiden. In den redenden Künsten sind dieserwegen Gleichnisse und Allegorien von trefflicher Wirkung.« (W I 303 f.) Durch den Vorrang der Anschauung unterscheide sich die Kunst auch von der Philosophie, die sich in erster Linie des Begriffs bediene und die nicht etwa Einzelnes, sondern das Ganze der Wirklichkeit präsentiere: »Zur Philosophie verhält sich die Poesie, wie die Erfahrung sich zur empirischen Wissenschaft verhält. Die Erfahrung nämlich macht uns mit der Erscheinung im Einzelnen und beispielsweise bekannt: die Wissenschaft umfaßt das Ganze derselben, mittelst allgemeiner Begriffe.« (W II 503) Da sich – mit der Idee – der Gehalt der Kunst letzten Endes nicht auf den Begriff bringen lasse, sondern sich als unerschöpflich erweise, halte sich die Antwort, die sie auf die Frage nach dem Wesen der Wirklichkeit gebe, in einer Offenheit, die allenfalls die Philosophie aufheben könne: »Ihre Antwort, so richtig sie auch seyn mag, wird jedoch immer nur eine einstweilige, nicht eine gänzliche und finale Befriedigung gewähren. Denn sie [gibt] immer nur ein Fragment, ein Beispiel statt der Regel, nicht das Ganze, als welches nur in der Allgemeinheit des Begriffes gegeben werden kann. Für diesen daher, also für die Reflexion und in abstracto, eine eben deshalb bleibende und auf immer genügende Beantwortung jener Frage zu geben, – ist die Aufgabe der Philosophie.« (W II 479 f.)

      Die Wirkung der Kunst besteht nach Schopenhauer zunächst darin, den Betrachter zur Erkenntnis der Ideen anzuregen und sie ihm zu erleichtern (vgl. W I 251). Zwar ist Schopenhauer davon überzeugt, daß diese sowohl der Natur als auch der Kunst zugrunde liegen, so daß beide als schön gelten können, doch er legt dar, daß die Kunst darauf angelegt ist, das in der Natur anzutreffende Ideale durch ihren gestaltenden Eingriff so zu präsentieren, daß es auch einem Betrachter zugänglich wird, der – im Vergleich zum Künstler – »schwächere Empfänglichkeit und keine Produktivität hat« (W I 299). Mit anderen Worten, er führt die Erleichterung der Erkenntnis darauf zurück, »daß der Künstler, der nur die Idee, nicht mehr die Wirklichkeit erkannte, in seinem Werk auch nur die Idee rein wiederholt hat, sie ausgesondert hat aus der Wirklichkeit, mit Auslassung aller störenden Zufälligkeiten« (W I 251). Damit der Betrachter die Ideen erfassen kann, muß er allerdings – ähnlich wie der Künstler, nur in geringerem Maße – die entsprechende Fähigkeit besitzen: »Wir müssen daher in allen Menschen […] jenes Vermögen[,] in den Dingen ihre Ideen zu erkennen, und eben damit sich ihrer Persönlichkeit augenblicklich zu entäußern, als vorhanden annehmen. Der Genius hat vor ihnen nur den viel höhern Grad und die anhaltendere Dauer jener Erkenntnißweise voraus« (W I 250 f.). Einen weiteren Grund dafür, daß die Kunst der Erkenntnis der Idee förderlich ist, erblickt Schopenhauer darin, daß Gegenstände, die einem nicht in der Wirklichkeit, sondern in der künstlerischen Darstellung begegnen, den Willen weniger ansprechen und daher eine objektivere Betrachtung ermöglichen: »Daß also das Kunstwerk die Auffassung der Ideen, in welcher der ästhetische Genuß besteht, so sehr erleichtert, beruht nicht bloß darauf, daß die Kunst, durch Hervorhebung des Wesentlichen und Aussonderung des Unwesentlichen, die Dinge deutlicher und charakteristischer darstellt, sondern eben so sehr darauf, daß das zur rein objektiven Auffassung des Wesens der Dinge erforderte gänzliche Schweigen des Willens am sichersten dadurch erreicht wird, daß das angeschaute Objekt selbst gar nicht im Gebiete der Dinge liegt, welche einer Beziehung zum Willen fähig sind, indem es kein Wirkliches, sondern ein bloßes Bild ist.« (W II 438 f.) Wie gerade angedeutet wurde, ruft die Erkenntnis der Ideen beim Betrachter »ästhetischen Genu[ß]« bzw. »ästhetische[s] Wohlgefallen« (W I 250 f. u. 271) hervor. Das liegt – nach Schopenhauer – einerseits an der Idee selbst, die ihm als schön gilt, anderseits daran, daß der Wille in der Kontemplation zur Ruhe kommt und damit auch das Leiden an der Wirklichkeit aussetzt. Letzteres sei eher der Fall, wenn die Idee einer niedrigeren Stufe der Objektität des Willens, ersteres hingegen, wenn sie einer höheren angehöre (vgl. W I 271). Tritt der Wille beim Genuß des Schönen in den Hintergrund und findet dadurch eine Entlastung des Menschen von der Negativität der Wirklichkeit statt, so bietet sich die ästhetische Erfahrung als Vorstufe oder Vorwegnahme der Erlösung dar, die allerdings nicht dauerhaft ist. Schopenhauer stellt dazu fest: »Jene reine, wahre und tiefe Erkenntniß des Wesens der Welt wird [dem Künstler] nun Zweck an sich: er bleibt bei ihr stehn. Daher wird sie ihm nicht, wie wir es […] bei dem zur Resignation gelangten Heiligen sehn werden, Quietiv des Willens, erlöst ihn nicht auf immer, sondern nur auf Augenblicke vom Leben, und ist ihm so noch nicht der Weg aus demselben, sondern nur einstweilen ein Trost in demselben; bis seine dadurch gesteigerte Kraft, endlich des Spieles müde, den Ernst ergreift.« (W I 335)

      Schopenhauer weist den einzelnen Künsten einen unterschiedlichen Rang zu, der sich nach den Ideen bemißt, die sich darin ausdrücken (vgl. W I 269). Dabei geht er von der – freilich nicht eigens begründeten – Annahme aus, daß jede Idee eine niedrigere oder höhere Stufe der Objektität des Willens darstellt. Während der Baukunst lediglich Naturkräfte wie die Schwere, Kohäsion, Starrheit oder Härte zugrunde lägen und sich darin ästhetische Zwecke mit nützlichen verbänden (vgl. W I 273 u. 276 f.), stelle die Gartenkunst die »höhere Stufe der vegetabilischen Natur« (W I 278) dar. Über der Bau- und Gartenkunst siedelt Schopenhauer die bildenden Künste an. Diese gliedert er in Landschaftsmalerei, Tiermalerei, Historienmalerei und Skulptur. Er ordnet ihnen die Ideen zu, welche den einzelnen Gattungen der Pflanzen und Tiere sowie dem Menschen entsprechen, der sich dadurch auszeichne, daß bei ihm der Charakter der Gattung und der Charakter des Individuums auseinander träten: »Bei der Darstellung des Menschen sondert sich nun aber der Gattungscharakter vom Charakter des Individuums: jener heißt nun Schönheit […], dieser aber behält den Namen Charakter oder Ausdruck bei« (W I 280; vgl. a. W I 285). Schopenhauer ist überzeugt, daß die Idee des Menschen – vor jenen der Tiere, Pflanzen und Naturkräfte – den höchsten Rang einnimmt und dies auch für die menschliche Schönheit bzw. die Künste gilt, in denen sie dargestellt wird: »Darum ist der Mensch vor allem Andern schön und die Offenbarung seines Wesens das höchste Ziel der Kunst. Menschliche Gestalt und menschlicher Ausdruck sind das bedeutendeste Objekt der bildenden Kunst, so wie menschliches Handeln das bedeutendeste Objekt der Poesie.« (W I 269; vgl. a. W I 281 u. 308) Einerseits ist der bildenden Kunst und der Poesie gemeinsam, daß sie den Menschen darstellen, anderseits ist Schopenhauer überzeugt, daß letztere der ersteren überlegen ist. Er begründet seine Auffassung damit, daß allein die Poesie dem Menschen in seiner Komplexität gerecht wird: »Wenn aber, in der Darstellung der niederigeren Stufen der Objektität des Willens, die bildende Kunst sie meistens übertrifft, weil die erkenntnißlose und auch die bloß thierische Natur in einem einzigen wohlgefaßten Moment fast ihr ganzes Wesen offenbart; so ist dagegen der Mensch, soweit er sich nicht durch seine bloße Gestalt und Ausdruck der Miene, sondern durch eine Kette von Handlungen und sie begleitender Gedanken und Affekte ausspricht, der Hauptgegenstand der Poesie, der es hierin keine andere Kunst gleich thut, weil ihr dabei die Fortschreitung zu Statten kommt, welche den bildenden Künsten abgeht.« (W I 308) Unter den literarischen Gattungen aber kommt – nach Schopenhauer – dem Trauerspiel der höchste Rang zu. Es stelle den »Gipfel der Dichtkunst, sowohl in Hinsicht auf die Größe der Wirkung, als auf die Schwierigkeit der Leistung« (W I 318) dar. Inhaltlich zeichne es sich dadurch aus, daß es die Negativität der Wirklichkeit thematisiere, die Schopenhauer auf einen Konflikt des Willens mit sich selbst zurückführt: »Es ist der Widerstreit des Willens mit sich selbst, welcher hier, auf der höchsten Stufe seiner Objektität, am vollständigsten entfaltet, furchtbar hervortritt.« (ebd.) Damit läßt das Trauerspiel eine besondere Affinität zu Schopenhauers pessimistischer


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